Bauwelt

Via Verde: reproduzierbares Modell oder überteuerter Einzelfall?


Affordable Housing in New York


Text: Kubey, Karen, New York


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    Foto: Robert Garneau

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In der Bronx haben Dattner Architects und Grimshaw Architects einen viel beachteten Wohnungsbau errichtet. Das ungewöhnliche Wettbewerbsverfahren, aber auch die innovativen Entwurfslösungen könnten in den USA eine Hinwendung zum wenig glamourösen Feld des affordable housing bewirken – nicht nur unter Architekten.
Noch bevor der erste Mieter einzog, war Via Verde in der South Bronx ein Hit in den Medien und bei den Kommunalpolitikern. Bürgermeister Michael Bloomberg hält es für „eines der ökologisch fortschrittlichsten affordable housing-Projekte im ganzen Land“, der Architekturkritiker Michael Kimmelman schrieb, dass es „unter all den Neubauten New Yorks ein herausragender Beleg für den kulturellen und gesellschaftlichen Wert von Architektur“ sei. Die South Bronx hat in den letzten zwei Jahrzehnten eine intensive Wohnungsbautätigkeit erlebt. Der Stadtteil, in Folge der Stadtflucht der 60er und 70er Jahre verwahrlost, ist durch einen Bauboom wiederbelebt worden, der neuen Wohnraum vor allem für niedrige und mittlere Einkommen geschaffen hat. Aus dem als Melrose Commons bekannten Gebiet ist wieder ein dichtes Stadtquartier geworden.
Das 222 Wohneinheiten umfassende Gebäude ist das Ergebnis des Wettbewerbs New Housing New York (NHNY) Legacy Project, der 2006 vom New Yorker Zweig des AIA, des American Institute of Architecture (Äquivalent der Architektenkammer), und dem städtischen Department of Housing Preservation and Development (HPD), ausgeschrieben wurde. Gefordert war ein Wohnungsbau, der „erschwinglich, nachhaltig und reproduzierbar“ ist. Gewinner des Wettbewerbs war eine Arbeits­gemeinschaft, zu der die Architekturbüros Dattner, New York, und Grimshaw, London, sowie der auf affordable housing spezialisierte Projektentwickler Jonathan Rose Companies und die älteste gemeinnützige Wohnungsbaufirma von New York City, Phipps Houses, gehörten. Dem Team ist es gelungen, Standardkonstruktionen mit einem ausgeklügelten Fassadensystem und innovativen Wohnungszuschnitten zu kombinieren und da­mit den Wettbewerbszielen gerecht zu werden.
Aufstieg durch das Grün
Die dramatisch abgetreppte Form mit den scharfen Kanten der vorgefertigten Fassade, greift die Gebäudetypologien der Nachbarschaft auf und schreibt sie fort. Ausgehend von viergeschossigen Town Houses entwickelt sich der Baukörper über eine mittelhohe Bebauung bis zu einem 20-geschossigen Hochhaus. Der Name Via Verde, „Grüner Weg“, verdankt sich dem System aus begrünten Dächern; vom Innenhof aus können die Bewohner über Stufen aus Pflanzungen, einem Obstgarten und den Mietergärten nach oben steigen, bis sie schließlich das „fitness roof“ erreichen, eine überdachte Terrasse, die den Eingang in das Fitnesscenter bildet. Im Erdgeschoss ist ein Ärzte- und Gesundheitszentrum eingerichtet. Der Bau ist damit zu einem Testfall für die „Active Design Guidelines“ geworden, eine 2010 beschlossene kommunale Richtlinie, die mit Hilfe architektonischer Maßnahmen eine gesunde Lebensweise fördern soll, etwa indem Treppen so attraktiv gestaltet werden, dass sie als eine Alternative zum Aufzug wahrgenommen werden.
Bei den Grundrissen wichen die Architekten vom Standard ab. Während mittellhohe Wohngebäude mit den üblichen zweihüftigen Fluren normalerweise 18,30 Meter (60 feet) tief sind, liegt die Gebäudetiefe von Via Verde gerade einmal bei 14,50 Meter. Die interessantesten Wohneinheiten der Anlage sind die zweigeschossigen, durchgesteckten Dreizimmerwohnungen im Gebäuderiegel entlang der Brook Avenue. Von einem zweihüftigen Flur aus betritt man die untere Ebene dieser Wohnungen, deren Obergeschosse sich dann durch das Gebäude durchstecken, was eine Durchlüftung und hofseitige Balkone erlaubt. Daneben gibt es zweigeschossige Town Houses mit Privatgärten, worüber sich bis zu drei Geschosswohnungen stapeln, die ohne Lift über eine Außentreppe erschlossen werden; außerdem gibt es kombinierte Wohn-Gewerbe-Einheiten an der Brook Avenue und Ein- bis Vierzimmerwohnungen im Turm. Alle Bewohner betreten das Gebäude am Eingang Brook Avenue über den Hof.
Von oben gefördert
