Bauwelt

„Der Architekt wendet sich wieder mehr dem Raum zu.“

Interview mit Hermann Kaufmann und Konrad Merz

Text: Aicher, Florian, Leutkirch

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Foto: Florian Aicher

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„Der Architekt wendet sich wieder mehr dem Raum zu.“

Interview mit Hermann Kaufmann und Konrad Merz

Text: Aicher, Florian, Leutkirch

Holzbauarchitekt und Holzbauingenieur – ein Gespräch mit Hermann Kaufmann und Konrad Merz über neue Entwurfs­freiheiten beim Holztafelbau, Holz als dritte Haut und die bedeutende Rolle der Zimmereibetriebe.
Holz, der CO2-neutrale Baustoff – hat das seinen Höhenflug beflügelt?
Hermann Kaufmann | Holz kann ja mehr! Es bindet, wenn es richtig verbaut wird, sogar CO2 für lange Zeit. Konrad Merz | Anstatt es tief in der Erde zu bunkern, wie bei der CCS (CO2-Abscheidung und -Speicherung). Und: Bauen mit Holz ist sinnvoller, als es zu verheizen – der Wettstreit Baustoff gegen Biomasse geht eindeutig zugunsten des Bauens aus. Dann: der geringe Aufwand, verglichen mit CO2-intensiven Baustoffen, ob Ziegel oder Zement (von Glas, Stahl oder Alu ganz zu schweigen). Das spricht schon für eine sorgfältige, der Aufgabe gemäße Wahl des Baustoffs.
Und für die Besinnung auf die zeitliche Dimension des Baus.
HK | Die Vorstellung, man baue bloß für eine Generation, hat sich mit der Wertsteigerung, die das energetische Bauen mit sich gebracht hat, erledigt. Heute muss man die Konzepte wie­der langfristig denken, was einschließt, für Veränderungen offen zu bauen. Jede zu enge Bindung wird fraglich, Puffer sind wünschenswert, etwa die hohen und großzügigen Räume, wie wir sie aus Gründerzeithäusern kennen.
Das Bild des Holzbaus hat sich in den letzten Jahren gewandelt, am auffälligsten vom Stab zur Platte.
HK | Mit der gestiegenen Aufmerksamkeit für den Holzbau, wie er bei uns gepflegt wird, ist eine Bauweise wieder in den Blick gekommen, die lange übersehen wurde: der Blockbau, das Stapeln langer Elemente zu Bauteilen.
KM | Der wirklich große Schritt, der uns weitergebracht hat, war das kreuzweise Verleimen von Brettern zu großen Platten. Zwei wesentliche Nachteile von Holz konnten so ausgeräumt werden: das Quellen und Schwinden und die Beschränkung durch die Maße des Stammes. Große, formstabile Formate sind heute möglich.
Das hat Folgen vielfältiger Art – für das Material, die Arbeit mit ihm, die Gestalt. Zunächst: das Material.
KM | Die neuen massiven Platten, konstruktionstypologisch dasselbe wie der Blockbau, bilden eine Schicht, die viel kann: Last abtragen, den Raum umhüllen, fertige Oberflächen bilden.
Ein „Alleskönner“ anstatt vieler Spezialisten – und der Stoff wird spürbar, die Bandbreite seiner Möglichkeiten.
KM | Es wird direkter! Wir haben nicht mehr Bauteile mit zehn bis 15 Schichten. Das hat eine große Attraktivität, führt direkt zum Bau – archaisch, einfach. Der Architekt wendet sich wieder mehr dem Raum zu und ist Fragen enthoben wie der: Was mach’ ich falsch beim technischen Zusammenbau von Schicht um Schicht?
HK | Fläche ist ja in der Architektur grundlegend und immer faszinierend, befreit von Raster und Ordnungszwängen. Fast könnte man sagen: Es gibt kein Raster mehr. Mit der Reduktion technischer Komplexität reduzieren sich Fehlerquellen und Problemzonen, Stichwort Bauphysik. Das ist auch für den Nutzer ein Gewinn.
KM | Dabei dürfen wir den Rahmenbau nicht aus dem Blick verlieren – unter dem Aspekt der Ressourceneffizienz ist er kaum zu schlagen und ist heute auch als Tafel verfügbar. Wenn wir, wie in den USA, zwei Drittel der Häuser in Holz ausführen würden, wären wir mit unseren Wäldern bald am Ende. Den Holzbau voranbringen, den Marktanteil verdoppeln – das wird mit Massivbau allein nicht zu schaffen sein.
HK | Wobei auch der Massivbau einen starken Impuls von der Frage erhielt: Was tun mit den wenig attraktiven Holzteilen, Seitenware etwa? Die sind jetzt in den Tafeln nicht sichtbar eingebaut. Auch das Problem der übernutzten Fichtenbestände und die Verbreitung anderer Holzarten infolge der Klimaerwärmung werden den Holzbau bewegen.
Die Verarbeitung hat sich stark verändert, der Maschinen­anteil ist gestiegen, Neues hinzugekommen. Das wird beim Hebezeug und Transport augenfällig.
KM | Da geht vieles nur industriell, die Herstellung der Platten erfordert große Investitionen, das bringt eine Verschiebung von lokalen Märkten zu überregionaler Versorgung mit sich. Der lokale Kreislauf des traditionellen Handwerks bricht auf. So, wie gehabt, ist es kaum mehr möglich.
So nicht, aber anders? Muss der örtliche Zimmerer aufhören?
KM | Das nicht – aber umstellen muss er sich!
