Europäische Zentralbank
Europa am Main
Text: Friedrich, Jan, Berlin
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Städtebau parlante: Aus dem östlichstes Hochhaus der Skyline beobachten die Währungshüter das Bankenviertel mit angemessenem Abstand
Foto: EZB/Robert Metsch
Städtebau parlante: Aus dem östlichstes Hochhaus der Skyline beobachten die Währungshüter das Bankenviertel mit angemessenem Abstand
Foto: EZB/Robert Metsch
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Die EZB ist sicher nicht Motor der Gentrifizierung im Frankfurter Ostend, vielleicht ist sie ihr Verstärker, ganz sicher aber ihr Symbol
Fotos: Markus Pillhofer
Die EZB ist sicher nicht Motor der Gentrifizierung im Frankfurter Ostend, vielleicht ist sie ihr Verstärker, ganz sicher aber ihr Symbol
Fotos: Markus Pillhofer
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Umsteigeplattform im 3. OG, Blick nach Osten. Die Fahrstühle öffnen sich in jedem Geschoss zum
Atrium.
Foto: EZB/Robert Metsch
Umsteigeplattform im 3. OG, Blick nach Osten. Die Fahrstühle öffnen sich in jedem Geschoss zum
Atrium.
Foto: EZB/Robert Metsch
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Blick aus dem 25. OG des Südturms ins Atrium auf die Umsteigeplattform im 15. OG, Haltepunkt der gläsernen Expressfahrstühle
Fotos: EZB/Robert Metsch
Blick aus dem 25. OG des Südturms ins Atrium auf die Umsteigeplattform im 15. OG, Haltepunkt der gläsernen Expressfahrstühle
Fotos: EZB/Robert Metsch
Vor elf Jahren gewann Coop Himmelb(l)au den Wettbewerb für den Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main. Nun haben die Währungshüter ihren Arbeitsplatz bezogen – ein Ensemble aus einem neuen Büroturm und der ehemaligen Großmarkthalle von Martin Elsässer. Eines der ambitioniertesten Bauprojekte der Europäischen Union steht zur Begutachtung
Natürlich fragt man sich, ob mehr als zehn Jahre Planungs- und Bauzeit selbst für ein solches Riesenprojekt einer europäischen Institution nicht zu lang sind. Die Gefahr ist groß, dass in der Zwischenzeit die Moden über das Architekturkonzept hinweggezogen sind. Doch man muss fair sein – der Sitz der Europäischen Zentralbank (EZB), das waren eigentlich zwei Großprojekte: Zum einen der Neubau eines 185 Meter hohen Bürohochhauses von herausfordernder Geometrie, zum anderen die Sanierung der Großmarkthalle und ihr Umbau zum Konferenzzentrum der EZB. Als die Stadt Frankfurt die denkmalgeschützte Halle 2002 an die Bank verkaufte, war die Substanz heruntergewirtschaftet; die Instandsetzung des experimentellen Betonbaus von Martin Elsässer aus den Jahren 1926–28 hielt viele Überraschungen bereit. Zu allem Überfluss musste die EZB die erste Ausschreibung, bei der sie die Bauarbeiten an einen Generalunternehmer vergeben wollte, aufheben, weil keine wirtschaftlichen Angebote eingegangen waren. Also alles von vorn: die Gewerke in kleinere Pakete gepackt und neu ausgeschrieben, diesmal erfolgreich. So vergehen zehn Jahre schnell.
Genau genommen begann das Projekt schon 1998, im Gründungsjahr der EZB. Das Anmieten von Büros für die Mitarbeiter in der Frankfurter Innenstadt war von Anfang an nur als Zwischenlösung gedacht. Bis 2001, als die Entscheidung für das Areal der Großmarkthalle im Osten der Stadt fiel, hatte man 35 mögliche Standorte
in Augenschein genommen. Dass es Frankfurt sein würde, stand außer Zweifel: Im Vertrag von Maastricht (1992) ist die Bankenstadt am Main als Sitz der neuen EU-Institution festgelegt. 2003/2004 dann der zweistufige Realisierungswettbewerb mit 71 Teilnehmern, die in einem offenen Bewerbungsverfahren ausgesucht worden waren – eine Liste, die sich heute wie ein Who’s who der internationalen Architektenschaft der Jahrtausendwende liest (Bauwelt 13.2004). Und schließlich der überraschende Sieger: die Wiener Coop Himmelb(l)au mit einem Turm als vertikalem Kontrapunkt zur horizontalen Großmarkthalle – ein Hochhaus, dem die Absicht der Architekten, ein Wahrzeichen zu schaffen, deutlich anzusehen war, das aber, gemessen an den Entwürfen, die man zu jener Zeit aus dem Büro von Wolf D. Prix kannte, zahm daherkam.
