Bauwelt

Verstehen, wie man Klimaziele erreichen kann

Ernst von Stegmann und Kika Brockstedt über ihre Datenplattform Revalu – und wie KI menschliche Fehler korrigieren und innovative Produkte sichtbar machen kann

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main

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Verstehen, wie man Klimaziele erreichen kann

Ernst von Stegmann und Kika Brockstedt über ihre Datenplattform Revalu – und wie KI menschliche Fehler korrigieren und innovative Produkte sichtbar machen kann

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main

Was war der Impuls für die Gründung von ­Revalu?
Kika Brockstedt Unsere Motivation war von Anfang an, zu verstehen, wie man Klimaziele erreichen kann. In Dänemark, in den Niederlanden, in Frankreich gibt es mittlerweile eine strenge Regulatorik, wobei die Klimaziele eine immer größere Rolle spielen. Dänemark beispielsweise hat 2023 für Neubauten CO2-Grenzwerte eingeführt, die je nach Gebäudetyp variieren. Ich lebe in Kopenhagen und habe dort eine Menge Leute – Architekten, Ingenieure und Bauherren – interviewt. Schnell wurde klar, dass es ihnen schwerfällt, diese Ziele zu erreichen, weil sie keine verlässlichen Umwelt-Daten über Bauprodukte haben. Und so haben wir mit einer Datenbank mit EPDs (Environmental Product Declaration) angefangen – Daten sammeln, sie sichtbar und zugänglich machen, damit sie in Planungs- und Bauprozesse einfließen können.
Es gab noch eine zweite Motivation bei uns im Team: In den vergangenen hundert Jahren haben wir ja hauptsächlich die gleichen Materialien benutzt. Wir wollten nachhaltigere Alternativen dazu sichtbar machen. Und so nehmen wir in unsere Datenbank auch innovative, biobasierte Materialien von Startups auf, um den Pool von Alternativen zu vergrößern. Wobei auch hier die Qualität der Daten unterschiedlich ist.
Ernst von Stegmann Das war schon überraschend. Als ich dazu gestoßen bin, hatte Kika bereits diese Vision. Und ich dachte, diese Mate­rialdaten gibt es garantiert. Leider – das war das Ergebnis unserer Recherche – sind diese Daten überall auf der Welt verteilt. Es gibt keine digital strukturierten Daten an einer Stelle, an der man wie in einer Bibliothek suchen kann, um sich über die Umwelt-Indikatoren für ein spezielles Produkt zu informieren. Diese Datenbasis haben wir jetzt geschaffen. Der zweite Schritt war, Produkten Sichtbarkeit zu geben, die nicht so bekannt, die nachhaltiger und innovativ sind, die von vielleicht noch ganz kleinen, unbekannten Unternehmen stammen. Das kann insgesamt einen Beitrag zur grünen Transformation der Bauindustrie leisten.
Und wie kommt nun KI in Ihre Datenbank?
Ernst von Stegmann Umweltinformationen über Baustoffe liegen in verschiedenen Dateiformaten und Medien vor – Excel-Tabellen etwa, PDF-Dokumente, technische Beschreibungen, Broschüren und so weiter. Wir benutzen KI, um diese Daten auslesen zu können und zu strukturieren. Darüber hinaus werden Informationen wie zum Beispiel EPDs von Menschen erstellt – und Menschen machen Fehler. KI arbeitet mit Wahrscheinlichkeiten, also haben wir ein KI-basiertes System gebaut, das Fehler – Anomalien – erkennt. KI funktioniert also auch als Qualitätssicherungstool für Daten.
Da sind Daten falsch interpretiert, zwei Werte vertauscht, Kommata verrutscht. Oft müssen die Einheiten – also Tonnen oder Kilogramm zu Beispiel – angeglichen werden. Wenn die KI erkennt, dass die Werte nicht den Mustern entsprechen, dann werden sie von unserem Team überprüft. Schließlich sind EPDs nicht konstant, theoretisch kann es eine Woche später schon wieder ein Update auf das EPD eines Produkts geben. Also ist auch die Aktualisierung dieser Daten automatisiert. Wir wollen ja, dass unsere Nutzer auf diesen Daten sprichwörtlich bauen. Und deswegen müssen wir sicherstellen, dass wir richtige Ergebnisse bekommen.
Sie erwähnten, dass Sie Architekten interviewt haben. Welche?