Via Verde kann sich, jenseits seiner herausragenden Architektur, messbarer Vorteile hinsichtlich Erschwinglichkeit und Nachhaltigkeit rühmen. Die Preise für die 151 Mietwohnungen sind für Haushalte mit einem Einkommen bestimmt, das zwischen 30 bis 60 Prozent des mittleren Einkommens (AMI) liegt (zwischen 24.000 und 48.000 Dollar Jahreseinkommen für eine vierköpfige Familie). Der monatliche Mietpreis für eine Dreizimmerwohnung beträgt 942 Dollar. Die 71 genossenschaftlichen Eigentumswohnungen richten sich an Haushaltseinkommen von 70 bis 100 Prozent des AMI. Der Kaufpreis für eine Dreizimmerwohnung liegt bei 146.000 Dollar. In Bezug auf das Ziel der Nachhaltigkeit geht das Entwurfsteam von einer um 30 Prozent höheren Energieeffizienz aus als bei Standardwohnungen.
Die Qualität hat ihren Preis. Die Entwickler schätzen, dass das 100-Millionen-Dollar-Projekt, mit umgerechnet knapp 2600 Dollar pro Quadratmeter etwa fünf Prozent mehr kostet als ein gewöhnliches affordable housing-Projekt. Die Mehrkosten werden auf die aufwendige Altlastensanierung und die Ortbeton-Konstruktion des Turms zurückgeführt. Eine solche Architektur war nur durch extensive staatliche Unterstützung möglich, nicht nur was die Finanzierung, sondern auch spezielle Ausnahmeregelungen betrifft. So war es ein „mayoral override“ – eine Anordnung des Bür­germeisters selbst – die das Projekt von den sonst nur kostspielig herzustellenden PKW-Stellflächen befreite. Anlass für Kritik sind die hohen Gesamtkosten. „Man kann alles und jedes bezahlbar machen, wenn man es nur ausreichend subventioniert“, sagt Jerilyn Perine, Leiterin des Citizens Housing and Planning Council und frühere Amtsleiterin der HPD. „Via Verde ist da wie die High Line. Solche Projekte sind für sich genommen großartig, aber für die öffentliche Hand stellen sie kein Modell dar, dafür sind sie zu teuer. Die öffentliche Hand steht vor der Aufgabe, so viel wie möglich für so wenig wie möglich zu erreichen.“ Andere Experten weisen darauf hin, dass überdurchschnittliches und zukunftsfähiges affordable housing öffentlich finanziert werden muss. David Burney, Leiter des New York City Department of Design and Construction und Preisrichter im NHNY, führte kürzlich aus: „Design ist nicht das Problem. Das Problem ist die Art und Weise, wie wir Wohnungsbau fördern. Die ganze Welt macht so etwas mit einer öffentlichen Finanzierung. Von den 10 Milliarden Dollar, die wir monatlich für Kriege aufbringen, könnten wir durchaus etwas für Wohnungsbau zurückbehalten.“
Von Via Verde lernen
Das außergewöhnliche Projekt ging aus einem einmaligen Verfahren hervor. Angeregt durch ein unabhängiges Gremium von Architekten, Projektentwicklern und Angehörigen der Stadtverwaltung, war NHNY ein offener, zweistufiger Architekten-Projektentwickler-Wettbewerb. 32 Teams aus aller Welt reichten in der ersten Stufe Anträge für das Auswahlverfahren ein. Unter den Bewerbern wurden fünf Teams ausgewählt, honoriert und aufgefordert, Entwurfs- und Entwicklungsvorschläge auszuarbeiten. Das unabhängige Preisgericht gewichtete die Beiträge nach folgenden Kriterien: „Innovativer Entwurf“ und „wirtschaftliche Machbarkeit“ zu je 30 Prozent, 20 Prozent für „ökologisches Bauen“ und je 10 Prozent für „Reproduzierbarkeit“ und „Teamerfahrung“. Damit maß man dem Entwurf einen sehr viel größeren Wert bei als in herkömmlichen Vergabeverfahren für affordable housing.
Lässt sich dieses Verfahren reproduzieren? Der Architekt und Mitorganisator des Wettbewerbs Lance Brown glaubt, „die Frage der Reproduzierbarkeit wurde durch grundlegende Veränderungen innerhalb der HPD überholt.“ Das zweistufige Auswahlverfahren hat sich für die HPD als zu zeitaufwendig erwiesen. Immerhin hat das Amt jedoch seine Bewertungskri­terien überarbeitet und gewichtet den Entwurf seit neuestem mit 25 Prozent. Holly Leicht, ein früheres Mitglied der HPD, sieht nach dem NHNY-Wettbewerb nicht nur in den Entwürfen für affordable housing durchweg eine gestiegene Qualität. Sie glaubt, Via Verdes Präsenz in den Medien habe die Messlatte höher gelegt, in New York wie im ganzen Land. Sie weist auf den Erfolg der relativ offen gehaltenen Aufgabenbeschreibung des Wettbewerbs hin, wodurch widerlegt sei, „dass man strikte Vorgaben machen muss, um gutes Design zu erhalten.“
Via Verde markiert ohne Frage einen Wendepunkt im Wohnungsbau der Stadt New York. Mit den steigenden Lebenshaltungskosten und dem Schrumpfen des einst reichlich bestückten städtischen Grundstücksportfolios, steigt der Bedarf an sorgfältig entworfenen Gebäuden. Das Projekt Via Verde hat eine der schwierigsten Klippen im urbanen Wohnungsbau gemeistert: ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen und einen attraktiven Freiraum in der hochverdichteten Stadt zu schaffen.



Fakten
Architekten Dattner Architects, New York; Grimshaw Architects, London
Adresse 739 Brook Ave Bronx, NY 10451, Vereinigte Staaten


aus Bauwelt 10.2012
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