Bauwelt

„Haben diese Bauformen etwas typisch Russisches? Ja, sicher“

Russland

Text: Klingbeil, Kirsten, Berlin

Bild 1 von 36
  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Die Hauptattraktion im französischen Pavillon: das Modell der "Villa Arpel" aus Jaques Tatis Film "Mon Oncle" (1958)
    Andrea Avezzù Courtesy la Biennale di Venezia

    • Social Media Items Social Media Items
    Die Hauptattraktion im französischen Pavillon: das Modell der "Villa Arpel" aus Jaques Tatis Film "Mon Oncle" (1958)

    Andrea Avezzù Courtesy la Biennale di Venezia

Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Foto: Strelka Institute for Media, Architecture and Design

  • Social Media Items Social Media Items

Foto: Strelka Institute for Media, Architecture and Design


Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Anton Kalgaev, Daria Paramonova und Brendan McGetrick
Foto: dito

  • Social Media Items Social Media Items
Anton Kalgaev, Daria Paramonova und Brendan McGetrick

Foto: dito


„Haben diese Bauformen etwas typisch Russisches? Ja, sicher“

Russland

Text: Klingbeil, Kirsten, Berlin

Anton Kalgaev, Daria Paramonova und Brendan McGetrick im Interview über das Pavillonthema "Fair Enough"
Von einer „nationalen Architektur“ kann man heute eigentlich nicht mehr reden. Die globale Architektur hat den Verlust nationaler oder re-gionaler Merkmale nicht ausgleichen können. Wie ist Ihre Haltung dazu?
Wir wollen mit unserem Projekt nicht dezidiert Stellung beziehen. Der Verlust nationaler Eigenarten ist offensichtlich, aber dieses Phänomen wird oft überbewertet. Es geht einher mit dem Verlust eines Nationalcharakters, der aber neu gewonnen werden kann: Nationale Kultur und Architektur sind dynamische, immer im Wandel befindliche Prozesse, besonders in Russland. Anstatt zu zeigen, wie die Architektur in Russland global wurde oder umgekehrt, denken wir, dass es nützlich wäre, einmal vorzuführen, welche architektonischen Ideen sich in den letzten hundert Jahren in Russland etabliert haben und welche globalen architektonischen Probleme sie thematisieren.
Sie sprechen von einer „Neugewinnung“. Was ist damit gemeint?
Die Frage kann nicht beantwortet werden, ohne zu klären, was man unter einer nationalen russischen Architektur versteht. Geht man analytisch an die Frage heran, reduziert sich das schnell auf die Frage nach dem Fremden, nach der exotischen russischen Architektur. Unsere Antwort darauf lautet: Ja, die gibt es, aber in vielen unterschiedlichen Facetten. Zum Beispiel die Datscha – ein Ferienhaus auf dem Land, wie es nahezu jeder russische Stadtbewohner hat. Diese Häuser werden oft nach dem Geschmack des Besitzers gebaut, aus Material, das dem Bauherrn gerade zur Verfügung steht: Materialien aus dem Baumarkt, Bruchstücke anderer Häuser, Industrieabfälle usw. Oder denken Sie an die Architektur der Stalinzeit, besonders an die Hochhäuser dieser Epoche: Dieser Architekturtypus ist auch weiterhin bei den Russen sehr beliebt und wird heute noch reproduziert; aber jetzt für Luxuswohnungen und Geschäftszentren. Haben diese Bauformen etwas typisch Russisches? Ja, sicher. Aber die Frage nach dem Wesen dieser Architektur, ob das russische Nationalarchitektur ist? Nein, sicher nicht.
Globale architektonische Merkmale versus russische Bauformen?
Einige regionale Mentalitäten und ästhetische Vorlieben sind erhalten geblieben. Man kann dies aber nicht mit einer Entweder-oder-Dichotomie beschreiben. Die Zurückweisung der ein­fachen These von einer „absorbing modernity“, was eine „alles aufsaugende Moderne“ impliziert, steht im Zentrum unserer Ausstellung.
In welchen neuen Quartieren wird der Einfluss globaler Architektur in Russland besonders deutlich?
