Bauwelt

Kapitel 7: Ende der Abstraktion


Wie Mimosen und Akeleien die Architektur verwuchern


Text: Klauser, Wilhelm, Berlin


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    Hisao Suzuki

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Ich suche ein Haus in Tokyo, das Moriyama-Haus. Übersetzt: das Waldberg-Haus, so heißt der Bauherr. Realisiert wurde es bereits vor fünf Jahren. Das Haus geht mir schon eine Weile durch den Kopf. Manche Namen versprechen schöne Bilder. Im Namen des Bauherrn, so scheint mir, ist bereits ein Konzept verborgen, und die Gegend, in der das Haus steht, die ist auch schön. Dabei fällt das Haus nicht einmal auf, als ich die Straße entlangkomme. Hier gibt es nur kleine Gassen und Stichstraßen. Man mäandert durch die Häuser, und irgendwann steht man dann davor.
Das gesuchte Haus besteht aus vielen Kisten. Sie stehen nebeneinander, und dazwischen gibt es sehr enge Durchgänge. Der Grundriss lässt an diesen Stellen an „Gärten“ denken. Viele Bauten, die ich in den letzten Jahren in Japan besichtigt habe, behandeln die Idee der Pflanze. Das ist nicht weiter verwunderlich, die Einfa-milienhausteppiche der japanischen Stadt sind von Topfpflanzen geprägt. Jede Familie hat sie. Vor den Fenstern gibt es kleine „Regale“, auf denen kleine Bäume stehen. Im Ausland hat man das lange Zeit nicht bemerkt: Wenn man an japanische Architektur dachte, dann ohne Grün. Immer dort, wo japanische Architektur als besonders japanisch galt, war das Haus ein leeres Haus. Das japanische Haus ist, von Europa aus gesehen, bis heute ein einfaches und abstraktes Haus. Es zeigt keine Spuren vom Alltagsleben seiner Bewohner.

Plötzlich aber „menschelt“ es in den Häusern, und auf einmal beschäftigt sich auch die Rezeption damit. Es gibt markante Vorbilder, Rikken Yamamoto zum Beispiel. Er hat vor fünf Jahren ein Kinderbuch über ein Haus gezeichnet, das er auch gebaut hat. Oder Kazuhiro Kojima: Er richtete die Schulen, die er entwarf, plötzlich an den Bewegungen der Kinder aus. Wie aber bewegen sich Kinder? Heute jedenfalls gehören zu den Häusern immer auch Pflanzen. Ryue Nishizawa hat damit angefangen, Junya Ishigami und Sou Fujimoto folgten ihm. Es scheint, als verliere die Vorstellung endgültig an Boden, dass die Architektur etwas Künstliches sei. Die Pflanze ist ein Eindringling in die Welt der Architektur, sie ist lästig, verliertihre Blätter, und außerdem gibt es beim Gießen Flecken auf dem Boden.

 Das, was nun geboten wird, ist also eine geschwächte Architektur. Die Wände, die im
Moriyama-Haus die Raumschachteln umfassen,sind eigentlich zu dünn, um noch als Wändedurchzugehen. Sie sind fühlbar hauchdünn. Kaum mehr als eine Membran, so umspannen sie die Räume. Unter praktischen und funktionalen Gesichtspunkten ist das Moriyama-Haus eine Zumutung. Wer von einer Schachtel zur nächsten will – das heißt von einem Raum zum anderen –, der zieht sich jedesmal Schuhe an. Er wird im Winter frieren und im Sommer schwit­zen. Die Schuhe stehen vor der Türe. Rein, raus, rein. Es gibt keine Vordächer, und die Fenster sitzen bündig in der Fassade. Jede Schachtel hat ihr eigenes Klimaaggregat. Und dazwischen die Pflanzen. In den neuen Entwürfen übernehmen sie eine wichtige Rolle. Dabei geht es weder um Ökologie, noch um Biomasse oder um höhere Diversität. Niemand käme in Japans Städten auf die Idee, ein Beet anzulegen, um Salat zu ernten, wie etwa in Kreuzberg. Die Pflanzen der japanischen Architektur sind genügsam, meist schlank und langstielig. Akeleien, zum Beispiel, oder Mimosen oder einfach Gräser. Es ist also keine Unachtsamkeit, dass da plötzlich Unkraut sprießt auf den Trampelpfaden zwischen den Raumschachteln des Waldberg-Hauses. Etwas hat sich verändert in der japanischen Architektur, und das ist sympathisch. Es hat nichts mit Ikebana zu tun und auch nichts mit geborgter Landschaft. Was hier passiert, rückt der leeren Architektur zu Leibe. Diese zeigt plötzlich ein ungeordnetes Inneres und kehrt es nach außen. Das Ideal ist heute ein Haus mit einem Hauch von Wand, aber wie ein Garten. Ein Stadtgarten.



Fakten
Architekten Kazuyo Sejima, Ryue Nishizawa, SANAA, Tokyo
aus Bauwelt 33.2010

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