Bauwelt

Geschichten erzählen


London 2012


Text: Meyer, Friederike, Berlin; Schlaich, Christoph, Köln/London


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    Studio Weave

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    Studio Weave

Märchenhaft klingen die Projekte von Studio Weave: ein Haus auf Stelzen für einen Dichter aus dem Mittelalter, ein schwimmendes Kino vor dem Olympiastadion, ein Kirchgarten mitten in der City of London. Maria Smith und Je Ahn sprechen über die Haltung, die dahinter steckt.  
Wie denken die Leute in Ihrem Bekanntenkreis über Olympia?

Je Ahn | Viele unserer Freunde wollen ihre Wohnungen vermieten und die Stadt verlassen. Die anderen freuen sich auf eine mehrwöchige Party, auf der man durchgängig betrunken ist.  
Maria Smith | Es ist uncool, die Spiele gut zu finden. Aber viele glauben, dass die angrenzenden Quartiere profitieren.

Inwiefern?

JA | Das touristische Bild der Stadt bestimmen Westlondon und Soho. Das wird sich jetzt ändern. In Gebieten in Ostlondon, wo es noch vor einiger Zeit ziemlich gefährlich war, gibt es heute coole Bars und schwedische Möbelgeschäfte. Die Westlondoner kommen zum Einkaufen. Einige Bewohner müssen wegen der steigenden Mieten allerdings auch wegziehen. Auch wir ziehen mit unserem Büro aller paar Jahre weiter nach Osten, wo es preiswerter ist.
MS | Der ganze Osten verändert sich durch die Spiele. Es gibt bessere Verkehrsverbindungen, den neuen Park. Der Kanal wird jedes Jahr sauberer. Bald kann man da schwimmen gehen. Wir wohnen in Hackney und kannten den Kanal auch nicht richtig …

... bis Sie im Sommer 2011 ein schwimmendes Kino auf die Kanäle um das Olympiagelände geschickt haben. Erzählen Sie uns davon.

MS | Wir haben uns mit der Idee bei den Kuratoren des Programms für Kunst an den Rändern des Olympiaparks beworben. Es gab ein winziges Budget. So etwas macht man nicht wegen des Geldes. Wir haben jede Menge gelernt, über Boote, Genehmigungen, Elektronik, Film-Vorführungen. Man darf ohne aufwendige Genehmigung zum Beispiel nur 12 Sitzplätze in einem fahrenden Motorboot haben. Es gab aber auch Freiluftvorstellungen am Ufer. In drei Monaten hatten wir 75.000 Zuschauer. Viele von ihnen haben durch unser Kino die Kanäle überhaupt erst entdeckt.
JA | Das schwimmende Kino hat wieder einmal unsere Haltung bestätigt:  Egal was wir machen, es muss den Leuten gefallen. Und zwar allen, die damit zu tun haben: Geldgebern, Ingenieuren, Nutzern.  Ich meine das ernst. Vielen Architekten ist das ja oft egal, Hauptsache ihnen selber und der Kritik gefällt es. Sie verhalten sich dabei genauso wie gegenüber Pop-Musik: Wenn es zu viele Leute gut finden, meinen sie, dass etwas falsch sei.  

Dass die Leute ein schwimmendes Kino gut finden, bezweifelt sicher niemand. Wie ist das bei anderen Projekten. Was machen Sie, damit alle zufrieden sind?


JA |  Kommunikation ist das A und O. Die Leute müssen verstehen, was wir machen und sagen wollen. Wir Architekten haben unsere eigene Sprache, die wir an der Universität gelernt haben. Wir zeichnen Pläne, Schnitte und Diagramme. Aber das verstehen oft nur andere Architekten. Es ist nicht unbedingt eine gute Idee, die Baugeschichte herunterzubeten oder komplizierte technische Erläuterungen abzugeben.
MS | Wichtig ist, was die Leute empfinden. Wir entwerfen immer auch eine Geschichte. So können sie sich Dinge viel besser vorstellen, als mit abstrakten Bildern oder einer Zeichnung.

Wie entwerfen Sie Ihre Geschichten?

JA | Mal erfinden wir eine, mal erweitern wir die Erzählungen von Anwohnern. Manchmal behandeln wir die Orte auch als wären sie Personen.

An der U-Bahnstation Aldgate bauen Sie auf einer Verkehrsinsel eine Skulptur. Es ist der Beginn der High Street, die vom Zentrum Londons bis nach Stratford zum Olympiagelände führt. Hier werden Tausende von Menschen vorbeikommen. Welche Geschichte steckt dahinter?

MS | Bis 1761 stand in Aldgate ein Tor aus römischer Zeit. Es wurde mehrfach umgebaut. Im Mittelalter hat darin der britische Dichter Geoffrey Chaucer gelebt. Er hat dort unter anderem zwei Gedichte geschrieben: „The House of Fame“ und „The Parliament of Fowls“. Sie handeln von fantastischen, traumhaften Tempeln in merkwürdigen Landschaften. Mit unserem Projekt „Paleys Upon Pilers“ (Palast auf Stelzen) wollen wir weniger an das alte Tor erinnern als vielmehr daran, dass Chaucer hier gelebt hat.
JA | Für die Briten ist Geoffrey Chaucer ein Dichterheld. Das kleine Häuschen auf hohen Stützen ist ein Raum mit Wänden aus kunstvoll verziertem Lärchenholz. Es ist unerreichbar, man kann darin nicht wohnen. Es ist ein Ort für Träume.

Der von Ihnen gestaltete St Pancras Church Garden aber ist offen für alle.


MS | Ja. Dort stand früher mal eine Kirche aus dem 11. Jahrhundert. Seit dem großen Stadtbrand 1666 ist hier nicht viel passiert. Das Grundstück liegt sehr versteckt umzingelt von Bürotürmen und wirkt wie ein kleiner Wald. Die City of London hatte uns zum Wettbewerb eingeladen. Wir sollten überlegen, wie man den Ort gestalten und für Passanten zugängig machen kann.
JA | Unsere Erzählung beschäftigt sich mit der Geschichte des Grundstücks. Bei den Bänken haben wir mit Holzbildhauern zusammen gearbeitet. Wir gaben das Thema „Nach dem Feuer“ vor und sie konnten sich austoben. So eine Art der Zusammenarbeit ist sehr befriedigend, wenn man einander vertraut und die gleiche Vorstellung von der Qualität eines Projektes hat. Für öffentliche Auftraggeber klingt das immer nach einem Risiko. Der St Pancras Church Garden gab ihnen die Möglichkeit, mit uns auf Reisen zu gehen.

Glauben Sie dass die Besucher des Gartens die in den Bänken verborgenen Geschichten verstehen?

MS | Jeder soll seine eigene Geschichte lesen. Wenn ein Kind mit seiner Großmutter eine alte Burg besucht, hat sie wahrscheinlich auch eine ganz andere Vorstellung davon, was dort passiert ist, als ihr Enkel.
JA | Die Mitglieder der Jury haben unser Projekt damals als „professionally playful“ bezeichnet. Ich finde, das trifft es. Wir meinen es ernst mit dem glücklich sein.



Fakten
Architekten Studio Weave, London
Adresse London


aus Bauwelt 24.2012
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