Man braucht sich bloß umzuschauen. Es gibt in Russland nur sehr wenige Orte, die noch unberührt von der „globalen“ Architektur sind. Moskau-City, der neue Central Business District, ein Konglomerat aus gläsernen Hochhäusern, ist vielleicht der krasseste Fall.
Ihr Pavillonthema für Venedig lautet „Fair Enough“ – genug Messen! Worum geht es?
Für unser Ausstellungskonzept verwenden wir das Prinzip einer Handelsmesse. Das ist unsere Antwort auf die alles absorbierende Moderne. Damit wollen wir die Aussage von Rem Koolhaas weder bestätigen noch bestreiten, wir wollen sie einfach konfrontieren mit etwas, das die ultimative Manifestation der Moderne ist: die interna­tionale Handelsmesse, eine wahrhaft universelle Typologie, in der millionenfach medizinisches Gerät und Kunst, gefakte Mobiltelefone, chemische Produkte, Dosennahrung und Vorhänge gehandelt werden. Wir benutzen für die Ausstellung die Sprache der Handelsmesse. „Fair Enough“ soll ausdrücken, dass wir den kommerziellen Kontext, in dem sich Architekten heute bewegen müssen, erkennen und akzeptieren, andererseits aber darauf hinweisen, dass dieser Typus des globalisierten Unternehmers zu dominant geworden ist. Dem muss man widerstehen.
Wie haben Sie Ihr Konzept entwickelt?
Wir haben zu Beginn einige Punkte festgelegt, an denen sich unser Konzept und die Recherche entlanghangeln: Uns war wichtig, die russische Architektur des letzten Jahrhunderts darzustellen. Dazu haben wir die Grundgedanken der gewählten Projekte herausgestellt und versucht aufzuzeigen, dass es sich lohnen könnte, diese Ideen wieder aufleben zu lassen, um heutigen globalen Problemen zu begegnen. Anschließend versuchten wir, diese visuelle, textliche und architektonische Essenz so zu gestalten, dass sie für den Besucher auch sinnfällig wird.
Was zeigen Sie?
Ein Projekt heißt „Moscow Metro Worldwide“. Es handelt sich um eine fiktive Firma, die wir uns ausgedacht haben, um die Architektur und Kunst der Moskauer Metro auszustellen. Wir wollen zeigen, wie die Sowjetunion bei der Gestaltung der öffentlichen Infrastruktur vorgegangen ist, bei der besonderer Wert auf die „Schönheit“ gelegt wurde. Unter Stalin wurde die Metro zum Stolz der Sowjetbürger. Die künstlerische Gestaltung sollte kulturelle Ideale fördern. Die prächtigen und teuren Materialien der Metrostationen waren zugleich Vorboten und Vision eines idealen Sozialismus und eine Belohnung für die Anstrengungen der Bevölkerung, um diesem Ideal näher zu kommen. Wir glauben, dass dieser Ansatz, öffentlichen Raum zu nutzen, um kulturelle Ideale zu kommunizieren und die Allgemeinheit mit einer glänzenden Infrastruktur zu beglücken, auch heute noch verbreitet ist. Um mögliche Anwendungen aufzuzeigen, haben wir im Stil des sozialistischen Realismus eine Reihe von Vorschlägen für ausgewählte Metropo- len gemacht, so für London, wo die multikulturelle Eintracht gefeiert werden soll; für Tokio, wo es um die Integration von Technologie im Leben der Menschen geht; für Shanghai haben wir ein Bild gefunden, das deutlich machen soll, welch nachdrücklichen Wert man in China auf die Erziehung und Familie legt. Jeder dieser Vorschläge basiert auf Originalen, die sich irgendwo im großen Netz der Moskauer Metro finden lassen. Sie sind für uns der Weg, um den universellen Wert und die weiterhin mögliche Anwendbarkeit dieses Ansatzes zu zeigen, den einige als kulturelle Besonderheit oder als veraltet bezeichnen.
Aus dem Englischen von Michael Goj
Fakten
Architekten Kalgaev, Anton, Moskau; Paramonova, Daria, Moskau; McGetrick, Brendan, Moskau
aus Bauwelt 21.2014
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x
loading

12.2025

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.