Bauwelt

Eternit Demonstrationswerkstatt


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Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


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    Foto: David Franck

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Das Werksgelände der Eternit AG in Heidelberg ist berühmt als eine Art Freilichtmuseum für die Industriearchitektur von Ernst Neufert. Astrid Bornheim, Ralf Kunze und Andreas Overmann haben nun eine Demonstrationswerkstatt hinzugefügt und dabei nicht nur mit den firmeneigenen Fasertafeln experimentiert, sondern auch einen Messestand weiter verwertet.
Wer in der „alten“ BRD aufgewachsen ist, wird sich als Besucher der Eternit AG unweigerlich an Kindheitserlebnisse er­innern: Wie lange hat man unter diesen Wellplatten nicht auf den Bus gewartet; hinter der mit diesem Material blickdicht gemachten Balkonbrüstung gespielt; erfolglos versucht, einen Blick hindurch in des Nachbarn geheimnisvollen Geräteschuppen zu werfen? Keine Frage: Mag der Hersteller auch auf eine Gründung im Jahr 1929 zurückblicken, seine Faserzementplatten sind ein Stoff, der das Westdeutschland der Nachkriegszeit geprägt hat; ein steter Begleiter durch die Neubaugebiete und Stadtränder der sechziger Jahre; ein Inbegriff der klandestinen Melancholie der Moderne. Hier, im Industrie­gebiet zwischen Heidelberg und Leimen, wo die gewellten Elemente noch immer von Hand gegossen werden, kann man den Mietwagen darunter abstellen – und blickt unversehens auf ein Gebäude, das unmissverständlich Gegenwart geltend macht: das neue Schulungszentrum der „Eternit-Akademie“.
Pädagogisches Probieren
Das anlässlich des 75. Firmenjubiläums entwickelte und seit 2007 durchgeführte Fortbildungsformat soll Architekten wie Handwerkern die heutige Produktpalette und deren Anwendung nahebringen. In den ersten fünf Jahren sind zu diesem Zweck immerhin 550 Veranstaltungen mit rund 6500 Teilnehmern organisiert worden. Knapp ein Drittel davon fand auf dem Werksareal statt – in einer schwer beheizbaren und nicht einmal ganz regendichten Lagerhalle.
Dieses Provisorium ist nun Vergangenheit. Das neue Schulungszentrum ist der erste Neubau auf dem Gelände, seit Ernst Neufert (1900–1984) hier mit den aus heutiger Sicht schmäch­tig anmutenden Mitteln seiner Zeit gewirkt hat. Doch trotz aller Sparsamkeit der fünfziger Jahre bei der Dimensionierung von Materialstärken und Wandaufbauten hat es der Bauentwurfslehrer nicht versäumt, die formalen Möglichkeiten des Materials zu erproben: Man werfe nur einen Blick auf die Südwest­ecke des Nebentrakts der Produktionshalle. (siehe auch Seite 1)
Das Schulungszentrum setzt nun einen kräftigen zeitgenössischen Akzent mit seiner patchwork-artig in verschiedenen Hell-dunkel-Werten verkleideten Fassade aus planen Platten. Die Architekten wollten bei der Gestaltung des Schulungsgebäudes an Neuferts Experimentierfreude anknüpfen; seine Gestaltungsprinzipien und Konstruktionsmethoden zu studieren hatten sie bereits bei der Modernisierung der Hauptverwaltung vor einigen Jahren Gelegenheit. Eine Ambition, die nicht nur dem Repräsentationsbedürfnis des Bauherrn entgegenkam, sondern auch dem Zweck der Bauaufgabe. Nicht der Raum des Schulungszentrums stand also im Zentrum des entwerferischen Interesses, sondern die ihn umschließende Hülle, und zwar mit ihrer Innen- ebenso wie mit ihrer Außenseite: „Eine besondere Hülle für die gewöhnliche Halle“, wie es die Planer zur Einweihung des Gebäudes im Juli formulierten.
