Bauwelt

Architekturstudentin in Tripolis

Interview mit Khawla K. Azzabi

Text: Zacharias, Marie-Christine, Braunschweig

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Architekturstudentin in Tripolis

Interview mit Khawla K. Azzabi

Text: Zacharias, Marie-Christine, Braunschweig

Nach dem Arabischen Frühling setzt die Bevölkerung in Libyen ihre Hoffnung auf einen Neuanfang, gerade die junge Generation scheint dazu bereit. Doch wie weit lassen sich bestehende Muster aufbrechen? Spüren auch die Frauen in Tripolis etwas von der Demokratisierung?
Marie-Christine Zacharias, Architek­tur-Studentin der TU Braunschweig, nahm am Se­minar „Spatial Justice“ des Instituts für Städtebau teil und sprach mit Khawla K. Azzabi, die in Tripolis Architektur studiert, über die Rolle der Frau nach der Revolution, den Alltag und ihre Aussichten als Architektin in Libyen.

Welche Auswirkungen hatte der politische Umbruch in Libyen auf die Rolle der Frau in der arabischen Gesellschaft?
Frauen werden selbstsicherer und selbstständiger. Einige gehen wählen, und einige haben sich seit der Revolution sogar beruflich selbstständig gemacht. Im Allgemeinen entwickelt sich eine Kultur der freieren Meinungsäußerung. Das hat nicht nur mit dem Akt der Revolution zu tun, sondern vielmehr mit dem Wandel des bisherigen korrupten Systems, für das sich die Frauen nach Meinung ihrer Männer nicht engagieren sollten.

Wie bewegen sich Frauen im öffentlichen Raum?

Frauen gehen ihrer Arbeit nach, tätigen Einkäufe, nehmen an Feierlichkeiten teil. Wir bewegen uns überwiegend mit dem Auto fort, Fahrrad fahren, wie im Westen,  ist für Frauen hier undenkbar. Es ist möglich, dass Frauen öffentliche Verkehrsmittel, also den Bus oder ein Taxi, nutzen, aber es ist nicht beliebt. Zu Fuß zu gehen ist nur bei älteren Frauen üblich, weil Belästigungen durch Männer weit verbreitet sind. Es ist üblich, nicht nach Sonnenuntergang unter­wegs zu sein. Aber auch das ist abhängig von dem Viertel, in dem man sich aufhält. Und auch bei bestimmten Feierlichkeiten in Libyen sind Dinge toleriert, die sonst zu tun untersagt sind, beispielsweise vor Eid Elfitr. Zu diesem
Fest am Ende des Ramadan sind viele Frauen auch noch zu sehr später Stunde auf den Straßen unter sich und bereiten das Fest vor.

Wie kleiden sich die Frauen in der Öffent­lichkeit?
Abhängig von der Region in Libyen – die Lebensweise speziell in Tripolis, aber auch in Ben­ghazi ist offener als in kleineren Orten – tragen die Frauen verschiedene Arten von Schleiern, die akzeptiert bis weniger akzeptiert sind. Westliche Kleidung kombiniert mit oder ohne Hijab [islamische Kopfbedeckung für Frauen, Anm. d. Red.] ist nicht akzeptiert, aber einige Frauen tragen sie dennoch.

Gibt es auch Unterschiede zwischen den Generationen?
Ältere Frauen geben sich im Hinblick auf weib­li­che Attribute äußerst bedeckt und zurückhaltend, aber sie haben im Grunde genommen mehr Freiheiten als jüngere Frauen.

Was bedeutet es für Frauen, in einem solchen gesellschaftlichen Klima zu studieren?
Studieren an sich ist kein Problem. Aber es ist von Stadt zu Stadt verschieden: In Tripolis werden Frauen gefördert, ihre Ausbildung abzuschließen. Natürlich ist es schwer für uns – wie auch für Frauen anderer Nationalitäten – herauszustechen und für etwas ausgezeichnet zu werden. Männer mögen es häufig nicht und fühlen sich durch den Erfolg einer Frau bedroht. Erfolgreiche Frauen werden hier oft auch als Mannweib bezeichnet. Sie werden nicht respektiert, ihre beruflichen Erfolge und ihre Qualifikation machen sie angreifbar und ihre Chancen geheiratet zu werden können sinken. Aber erst mit der Heirat, üblicherweise im Alter zwischen 25 und 30, erlangt eine Frau ihre soziale Anerkennung, und ihr muss dann mit Respekt begegnet werden.

