Cocteau bei Ricciotti
Text: Sandwert, Gabriel, Paris
Cocteau bei Ricciotti
Text: Sandwert, Gabriel, Paris
Der US-Amerikaner Severin Wunderman schenkte 2003 seine Privatsammlung mit Werken von Jean Cocteau (1889–1963) der Stadt Menton. Den Wettbewerb für den vom Mäzen geforderten Neubau gewann Rudy Ricciotti. Das Interieur hinter der Fassade mit großer formaler Geste überzeugt nicht. Ausgestellt werden u.a. Zeichnungen, Manuskripte und Theaterarbeiten.
Das neue Haus steht am Ende einer ganzen Kette von Ereignissen. Da ist zunächst Jean Cocteau, der die Stadt Menton im Jahre 1956 für sich entdeckte. Er ließ sich an der Côte d’Azur nieder und malt 1958 den Hochzeitssaal im Rathaus mit seinen von der Orpheus-Sage inspirierten „Tätowierungen“ aus. 1960 überlässt ihm die Stadt die alte Bastion. Das kleine Fort aus dem 17. Jahrhundert richtet Cocteau als eine Art Nachlass ein – ein Testament in Pastell. Dieses erste Musée Cocteau, in dem unter anderem die berühmten „Innamorati“ gezeigt werden, eröffnet im Jahr 1966. Vor zehn Jahren trifft Severin Wunderman, Bewunderer von Cocteaus Schaffen und auf der Suche nach einem Ausstellungsort für seine Privatsammlung in Frankreich, auf Jean-Claude Guibal, Bürgermeister von Menton. 2003 überzeugt Guibal den Mäzen davon, seine Sammlung der Stadt zu vermachen. Die verpflichtet sich, im Gegenzug den Museumsbau dafür bereitzustellen. Der 2007 ausgelobte Wettbewerb kürt den südfranzösischen Architekten Rudy Ricciotti zum Sieger, am 6. November nun wurde das neue Museum feierlich eröffnet.
Im Umgang mit dem heterogenen Kontext des Museums, der mit seinen Häusern aus dem 19. Jahrhundert und einem historischen Marktgebäude eher an eine Operetten-Kulisse erinnert, entscheidet sich Ricciotti bewusst gegen die Empfehlungen von Stadtplanern. Stattdessen drängt er das Gebäude auf kleinstmöglichem Raum zusammen, um so vor der Markthalle einen Platz offen halten zu können. Die große Freifläche schmückt ein Mosaik aus Kieselpflaster mit der Darstellung einer Eidechse – eines von Cocteaus liebsten Tiermotiven – nach einer Originalvorlage aus der Bastion. Vom Grundgedanken eines respektvollen Umgangs mit dem Gesamtkontext ausgehend, hält der Architekt den Neubau sehr niedrig. Der Bau wirkt trotz der stark „aufgebrochenen“ Fassade kompakt.
Die glatte „Panzerschale“ aus weißem Beton, bei der man das Außenskelett eines Insekts oder Seetiers assoziiert, wird von massiven Pfeilern abgestützt: Pfeiler in kurvigen Formen, die an sich wiegende Hüften erinnern sollen oder an die Lockenpracht der Cocteau’schen Protagonisten. Der Architekt selbst beschreibt es als „fernes Echo auf Elemente in Cocteaus Zeichnungen. Die Stützen sollten tanzen, uns stand Marylin Monroe vor Augen oder auch Brigitte Bardot. Es ist eine manieristische, eine narrative Architektur, eine Architektur, die wie Kino funktioniert.“
Im Gegensatz zur Architektur, die sich von Cocteaus Traum-Kosmos inspirieren lässt und ihn auf eine ganz eigene Art umsetzt, ist die Gestaltung der Innenräume von größter Nüchternheit, die zur Fassade nicht widersprüchlicher sein könnte. Besonders die museografische Einrichtung von Elisabeth de Portzamparc ist uninspiriert. Im schlicht weißen Ensemble erscheinen die Hängeleisten reichlich plump, auch Vitrinen und Präsentations-Sockeln fehlt es an Anmut. Mit der Ausstellungsgrafik wurde Béatrice Fichet betraut. Sie hat die Informationstexte per Siebdruckverfahren direkt auf die Ausstellungsflächen aufbringen lassen. Unaufdringlich strukturieren die Hinweise auf den Wänden zwischen den Werken oder an den breiten Fronten der Hängeleisten den Parcours in thematische Abschnitte.
Die Dauerausstellungsfläche misst 700 Quadratmeter, die der kleineren Galerie für Sonderpräsentationen 280; neben den eigentlichen Ausstellungsräumen mit ihrem sorgfältig ausgearbeiteten Beleuchtungskonzept sind auf den 2700 Quadratmetern des zweigeschossigen Ensembles außerdem ein Grafik-Kabinett, ein Seminarraum für museumspädagogische Veranstaltungen, der Buch- und Museumsladen und das Café untergebracht.
Der Bau wurde in Ortbeton mit äußerst präzise ausgeführter Schalung gegossen. Um die Wirkung des Baukörpers auf Markt, Altstadt und Küstenlinie nach Möglichkeit zurückzunehmen, ist er ein wenig ins Erdreich abgesenkt. Wegen der Lichtschächte für das Untergeschoss führt der Zugang zu Museum und Café vom Vorhof aus über zwei schmale Stegbrücken.
Jedes Jahr eine neue Hängung
An die 1800 Arbeiten umfasst die Sammlung, jeweils etwa 250 Werke können dem Publikum gezeigt werden. Hinzu kommt außerdem eine Schenkung von Lucien Clergue, ein Konvolut von 240 Originalfotografien mit Bezug auf das Œuvre Jean Cocteaus. Neben Zeichnungen, Gemälden, Drucken, Keramiken, Teppichen, Büchern, Manuskripten und Fotografien des Künstlers selbst sind in der Ausstellung außerdem Werke seiner Freunde Picasso und Modigliani zu sehen. Jedes Jahr soll neu gehängt werden, um die ganze Bandbreite des vielseitigen Künstlers Jean Cocteau abbilden zu können: Dichter, Romancier, Dramatiker, Kritiker, Cineast, Schauspieler, Bühnenbildner, Maler und Autor so berühmter Filme wie „La Belle et la Bête“, „Testament d’Orphée“ oder „Les Enfants Terribles“.
Folgt man Rudy Ricciotti, ist „die endgültige Form eines Museums immer eine politische Entscheidung – „politisch“ im Sinne von „auf das Gemeinwesen bezogen“. Insofern ist der Architekt sehr zufrieden, dass das von ihm entworfene Gebäude an die „lisibilité populaire“, an die volkstümliche Lesbarkeit von Jean Cocteaus Schaffen, anknüpft.
0 Kommentare