Die Architekten konzentrierten sich auf die Themen Relief und Fugenbild. Beide sind für die Architektur elementar; für eine Architektur aber, deren Erscheinungsbild aus Fertigtafeln zusammengesetzt wird, bedürfen diese Aspekte in der Tat besonderen Augenmerks. Das schachtelförmige Volumen und das Kreuzfugenbild wird mit zwei Mitteln zerlegt bzw. überspielt: mit einer Montage der Tafeln in drei Ebenen, sodass sich die Führungsschienen der Schiebetore unsichtbar anbringen ließen, und einer Farbgebung, die das resultierende Schattenspiel übergreift; nicht der von den Abmessungen der einzelnen Fassadenelemente vorgegebene Maßstab ist also die Grundlage der Architekturwahrnehmung. Die flache, elementierte „Tafelarchitektur“ wirkt dadurch geschlossener, körperhafter, kräftiger. Auch die Faltschiebeläden vor den Fenstern im zweigeschossigen Bereich des Grundrisses leisten einen Beitrag dazu, die Dominanz der Wandelementierung zu brechen. Ihre in der Nahsicht, etwa im Inneren, pixelartig anmutende Perforierung ergibt aus größerer Entfernung, zum Beispiel vom Parkplatz her, den Namen des Bauherrn.
Der einverleibte Messestand
Aber noch aus einem anderen Grund lohnt der Blick aus der Distanz: Von dort aus erinnert das Schulungszentrum mit seinen großen, um die Gebäudeecke geführten Farbfeldern an den Messeauftritt des Herstellers auf der Münchner BAU 2011. Die Verwandschaft liegt nahe, nicht nur weil auch für dessen Gestaltung Astrid Bornheim verantwortlich zeichnete, sondern mehr noch, weil der Messestand nach dem Ende der Präsentation demontiert und, so weit wie möglich, für den Bau des Schulungszentrums wieder verwendet wurde – eine Absicht, die das Konzept für den Messestand wie die Planung des Gebäudes maßgeblich beeinflusst hat. So sind beispielsweise die Tresen des Messestandes zur Vollholzdecke geworden, die das Schulungszentrum aussteift, und auch Wandelemente, Leuchten und Möbel wurden im Hinblick auf ihren späteren Einsatz im Schulungszentrum geplant.
Dessen Rohbau wurde als vorfabrizierter Holzbau in zehn Tagen errichtet. Die Konstruktion besteht aus 32 jeweils acht Meter hohen Wandelementen, die von aufgeklammerten Trockenbauplatten des Herstellers ausgesteift werden. In der gebäudehohen Werkhalle zeigen sich diese Platten unverkleidet, während der schmale zweigeschossige Bereich, in dem sich die Seminarräume befinden, mit einer veredelteren Optik aufwartet – „rough and refine“ war das Leitbild für das Gebäudeinnere. Und wie beim Äußeren spielen auch hier Re­-lief und Fugenbild eine Rolle. In die Oberfläche der Wand­­ta­feln wurde eine perspektivische Studie des hinterlüfteten Fassadenzwischenraums gefräst, und zwar mit variierender Tiefe und also unterschiedlicher Schattenwirkung. Der Lauf der Linien überspielt den additiven Aufbau der Wandflächen, indem er ein übergeordnetes Gestaltungselement etabliert: Ein Ornament, das, wie einst der Gipsstuck auf dem Backsteinmauerwerk, die Fläche über die sie erzeugende Konstruktion triumphieren, das normierte, verfahrenstechnisch bestimmte Industrieprodukt in einer antropomorphen Anverwandlung aufgehen lässt.



Fakten
Architekten Bornheim, Astrid, Berlin; Kunze, Ralf, Berlin; Overmann, Andreas, Berlin
Adresse Im Breitspiel 20, 69126 Heidelberg


aus Bauwelt 42.2011
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