Kika Brockstedt Wir haben von Anfang an mit mehreren großen Büros zusammengearbeitet – mit Bjarke Ingels Group, mit Henning Larsen, mit Herzog & de Meuron oder dem sehr großen, in Deutschland nicht so bekannten skandinavischen Ingenieurbüro COWI. Wir haben Feedback direkt von der Industrie bekommen. Und wir sprechen mit progressiven Büros, die uns Input gegeben haben. Wir fragten Architekturbüros, ob sie Kollektionen von zehn Produkten und Materialien, die sie interessant finden, empfehlen können. Diese haben wir auf unserer Plattform veröffentlicht – da ist Werner Sobek dabei, Park Associati, Buro Happold oder Dissing+Weitling. Solche Büros haben die finanzielle Kraft und Kapazität, sich ein Nachhaltigkeits- und ein Scout­ingteam leisten zu können, das nach neuen Materialien sucht.
Haben Sie einen Überblick über Ihre Nutzer?
Kika Brockstedt Sie kommen vorwiegend aus Europa – vor allem Dänemark, Deutschland, Großbritannien. Insgesamt haben wir Nutzerinnen und Nutzer aus 91 Ländern.
Ernst von Stegmann Welche Materialien welchen ökologischen Fußabdruck haben, das ist ja kein exklusiv europäisches, sondern ein weltweites Problem. Und die Länder, die nicht den Luxus haben, dass die Hersteller qua Gesetz gezwungen werden, EPDs zu generieren, haben mit unseren Daten einen Anhaltspunkt.
Die Nutzung Ihrer Plattform ist zunächst kostenlos?
Ernst von Stegmann Wenn Sie sich für Produkte interessieren und mal gucken wollen, was es so gibt und was nachhaltig ist, dann können Sie das kostenlos tun. Wie in einer digitalen Bibliothek. Der User kann sich alternative Produkte für diesen Zement, für jenen Schaumstoff empfehlen lassen. Man kann sich auch Sammlungen von Materialien zusammenstellen, aber da sind Sie immer noch auf der Internet-Plattform. Wenn Sie dann mit den Daten rechnen, sie automatisiert herunterladen und per Schnittstelle in Ihre Systeme integrieren wollen, brauchen Sie einen Schlüssel zur Datenbank. Und dafür muss man zahlender Kunde sein. Wir ermöglichen darüber hinaus auch KI-Anwendungen für unsere Kunden. Also man kann die Plattform beispielsweise nach dem besten Beton mit dem kleinsten CO2-Fußabdruck fragen.
Was haben Sie mit Revalu weiter vor?
Ernst von Stegmann Bisher arbeiten hauptsächlich einzelne Personen mit unserer Plattform. Gleichzeitig hören wir aber auch immer wieder von unseren Nutzern, dass sie unsere Plattform gerne stärker in ihre Arbeitsprozesse mit Kollegen und Dienstleistern einbeziehen wollen.
Hierzu entwickeln wir gerade Lösungen, die den Informationsaustausch verbessern und die gemeinsame Entscheidungsfindung erleichtern.
Kika Brockstedt Wir wollen mit der Plattform einen effizienten Arbeitsplatz schaffen, und dazu müssen wir zusätzlich unsere Datenbasis erweitern. Die EPDs liefern vorwiegend Umweltdaten, die all das berühren, was zur Lebenszyklus­ana­lyse gehört. Aber es gibt ja noch Hunderte andere Parameter – wie Preis, technische Daten, Skalierbarkeit –, die eine Entscheidung für oder gegen ein Produkt beeinflussen. Gerade bei
den biobasierten Materialien ist die Feuerwiderstandsklasse sehr wichtig, weil immer noch das Vorurteil herrscht, sie seien leicht brennbar. Diese Feuerschutzdaten aber veröffentlichen die Hersteller nur selten – aus Wettbewerbsgründen. So gibt es auch hier wieder sehr unterschiedliche Quellen und Formate, in denen man suchen muss.
Wir haben viel über Nachhaltigkeit gesprochen. Andererseits braucht KI sehr, sehr viel Energie. Wie kriegen wir das zusammen?
Kika Brockstedt Wenn wir nachhaltig bauen wollen, dann müssen wir uns fragen, wie wir bauen, warum wir bauen, für wen wir bauen. Material ist natürlich nur ein Fragment. Aber um ein Pro­blem zu lösen, muss man irgendwo anfangen. Und das haben wir getan.


Ernst von Stegmann
ist promovierter Wirtschaftsinformatiker mit über 20 Jahren Erfahrung in Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz. Stegmann ist Mitbegründer der Revalu Impact AG, einer Plattform für Umweltinformationen zu Baumaterialien.
Kika Brockstedt
ist Mitbegründerin von Revalu. Zuvor hat sie nachhaltige Initiativen bei IKEA und SPACE10 geleitet und mitentwickelt, ­dabei insbesondere an der Energiewende und Projekten für zukünftiges Wohnen gearbeitet.

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