Bauwelt

Wasserbauhalle wird Werkstatt



Text: Kienz, Katja, Frankfurt/Main ;Bodenbach, Christof, Wiesbaden


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Ernst Neuferts feingliedriger Hallenbau für die TU Darmstadt hat seine ursprüngliche Bestimmung verloren. Für die neuen Nutzer beschränkte sich Ramona Buxbaum auf kaum sichtbare Eingriffe, die die Eleganz des freitragenden Daches nicht beeinträchtigen.
Die Wasserbauhalle der Technischen Universität Darmstadt muss mit ihrem wellenförmigen Dach über der außergewöhnlich eleganten Glasfassade schon bei ihrer Fertigstellung 1955 beeindruckt haben. Die Versuchshalle des Instituts für Wasserbau und Wasserwirtschaft mit dem 70 mal 25 Meter großen, stützenfreien Innenraum war eines der ersten neuen Gebäude auf dem leergeräumten Areal der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Darmstädter Altstadt. Auch wenn die im Laufe der Zeit hinzugekommenen Hochschulgebäude die ursprüngliche Wahrnehmung des Gebäudes beeinträchtigen, zählt die mittlerweile denkmalgeschützte Halle inzwischen zu den markantesten Hochschulbauten der TU.
Im März 1954 erhielt der Architekt Ernst Neufert (1900–1986), seit 1946 Professor in Darmstadt und Autor der berühmt-berüchtigten „Bauentwurfslehre“, den Auftrag für den Bau einer „Versuchsanstalt für Wasserbau“ mit Versuchshalle, Wasserturm, Unterrichts-, Arbeits- und Verwaltungsräumen. Gemeinsam mit Alfred Mehmel, Professor für Massivbau an der Fakultät Bauingenieurwesen, entwickelte Neufert ein siebenjochiges Tragwerk aus Kreiszylinderschalen auf schlanken Stahlbetonstützen. Die teilweise nur sieben Zentimeter starken Spannbetonschalen des Daches – erprobt bereits am Bau von Flugzeughangaren – und die filigrane Südfassade prägen das Erscheinungsbild des Gebäudes, das als beispielhaft für die an der Moderne orientierte Architektur der 1950er Jahre gilt.
Die alle zehn Meter die Schalenkonstruktion tragenden Stahlbetonstützen sind in Brüstungshöhe nach innen abgewinkelt und von außen in der bis unters Dach geführten, schlanken Stahl-Glas-Fassade nicht sichtbar. Zwei oberhalb der Schalen angeordnete Überzüge sorgen für Lastverteilung und Aussteifung. Der stützenfreie, lichte Innenraum blieb bis auf zwei an den Längsseiten eingelassene Tiefrinnen frei von festen Einbauten und wirkt – auch durch die komplett frei gehaltene Untersicht der Schalen – groß und weit. In den jeweils knapp drei Meter tiefen Strömungskanälen floss das Wasser für die Modellversuche mit Staudämmen und Wasserbauten.
Im Westen schließen der fast 15 Meter hohe Wasserturm sowie ein Gebäuderiegel mit Seminarräumen unmittelbar an die Halle an. Das im Norden angrenzende, um ein halbes Geschoss abgesenkte zweigeschossige Gebäude für Büros und Werkstätten weist die für die Versuche notwendigen, direkten Blick- und Wegeverbindungen zur Halle auf. Die Anbauten sind Stahlbeton-Skelettkonstruktionen. Die Ausfachungen wurden, wie auch die Außenwände der Halle, in jenem gelben Klinker ausgeführt, der für Institutsbauten dieser Zeit typisch ist.