Gibt es eine Teilung der Geschlechter an der Uni?
In Ausbildungseinrichtungen gibt es das, speziell in den Oberstufen der Schulen. Auch in vielen Bereichen im täglichen Leben findet man diese Trennung, um es beiden Seiten angenehmer zu gestalten. In den meisten Einrichtungen sind die Empfangsbereiche in einen Bereich für Männer und einen Bereich für Frauen separiert. Auch wenn man sich in einer Schlange anstellt, um zu warten, wird man sich automatisch nach Geschlechtern einreihen. In Läden, Supermärkten und Restaurants ist es Frauen zwar erlaubt, sich aufzuhalten, aber in vielen Cafés sitzen ausschließlich Männer. Ohne, dass es ausdrücklich ausgeschlossen wäre, treten Frauen dort nicht ein. Aber in der Fakultät für Architektur und Stadtplanung der Universität Tripolis, an der ich studiere, gibt es keine Unterteilung.

Wie sieht der Arbeitsalltag einer Architektin in Libyen aus?
Im Allgemeinen erlauben es die meisten libyschen Männer ihren Frauen nicht, zu arbeiten, nachdem sie verheiratet sind, weil es für die Frau eine große Verantwortung ist, für eine Familie zu sorgen. Die Männer, die es tolerieren, bevorzugen feste Arbeitszeiten, die die häuslichen Verpflichtungen einer Frau nicht behindern. Für Architektinnen ist es in Ordnung, zu arbeiten, solange es ein Bürojob in einem privaten Unternehmen oder für die Regierung ist. Manche werden auch einem Projekt zugeteilt, das sie von zu Hause aus bearbeiten können, und senden ihre Ergebnisse dann per Mail ins Büro. Im Endeffekt wird keine Arbeit akzeptiert, die lange Arbeitszeiten außerhalb des eigenen Hauses
erfordert, dass gilt ebenfalls für die Bauleitung oder Begehungen von Baustellen. Während des Studiums zu heiraten ist durchaus üblich. Viele junge Frauen, die Architektur studieren, heira­-ten während des siebten oder achten Semesters und schaffen es gleichzeitig, ihr Studium ab­zuschließen.

Möchtest du im Anschluss an das Architekturstudium eine Arbeit in Libyen suchen oder überlegst du, ins Ausland zu gehen?

Ich bin mir sicher, dass ich einen Job in meiner Region oder woanders im Land finden werde. Das Problem ist eher, dass ich mich so nicht weiterentwickeln kann und mir langfristig dann die breiten Erfahrungen fehlen werden, die eine Architektin haben sollte. Mein Bewegungsradius und das, was ich tun kann, sind eingeschränkt. Definitiv würde ich lieber unter besseren Bedingungen mein Studium abschließen und praktisch tätig sein.

Welche architektonischen Vorbilder haben libysche Studenten?
Es gibt viele bekannte Architekten, zu denen wir aufschauen. Der Großteil der Studenten mag Architekten wie Le Corbusier oder Frank Lloyd Wright, aus der nicht westlichen Welt sind es Zaha Hadid, Hassan Fathi oder Rasem Badran. Meine persönlichen Vorbilder sind Rem Koolhaas, Renzo Piano, Frank Gehry oder Tadao Ando.
 
Welche Vorstellung habt ihr von eurer beruflichen Zukunft?
Ich denke, die meisten verstehen Architektur eher als ein Geschäft und nicht als Berufung. Ich sehe eine besondere Seite meines Landes darin, dass es landschaftlich drei Elemente – das Meer, die Wüste und die Berge – vereint. Das sind Re­gionen, die jeweils eine ganz eigene Geschichte haben. Und sie bietet ein tolles Potenzial, ein­zigartige, nachhaltige Architektur zu formen, die ganz typisch nur für Libyen sein könnte.  

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