Architektur hören
Iannis Xenakis’ zeichnerisches Werk in Berlin
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Architektur hören
Iannis Xenakis’ zeichnerisches Werk in Berlin
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Iannis Xenakis gehöre zweifellos zu den bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, leitet die aktuelle Xenakis-Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste ein, als Architekt sei der griechisch-französische Künstler weniger bekannt. Nun, unter Architekten ist das eher andersherum.
Hier kennt man Xenakis, den studierten Bauingenieur, als langjährigen Mitarbeiter Le Corbusiers (von 1947 bis 1959), der maßgeblich am Parlamentsgebäude in Chandigarh, am Kloster Sainte-Marie de la Tourette und am Philips-Pavillon für die Brüsseler Weltausstellung 1958 beteiligt war. Und der in einer langen und heftigen Auseinandersetzung mit Le Corbusier, die mit der Entlassung von Xenakis endete, als einziger Mitarbeiter des Ateliers überhaupt erreicht hat, schließlich doch offiziell als Co-Verfasser genannt zu werden.
Dass der Komponist Xenakis vom Architekten Xenakis jedoch keinesfalls zu trennen ist, dass sein musikalisches Werk ohne sein architektonisches Schaffen wohl niemals den Weg hätte nehmen können, den es genommen hat, das wird in der Akademie der Künste einmal mehr deutlich. Die Ausstellung ist eine um eigenes Material ergänzte Schau des New Yorker Drawing Center, die sich vorrangig dem zeichnerischen Werk des Künstlers widmet. Zeichnerisches Werk, das heißt bei Xenakis neben Architekturskizzen vor allem Kompositionszeichnungen der unterschiedlichsten Art: akribisch auf Millimeterpapier gezeichnete Hyperbel-Scharen, die Xenakis in die 64-stimmigen Glissandi seiner ersten großen Orchesterkomposition „Metastaseis“ (1955) übersetzte; eine siebenzeilige Vektormatrix zu „Achorripsis“ (1956/57), mit der der Komponist die mit stochastischen Berechnungen ermittelte „Dichte der Ereignisse“, aufgeteilt nach Orchestergruppen, in unterschiedlichen Farben darstellte; eine Studie zu „Terretektorh“ (1964/65), die die Verteilung der Musiker im Konzertsaal skizziert und dazwischen die möglichen Wege des Premierenpublikums, das mit Klappstühlen ausgestattet und explizit dazu aufgefordert wurde, sich während der Aufführung immer wieder einen neuen Platz im Saal zu suchen; vielfarbige Skalen und Tabellen, die Xenakis halfen, die aufwendigen Licht-Klang-Inszenierungen seiner multimedialen „Polytope“ zu organisieren.
Das jeweilige Musikstück, auf das sich die Zeichnungen beziehen, lässt sich in der Ausstellung auch gleich anhören; es werden iPods ausgeliehen. Diesen geradezu synästhetischen Effekt sollte man sich keinesfalls entgehen lassen. Tatsächlich stellt sich vielfach das eindrucksvolle Gefühl ein, man würde die Zeichnungen selbst hören. Besonders augen- und ohrenfällig wird das beim Musik-Architektur-Paar „Metastaseis“ und Philips-Pavillon: Nicht allein, dass die erwähnten Hyperbeln der Kompositionsstudien, rein optisch, offenbar unmittelbar in die hyperbolische Paraboloidform des Pavillons mündeten – „Metastaseis“ scheint tatsächlich wie der Pavillon zu klingen, oder andersherum. Keiner vor Iannis Xenakis hat die Metapher von Architektur als „gefrorener Musik“ jemals so wortwörtlich umgesetzt.
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