Bauwelt

Chronisten

Austellungen mit Bildern von Henri Cartier-Bresson und Eugène Atget

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Alpes de Haute-Provence, bei Cereste, 1999
© Henri Cartier-Bresson /Magnum Photos

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Alpes de Haute-Provence, bei Cereste, 1999

© Henri Cartier-Bresson /Magnum Photos


Chronisten

Austellungen mit Bildern von Henri Cartier-Bresson und Eugène Atget

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Mit einem Schwenk der Kamera um ein paar Fuß oder einige Grade ließe sich die ganze Welt in einer Fotografie neu konfigurieren, soll Henri Cartier-Bresson sinngemäß gesagt haben. Wie also umgehen mit dem individuellen Kosmos, den jeder Fotograf erschafft – wenn Aufnahmen verstorbener Autoren präsentiert werden?
Zwei aktuelle Ausstellungen, zu Henri Cartier-Bresson und Eugène Atget, verfolgen ganz unterschiedliche Ansätze.
Das Kunstmuseum Wolfsburg widmet sich Cartier-Bresson unter dem Titel „Die Geometrie des Augenblicks“. Es bedient sich dazu einer Auswahl von 100 Motiven, die dieser wenige Jahre vor seinem Tod noch selbst für ein Buch und eine allerdings nicht mehr gezeigte Ausstellung traf. Der Querschnitt reicht von frühen Aufnahmen ab 1933 bis zum Jahr 1999, als der studierte Künstler schon längst lieber wieder zeichnete. Alle Fotografien zeigen Landschaften, wobei der Begriff weit auszulegen ist: Häufig sind Menschen als Akteure eingefangen, aber auch städtische Situationen, sozusagen als urbane Topografien. Diese persönliche Auswahl ist nun ja eigentlich von Cartier-Bresson autorisiert, man könnte ihn gar als Kurator der Ausstellung bezeichnen. Das Kunstmuseum sprengt allerdings diesen Rahmen, indem es die Fotokünstlerin Frauke Eigen mit einer Inszenierung beauftragte.
Eigens Fotos sind von höchster ästhetischer Qualität, mit einem ausgeprägten Hang zu einer japanisch anmutenden Reduktion. Gemäß ihrer Vorliebe hängte sie die Bilder des Altmeisters als Expedition durch Strukturen, Muster und Kompositionsmerkmale, indem sie die bildästhetischen Eigenschaften seiner Fotografien in den Vordergrund stellte. Das bietet beim ersten Durchgang einen frappierend geschmackvollen Genuss. Doch wurden zugunsten dieses Effekts narrative Stränge, beispielsweise einer frühen Bildreportage des kriegszerstörten Deutschlands oder aus dem Berlin des Mauerbaus, zerteilt. Die einzelnen Fotos sind nun anderen Eingruppierungszwängen unterworfen. Das ist dann doch etwas ärgerlich, wenn man Cartier-Bressons Vita und die Absicht seiner Arbeiten bedenkt. Für den Bildjournalisten ging es immer auch um die Geschichte im Bild. Er formulierte für sich die These des „entscheidenden Augenblicks“, in dem Kamera und Szene eins werden und ein sowohl inhaltlich dichtes als auch ästhetisch überzeugendes Foto entsteht. Der of­fene Blick und auch das Bewusstsein, mit dem Henri
Cartier-Bresson immer wieder seine Wahrnehmungs- und Aufnahmevorgänge reflektierte, werden in Wolfsburg einem ästhetischen Event geopfert.
 
Das Nederlands Fotomuseum in Rotterdam greift weiter zurück in die Grundfeste der Fotografie und zeigt mit „Vieux Paris“ Eugène Atget erstmals in den Niederlanden. Da die gegenwärtige niederländische Fotografie stark dokumentarisch ausgerichtet sei, so Direktor Frits Gierstberg, wäre es an der Zeit gewesen, den großen Archivar des vormodernen Paris umfassend darzustellen. Und dabei geht man sehr bedacht vor. Atget selbst betrachtete seine systematisch erarbeiteten Fotografien als visuelle Chronik im Verschwinden begriffener städtischer Phänomene, er organisierte und klassifizierte seine Dokumente in präzisen Systemen. Fünf prinzipielle Serien – Landschaften, Außenbezirke, Malerisches, Kunst sowie Topografie im alten Paris – untergliederte Atget in weitere Subserien und Alben. Letztere sollten auch dazu dienen, Künstler mit Motiven zu versorgen oder als thematisch verdichtete Fotobücher veröffentlicht zu werden, was allerdings zu Atgets Lebzeiten nicht geschah. Die Ausstellung respektiert diese Einordnungen und zeigt in sieben Abteilungen, entsprechend Atgets Alben, gut 200 Fotografien.
Bis auf wenige Reihen, die er ausdrücklich dem menschlichen Porträt widmete – beispielsweise den Straßenhändlern oder den Lumpensammlern in den aufgelassenen Befestigungsgürteln von Paris –, zeigen die Aufnahmen leere, wie verlassen wirkende Orte, die Atget bei Sonnenaufgang erfasste. Und da er sich prinzipiell solchen Errungenschaften wie dem Eiffelturm oder dem Automobil und den radikal durchgeplanten Haussmann-Quartieren verweigerte, wirkt Atgets Blick auf Paris anachronistischer und ungleich mysteriöser als die Entstehungsdaten zwischen 1898 und 1927 erwarten lassen. Walter Benjamin bemerkte dazu, Atget hätte Paris so fotografiert, als wäre es die Bühne eines Krimis, eines unklaren zumal, dessen gelegentlich auftretende Zeugen wohl kaum einem Kreuzverhör standhalten würden. Dem Bann dieser mehrdeutigen Stimmungen vermag man sich auch nach hundert Jahren kaum zu entziehen, die großzügige, sachdienlich arrangierte Ausstellung in Rotterdam eröffnet zudem Raum für ganz individuelle Investigationen.
Fakten
Architekten Cartier-Bresson, Henri, (1908–2004); Atget, Eugène, (1857–1927)
aus Bauwelt 41.2011
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