Bauwelt

Eine neue Perspektive

Editorial

Text: Kraemer, Oriana; Lengkeek, Arie; Schultz, Brigitte, Berlin

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    Drei aktuelle Großprojekte in Rotterdam: Der umgebaute Hauptbahnhof von Team CS (grün), die Markthalle von MVRDV (rot) und der Komplex "De Rotterdam" von OMA.

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    Drei aktuelle Großprojekte in Rotterdam: Der umgebaute Hauptbahnhof von Team CS (grün), die Markthalle von MVRDV (rot) und der Komplex "De Rotterdam" von OMA.

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„Open City“
Foto: Graffiti Research Lab, Rotterdam

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„Open City“

Foto: Graffiti Research Lab, Rotterdam


Eine neue Perspektive

Editorial

Text: Kraemer, Oriana; Lengkeek, Arie; Schultz, Brigitte, Berlin

Wie entwickelt sich heutzutage Stadt? Wer ergreift die Initiative, wer bestimmt, wer investiert, wer schreibt die neuen Geschichten, wer hat die Deutungshoheit? Unter den Vorzeichen der Wirtschaftskrise und unter dem Einfluss eines starken zivilgesellschaftlichen Engagements werden derzeit in vielen europäischen Städten die Rollen neu verteilt. Die alten, hierarchischen Modelle von Top-down und Bottom-up geraten in Bewegung.
Stadtverwaltung, Wirtschaft und Bürger testen neue Formen der Zusammenarbeit, in der sie sich zunehmend auf Augenhöhe begegnen. Der aktivere Part dieser „horizontalen“ Kommunikation kann dabei unterschiedlich eingenommen werden: Stadtverwaltungen öffnen sich Einflüssen von außen – Outside-in – oder vermitteln ihre Zielvorstellungen Inside-out im offenen Dialog in die Stadt. Ein Städtepaar, das diese neuen Herangehensweisen derzeit hervorragend verdeutlicht, sind Rotterdam und Antwerpen.
Outside-in: Rotterdam
Rotterdam galt lange Zeit als Inbegriff großmaßstäblicher Planung „von oben“, mit der die Stadt nach dem zweiten Weltkrieg ihre Innenstadt neu entwickelte. Inzwischen ist sie das Paradebeispiel einer Outside-in-Planung: Die Stadtplaner ha­ben sich in vielen Bereichen von ihrer alten Führungsrolle verabschiedet und holen neue Partner – privatwirtschaftliche wie bürgerschaftliche – mit ins Boot. „Wir haben früher Gott gespielt“, gibt Martin Aarts, ein leitender Planer der Stadt, in unserer Diskussionsrunde unumwunden zu. „Jetzt suchen wir nach einer fruchtbaren Form der Zusammenarbeit.“
Diese Strategie hat zu einer spannenden Mischung aus einzelnen architektonischen Stadtbausteinen auf der einen und kleinen Initiativen auf der anderen Seite geführt. Die Stadtbausteine, die als hybride Großbauten in der Innenstadt entstehen, sind allerdings – ohne Einbindung in eine übergeordnete Masterplanung – Fragmente, die eine große Verantwortung für die Erneuerung der Stadt tragen. Bei den vorgestellten Gebäuden – dem Hauptbahnhof von Team CS, der Markthalle von MVRDV und der „vertikalen Stadt“ De Rotterdam von OMA – sieht unser Autor diese schwierige Balance zwischen Privatinteressen und Gemeinwohl als gelungen an. Zukunftsfähiger scheint die Taktik der Stadt in Zeiten der wirtschaftlichen Flaute allerdings im kleinen Maßstab. So fördert sie Initiativen von Bürgern, Unternehmern und Kulturschaffenden, die ihr Recht auf Teilhabe am Bau der Stadt mit unkonventionellen Methoden wahrnehmen. Das reicht von Crowd-Funding, mit dessen Hilfe das Architekturbüro ZUS ein neues Wegenetz implementiert, bis zu einem Fondssystem, mit dem Wohnungsbaugesellschaften das Kapital ei­nes Quartiers neu verteilen. Gleich auf mehreren Ebenen wird zudem Stadterneuerung im Selbstbau angeregt: Während die Stadt den heruntergekommenen Baubestand ihrer Vorkriegsarchitektur als sogenannte „Bastelhäuser“ umsonst oder für wenig Geld an eine sanierungswillige Mittelschicht vergibt, renoviert ein privates Bauunternehmen nach dem selben Prinzip unter dem Label „Één blok stad“ mit den zukünftigen Bewohnern ganze Straßenzüge.
Inside-out: Antwerpen
Auch Antwerpen hat sich die Erneuerung der Stadt auf die Fahnen geschrieben, verfolgt diese aber Inside-out: Die Geschichte von Antwerpen wird zentral geschrieben und von der städtischen Verwaltung mit Hilfe des Strukturplans von Secchi und Viganò beständig nach außen getragen. Seit 1996 steuert ein Stadtbaumeister als qualitätssichernde Instanz diesen „Slow Urbanism“, der sich auf Grund seiner Gemächlichkeit und Kooperationsfreude als flexibel und krisenfest herausgestellt hat.
Ob eine städtische Gesellschaft in armen Vierteln verfallene Gebäude an strategischen Punkten aufkauft, renoviert und als familienfreundliche Stadthäuser wieder auf den Markt bringt oder ob Konversionsflächen, initiiert durch die Stadt, von Privaten revitalisiert werden  – Projekte aller Größenordnungen und Akteurskonstellationen müssen sich mit den Zielen des Strukturplans auseinandersetzen. Bewundernswert ist dabei, wie die Stadt Investoren nicht nur die Stirn bietet, sondern sie durch kluge Verträge und eine enge Zusammenarbeit zu Verbündeten macht. 
Dass man sich mit einem solchen Selbstbewusstsein  auch Feinde macht, zeigte sich im Februar mit der unerwarteten Absetzung des Antwerpener Stadtbaumeisters Kristiaan Borret, der engagiert mit uns an dieser Ausgabe gearbeitet hat. Ob Antwerpen es sich leisten kann, auf einen starken Stadtbaumeister zu verzichten, bleibt abzuwarten. Möglicherweise wird die fragile Balance zwischen Markt, Stadt und Bürgern gerade wieder einmal neu austariert.
Fakten
Architekten MVRDV, Rottedam; OMA, Rotterdam; Team CS
aus Bauwelt 12.2014
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