HK | Die Diskussion kenn’ ich aus meinem Elternhaus, einer Zimmerei. Natürlich wird die Wertschöpfung im eigenen Betrieb in einem Bereich eingeschränkt – und wächst im anderen. Holzbau vor Ort, insbesondere bei der wachsenden Aufgabe Bauen im Bestand, wird es immer geben. Und mit der Vorfertigung nimmt der Holzbau insgesamt zu. Wären wir beim Blockbau vor 50 Jahren stehen geblieben, wäre der Holz­bau heute marginal. Dagegen ist der Holzbau nach oben gegangen – dank Leimholz, Brettstapel, Brettsperrholz.
Was hat sich beim Entwerfer verändert?
HK | In meinen Anfängen haben wir nur mit Stütze und Balken geplant und gebaut, offen, sichtbar, anspruchsvoll detailliert. Da haben wir gelernt, ums Eck, somit räumlich, zu denken. Das ist bei der Platte kaum noch nötig, die Platte befreit.
KM | Vorsicht! Bei der Platte kommt das Raster durch die Hintertür. Die Abmessungen sind limitiert, Verschnitt kostet. Noch immer gilt: Holzbau diszipliniert.
HK | Bei weitem nicht mehr so dramatisch! Konstruktiv ist vieles einfacher geworden. Holzbau boomt – etwa in London, wo die Tafeln über den Kanal angeliefert, montiert, dann verkleidet werden. Man braucht dafür nicht hochspezialisierte Fachkräfte. Das nähert sich dem Betonbau.
Doch die Vielfalt der Möglichkeiten – Skelettbau, Rahmenbau, Tafelbau – bleibt.
HK | ...und ist für den Architekten herausfordernd und interessant – kaum sonst kann er so breit experimentieren. Doch da liegt auch ein Problem: Der Holzbau wird unübersichtlich, wer nicht in der Materie ist, verläuft sich leicht. Wer zum ersten Mal Holzbau macht, steht vor dem Wald und sieht die Bäume nicht.
KM | Der Architekt hat die Qual der Wahl und droht sich zu verlieren. Beim Betonbau sind die Elemente – Stütze, Decke, Wand – Standard. Den gibt’s beim Holzbau nicht, keine Systemkomponenten. Jeder arbeitet an seinem Ding.
Ist da nicht eher die Begleitung des Entwurfs durch Ingenieure angesprochen, die beim Beton die Standards vermitteln?
HK | Jedenfalls müssen Holzbaubetriebe auf eigenes Risiko Vorleistungen erbringen, sie beraten die Architekten, wie es andernfalls Ingenieure tun. Gute Betriebe sind da enorm weit, das sind die Think-Tanks der Branche. Was die bringen, wird zu wenig anerkannt und abgesichert.
KM | Wenn wir den Holzbau voranbringen wollen, werden wir um Standards nicht herumkommen – zum Nutzen aller Beteiligter.
Standards auch in gestalterischer Hinsicht? Mitunter hat man den Eindruck, beim Holzbau geschähen lauter Wunderdinge. Dagegen steht die Warnung Ludger Dederichs (ehem. Leiter der Holzbaufachberatung im Holzabsatzfonds): Wir sollten nicht alles bauen, was gebaut werden kann.
KM | Wer ein Fahrrad aus Holz bauen will, warum nicht? Doch das ist kein Maßstab, wenn man den Holzbau voranbringen will. Da muss man fragen: Wo sind die Stärken des Holzbaus, und die sollten wir systematisieren.
HK | Man sollte Holz nicht als etwas anpreisen, mit dem ganz spezielle Dinge gebaut werden können, sondern als etwas für normale Dinge: Schulen, Gemeindebauten. Auch, was dem Holz gar nicht mehr zugetraut wird: Gewerbebau, Ställe...
Wohin geht die Reise?
HK | Mehrgeschossiges Bauen ist ein wichtiges Thema. Die Beschränkung des Holzbaus überwinden, die in Österreich bei vier, in Deutschland bei fünf Geschossen liegt. Wohin? Acht Geschosse bauen wir nächstes Jahr, die Hochhausgrenze im Blick. In 20 Jahren könnte das geregelt sein, auch brandtechnisch.
KM | In der Schweiz sind wir bereits bei sechs Geschossen.
HK | Beim Brandschutz, beim Schallschutz tut sich was, Experimente mit vorgefertigten Holz-Beton-Verbundelementen stimmen zuversichtlich. Buckminster Fuller hat vor vielen Jahren bemerkt: Je leichter ein Bauwerk, desto weniger Energie wird nötig. Was soll da dem Holz das Wasser reichen?
Doch Holz ist mehr – letztlich der Baustoff, der uns liegt. Otto Kapfinger hat’s so gesagt: Holz ist unter den Baustoffen der lebhafteste, der organischste und dem Humanen am nächsten.
KM | Das ist die entscheidende Botschaft: Es ist der Stoff, der uns ein Leben lang begleitet, von der Wiege bis zur Bahre, auf irgendeine Weise...
HK | Wir sind bei uns in Vorarlberg auf besondere Weise mit dem Stoff verbunden. Er ist unsere dritte Haut. Doch Bauen heute: Wenn ich von außen ans Haus klopfe: hohl und Plastik, wenn ich durch die Türe gehe: Plastik, wenn ich das Fenster öffne: Plastik, der Boden: klingt hohl, Plastik... Das soll unsere dritte Haut sein? Haben wir da mit dem Holz nicht et­was Wunderbares, Lebendiges, von hoher Glaubwürdigkeit?
Fakten
Architekten Kaufmann, Hermann, Schwarzach; Merz, Konrad, Dornbirn
aus Bauwelt 41.2010
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