Arbeitscharakter gewahrt
Noch bis 2010 diente die Halle den Versuchen des Wasserbauinstituts. Dann zog dieses auf den „Campus Lichtwiese“ und komplettierte die in den 1970er Jahren begonnene Verlagerung des Fachbereichs Bauingenieurwesen. Zukünftig sollen die zen­tralen Werkstätten der Universität die Halle nutzen. Sie waren bisher im Keller des alten Hauptgebäudes untergebracht und mussten schon aus brandschutztechnischen Gründen eine neue Bleibe bekommen. Eine Wahl, die angemessen erscheint: Mit der neuen Nutzung bleibt der bisherige Arbeitscharakter des Gebäudes jedenfalls gewahrt.
Zunächst waren jedoch die Sicherung und die energetische Verbesserung des Bestands erforderlich, der bis dato nur wenige Ausbesserungen erfahren hatte. Fassade und Tragwerk wiesen starke Witterungsschäden auf, die ungedämmte Dachhaut und die Einfachverglasung waren energetisch unzureichend. Die mit der Sanierung beauftragte Darmstädter Architektin Ramona Buxbaum, vertraut mit den Bauten Neuferts und überzeugt von deren Qualitäten, hat ihren Bürositz in der von Neufert gebauten „Planstatt“. Sie war – noch in Zusammenarbeit mit Peter Karle – bereits mit der Revitalisierung des Neufert’schen Ledigenwohnheims in Darmstadt (Bauwelt 5. 2003) sowie dessen Raststätte Pfungstadt befasst. Die Wasserbauhalle ist für Buxbaum das Ergebnis einer „idealen Zusammenarbeit von Architekt und Ingenieur“. Die notwendigen Eingriffe sollten den Gebäudecharakter unterstützen und lediglich dort, wo nötig, reparieren. Die nur oberflächlich korrodierten Betonbauteile wurden behandelt, und die ursprünglich weiße Betonoberfläche wurde mit einem epoxydhaltigen Reparaturmörtel ebenso aufgefrischt wie das Grau der abgesetzten Stützen und Binder. Dabei blieb die vorhandene raue Struktur der Schalbretter sichtbar. Der kostenintensivste Part der Betonsanierung war allerdings die erforderliche, vollständige Einrüstung des Halleninneren. Die gewölbten Dachflächen und die geneigten Pultdächer des Nord- und des Westriegels erhielten eine sich zum Rand hin verjüngende Wärmedäm­mung; die in die Stützen eingebetteten, korrodierten Fallrohre der Dachentwässerung wurden durch Edelstahlrohre ersetzt.
Die größte Herausforderung stellte die großzügig verglaste Südfassade der Halle dar. Die filigrane, stark korrodierte Stahlkonstruktion war – aus statischer Sicht und mit Hinblick auf die Nachrüstung mit Isolierverglasung – nicht zu halten, die neue Konstruktion entspricht jedoch in Aufteilung und Profilbreite dem Original.
Ebenso sorgfältig gingen die Architekten mit den Details des Bestands um und griffen dabei auch auf das Knowhow der TU Darmstadt zurück. So fertigte das Institut für Kunststofftechnik die geriffelten Türgriffe nahezu originalgetreu an; erhalten blieben zudem die beiden uhrförmigen Wasserstandsanzeiger an der westlichen Kopfseite der Halle.
Der Reiz der frei tragenden Schale
Derzeit wird der Bereich zwischen den Kanälen für die zentralen Werkstätten unterkellert; die Tiefrinnen werden zukünftig sämtliche Leitungen aufnehmen. Eingestellte Raumboxen sollen den offenen Charakter der Halle erhalten, und angelehnt an die ursprüngliche Nutzung wird der größte Teil der Hallenfläche als Montageplatz mit Maschinen und Werkbänken bestückt werden. Die ehemaligen Institutsräume dienen dann als Büro-, Besprechungs- und Nebenräume. Sämtliche Außenfenster sind bereits durch Nachbildungen ersetzt worden. Bei den Um- und Ausbauten sind, bis auf wenige Veränderungen der Raumzuschnitte und eine neue, gedämmte Bodenplatte, keine konstruktiven Eingriffe nötig, ganz im Sinne des respektvollen Ansatzes, dessen Ziel es war, die lichte Atmosphäre und den für Neufert wichtigen „Reiz der freien tragenden Schale“ für die neuen Nutzer zu bewahren.  



Fakten
Architekten Architekt 1955: Ernst Neufert (1900–1986); Architekten Umnutzung 2006–11: P. Karle/R. Buxbaum, Darmstadt (Gutachten); Ramona Buxbaum (Planung und Rea­lisierung)
Adresse Rundeturmstraße 6A Technische Universität Darmstadt, 64283 Darmstadt


aus Bauwelt 33.2012
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