Bauwelt

Von Glück, Mut und viel heißer Luft

Graft im Berliner Haus am Waldsee

Text: Friedrich, Jan, Berlin

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Foto: Bernd Borchardt

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Von Glück, Mut und viel heißer Luft

Graft im Berliner Haus am Waldsee

Text: Friedrich, Jan, Berlin

Meine Lieblingswebsite ist blablameter.de. Dort gibt es ein Feld, in das lässt sich ein Text kopieren, und eine Schaltfläche, auf der steht: Text testen. „Wieviel Bullshit steckt in Ihrem Text?“ Das beantwortet das kleine Wunderding auf der Stelle.
Ein Wert zwischen 0,0 und 0,8 gibt an, wie sehr der Schreiber der fraglichen Sätze seine Leser mit PR-Sprech quält. Je höher der Wert, desto heißer die Luft. Das Blabla­meter funktioniert überraschend zuverlässig. Es prüft auf bestimmte sprachliche Merkmale und auf beliebte Werbe-Phrasen. (Bis hierher hat dieser Text einen Wert von 0,07).
Natürlich unterziehe ich die Ankündigung zur Graft-Ausstellung, als sie in meine Mailbox flattert, gleich dieser Prüfung. Man kennt schließlich seine Pappenheimer. Und, ehrlich gesagt, ich bin ein bisschen enttäuscht: „0,41. Der Text riecht schon deutlich nach heißer Luft – Sie wollen hier offensichtlich etwas verkaufen oder jemanden tief beeindrucken“, urteilt das Blablameter. Mein Sprachgefühl ließ mich einen wesentlich höheren Index vermuten – nachdem was Graft-Architekten im Berliner Haus am Waldsee alles „neu denken“ (bisher Unvereinbares), „reflektieren“ (politische wie ästhetische Phänomene), „durchbrechen“ (die Grenzen von Ideologie und Dogmatismus), wem sie „wesentliche Impulse verleihen“ (den Design- und Architekturdebatten der Gegenwart), wie „aufgeschlossen“ sie sind (gegenüber zukünftigen Wirklichkeiten) und in was Ausstellungsbesucher bei Graft alles so „eintauchen“ können (visionäre Welten).
All das wäre kaum 21 Zeilen Text wert – Ausstellungsankündigungen sind nun einmal Werbung –,  wenn das nicht in der Schau selbst nahtlos so weiterginge. Kein Winkel, in dem nicht gemäß dem Ausstellungstitel „Distinct Ambiguity“ (zu deutsch etwa: eindeutige Mehrdeutigkeit) die einfachsten Dinge bis an die Grenzen des Erträglichen überhöht würden; und darüber hinaus. Sicher, Graft sind vom Anbeginn ihrer Karriere PR-Profis, vielleicht ist die Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil wird, nur so überhaupt zu erklären. Aber im Haus am Waldsee, das sonst „internationale Gegenwartskunst“ zeigt, kommt eben dieser „Kunstkontext“ erschwerend hin­zu: Alles muss noch ein Stück besonderer sein.
Also präsentiert man die für sich genommen ja durchaus charmanten geschwungenen, gedrehten und ineinander verflochtenen Raumgebilde von Graft – Modelle, Projektionen und vor allem Renderings – unter so wohlklingenden wie sinnfreien Kapitelüberschriften, die jedem Führungskräfte-Motivationsworkshop zur Ehre gereichen würden: „Glück – das Streben nach einem nachhaltigen Optimismus“, „Erzählung – Geschichten sind die soziale Währung der Welt“, „Mut – Auf dem Weg zu einer Kultur der Risikobereitschaft“. (An dieser Stelle ist mir das Blablameter abgestürzt.)
Fakten
Architekten Graft, Berlin
aus Bauwelt 4.2012
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