Endlich ist die EZB fertig, und es ist zu besichtigen, was Coop Himmelb(l)au, zahllose weitere Planer – allen voran die Tragwerksplaner Bollinger + Grohmann und die Frankfurter Partnerarchitekten der Wiener, Albert Speer und Partner –und die Bauherrin für 1,3 Milliarden Euro Gesamtinvestitionskosten aus dem ambitionierten Konzept gemacht haben. Die formale Idee des in sich verdrehten Zweischeiben-Hochhauses mit einem „Atrium“ genannten Luftraum als Zentrum hat die Entwurfsüberarbeitungen überdauert. Man muss das EZB-Gelände ein Mal zur Gänze umrunden, um die Wirkung der ungewöhnlichen Geometrie des gläsernen Hochhauses vollständig zu erleben. Die Silhouette verändert sich mit jedem Schritt, den man geht. Wandelt sich das Licht, weil etwa Wolken vorbeiziehen, sieht alles wieder ganz anders aus. Mit der EZB hat die Frankfurter Skyline ohne Frage einen ihrer abwechslungsreichsten Neuzugänge erhalten. Wie bei fast jeder unregelmäßigen Form gibt es Schokoladenseiten. Der Blick von Osten, mitten durch das verglaste Atrium hindurch ist so eine privilegierte Ansicht, der Blick auf die breiten Flanken eher nicht. Solche „Rückseiten“ sind ein Problem für ein freistehendes und kilometerweit sichtbares Hochhaus.
Den Mitarbeitern der Bank – das Haus bietet Raum für 2900 Arbeitsplätze – wird auf Dauer weniger der Wahrzeichencharakter des Turms wichtig sein als vielmehr, wie sich dessen Geometrie auf das Innere auswirkt. Dort ist es der knapp 20 Meter breite Raum zwischen den beiden Büroscheiben, das „Atrium“, der das Hochhaus besonders macht. Vier „Umsteigeplattformen“ unterteilen das Atrium in vier 45 bis 60 Meter hohe Brandabschnitte. Die Erschließungskerne der beiden Scheiben grenzen an das Atrium; alle Fahrstühle öffnen sich in Richtung des Luftraums, damit sich die Mitarbeiter und Besucher beim Aussteigen sofort orientieren können. Der Blick hinaus verrät nicht nur, in welcher Höhe man sich befindet, sondern auch in welchem der Türme: Liegt die Frankfurter Innenstadt zur Rechten, steigt man aus einem Aufzug des Nordturms, liegt sie zur Linken aus einem des Südturms. Ob das Atrium mit seinen extremen Perspektiven, den gigantischen Stahl-Diagonalen, die beide Türme konstruktiv verbinden, und einer regelrechten Materialschlacht von Aluminiumpanelen und Glasflächen zum Treffpunkt wird, wie Coop Himmelb(l)au sich das vorstellen? Oder ob die Mitarbeiter sich doch lieber in ihren Büros verabreden, wo von der geometrischen Aufregung rein gar nichts zu spüren ist, nicht einmal die gekrümmte Fassade? Die ist nämlich eine HP-Fläche und ließ sich daher mit ebenen Fassadenelementen bauen.
Grundsätzlich nachvollziehbar ist die Idee der Architekten, den Büroturm nicht einfach neben die Großmarkthalle zu stellen, sondern ihn mit ihr zu verklammern – und auch auf der Nordseite der Halle mit einem neuen Haupteingang zu zeigen, dass die alte „Gemüsekirche“ sich gewandelt hat. Dafür zwei Achsen der Halle zu opfern, ist wohl auch akzeptabel; der Denkmalschutz stimmte zu, weil Elemente herausgenommen wurden, die, im Krieg zerstört, ohnehin nicht mehr original waren. Auf welche Weise dies nun aber umgesetzt wurde: Wie das vorn seltsam eingedrückte sogenannte Eingangsbauwerk, in dem sich das Pressezentrum befindet, die Halle in unentschiedenem Winkel schräg durchbohrt, wie an eben dieser Stelle die fein detaillierte Betonrasterfassade ohne Fingerspitzengefühl und Raffinesse zugunsten einer banalen Pfosten-Riegel-Glasfassade herausgerissen wurde – das ist enttäuschend. Ausgerechnet der Haupteingang der Europäischen Zentralbank, mitten in der ansonsten so sorgsam restaurierten Großmarkthalle, ist der schwächste Punkt des Projekts.
Viel erfreulicher: der Umgang mit dem Innern der Großmarkthalle. Konferenzzentrum und Mitarbeiterrestaurant sind jeweils als „Haus im Haus“ in den 220 Meter langen, 50 Meter breiten und gut 23 Meter hohen Raum eingestellt. Im Nebeneinander der neuen Stahl-Glas-Körper und der aufwendig sanierten alten Betonkonstruktion sind neue, spannende Räume entstanden: Mal lenkt der lange Riegel eines Sitzungssaals den Blick des Betrachters an Elsässers schier endloser Betonrasterfassade entlang; mal weitet sich der Blick, und die Halle ist in ihrer gesamten ursprünglichen Breite zu erleben. Überdies wirkt alles so, als lasse es sich, falls die Großmarkthalle in einigen Jahrzehnten wieder umgenutzt werden sollte, problemlos herausnehmen. Sicher ein Trost für diejenigen, die den Dekonstruktivismus der „Häuser im Haus“ als etwas angestaubt empfinden.
Wolf D. Prix spricht, wenn man ihn zur EZB befragt, stets davon, dass er ein Wahrzeichen nicht nur für die europäische Gemeinschaftswährung, sondern für die Idee der europäischen Einigung schaffen wollte. So gesehen verwundert es nicht, dass einem bei den verdrehten Hochhausscheiben nicht so sehr Statisches in den Sinn kommt wie Solidität und Stabilität, als ausgesprochen Dynamisches wie Sich-Näherkommen, Sich-Entfernen oder Miteinander-Streiten.
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