Bauwelt

Im Grunde ist nichts vorhersehbar im Bauen

Stefan Kurath über den Widerspruch zwischen gefühlter und wirklicher Natur der Arbeit von Architektinnen und Architekten – und was das mit KI zu tun hat

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main; Friedrich, Jan, Berlin

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Stefan Kurath

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Stefan Kurath


Im Grunde ist nichts vorhersehbar im Bauen

Stefan Kurath über den Widerspruch zwischen gefühlter und wirklicher Natur der Arbeit von Architektinnen und Architekten – und was das mit KI zu tun hat

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main; Friedrich, Jan, Berlin

Ihre These ist: Zwischen dem Bild des Architekten und der architektonischen Praxis gibt eine deutliche Differenz. Und das kann im Zusammenhang mit KI ein Problem werden. Erläutern Sie uns das ein bisschen genauer?
Ich selbst bin kein Digital Native und auch kein KI-Experte, aber mich interessiert der Diskurs über KI in der Architektur und mögliche Auswirkungen auf die Arbeit von Architekten. Mir ist aufgefallen, dass die wenigsten Leute überhaupt wissen, was Architektinnen und Architekten tun – und sie selbst reflektieren es oftmals auch zu wenig. In meiner empirischen Arbeit untersuche ich die Wirkungsgeschichte von Architekturplanung. Ich schaue mir die Praxis an. Und kritisiere ein Stück weit auch die Architekturgeschichte.
Was genau kritisieren Sie?
Der Architekturdiskurs rückt die Ideengeschichte zu sehr in den Vordergrund. Verkürzt gesagt: Am Morgen steht der Architekt auf, am Mittag hat er eine Idee, am Abend ist es gebaut. Aus Georges-Eugène Haussmann ist auf diese Weise diese übergroße Figur geworden, die über allem steht und Macht ihres Willens ganz Paris umbaut. Aber wenn man genau hinschaut, spielten selbstverständlich die Revolution, Ängste der Bürger und Napoleon III. eine große Rolle – soziotechnische Rahmenbedingungen haben die architektonische Praxis auch von Haussmann wesentlich bestimmt. Als Napoleon ins Feld ging und fort war aus Paris, sind wesentliche Planungen Haussmanns wie ein Grüngürtel um Paris nicht weitergeführt worden. Da zeigt sich die Relationalität des Schaffens der Architekten im Alltag – und die steht in einem großen Widerspruch zum Theoriediskurs der 1960er/70er Jahre, beziehungsweise dem Autonomiediskurs von Ungers oder Rossi – und noch vielmehr den späteren Missverständnissen daraus.
Die Folge ist ein Missverständnis über die Wirkmacht des Architekten?
Der Architekt muss es nur wollen, dann kann er eine ganze Stadt nach seinen Ideen bauen – das wird heute ja noch so rezipiert. Bei Architekturpublikationen gibt es wenige Ausnahmen, die nicht alles bereinigen, die nicht einfach nur den der Wirklichkeit angepassten Plan und das rea­lisierte Gebäude zeigen, sondern auch tatsächlich die Geschichte der Entwicklung. Peter Zumthor, der nicht klassisch Architektur studiert hat, ist eine Ausnahme. In seinen Publikationen findet diese Bereinigung nicht oder zumindest nicht so extrem statt wie bei anderen – zum Beispiel bei Valerio Olgiati, bei dem es scheinbar die eine Idee gibt, und dann wird das so gebaut.
In Ihrem Buch „Jetzt die Architektur“ haben Sie vor diesem Hintergrund die Entstehungsgeschichte der Therme in Vals untersucht.
Zumthor hat die Planung für die Therme dreimal erarbeitet. Den ursprünglichen Wettbewerbs­ent­wurf musste er bearbeiten, weil die Gemeinde, gedrängt von Beratern, plötzlich ein doppelt so großes Projekt wollte. Dafür konnte sie das Geld aber nicht aufbringen, und Zumthor musste das Projekt wieder verkleinern. Worüber er üb­rigens froh war. Das ist die Geschichte der heu­tigen Therme Vals, und Zumthor spricht offen darüber.
Eine Idee zu entwickeln und diese in der Zeit des Planens und Bauens und später des Nutzens stets mit neuen Anliegen anzureichern, mit Korrekturen, die kommen, wenn plötzlich Geld fehlt oder die Bauherrschaft doch etwas anderes will, dieses Aushandeln, dieses Dabeisein, ohne die architektonische Konzeption zu verlieren – das ist die eigentliche Leistung von Architektinnen und Architekten, das sind die Rahmenbedingungen architektonischer Produktion, die in Theorie und Geschichte viel zu kurz kommen.
Und diese Leistung ist eine, die auch künftig nicht durch KI zu ersetzen sein wird?
Das Interessante in der Wirkungsgeschichte von Architektur ist ja auch: Bei unterschiedlichen Projekten treffen niemals dieselben Akteure aufeinander. Oder, selbst wenn dieselben Planer und Architekten und Entwickler und Geldgeber aufeinandertreffen sollten, hätten sie immer wieder andere gesellschaftliche Abhängigkeiten, materielle Bedingtheiten andere Interessen und Vorstellungen zu bewältigen. Es gibt keine Wiederholungen in der Planung – und in diesem Sinn gibt es nur architektonische Unikate. Das wird interessant, wenn man in diesem Kontext die KI betrachtet, die ja alles wissen muss, um schnell rechnen zu können – was im Widerspruch steht zu der Tatsache, dass im Grunde nichts vorhersehbar ist im Bauen. Und in dieser Diskussion ist die KI anders zu beurteilen als in der Diskussion, Stützen, Bodenplatten und Fensterelemente zusammenzubringen. Stützen, Bodenplatten und Fensterelemente zusammenbringen, das kann die KI in Zukunft sehr viel besser, sehr viel schneller. Bekanntes reproduzieren – da hat KI ein großes Potenzial, und das wird sich noch stark weiterentwickeln.
Apropos weiterentwickeln: Viele hegen die Hoffnung, dass KI uns helfen kann, nachhaltigere, ressourcenschonendere Architektur zu entwerfen – jedenfalls gibt es eine Menge Werkzeuge, die das versprechen. Teilen Sie diese Hoffnung?
Dieser „stochastische Papagei“, wie KI auch genannt wird, der arbeitet mit bekannten Informationen und produziert in diesem Sinne Status quo. Wenn wir also die Ressourcen-, die Klima-, die Wohnungs-, die Biodiversitätskrise anschauen – das sind ja die Probleme, die wir in Architektur und Städtebau angehen müssen –, dann weiß ich nicht, ob es die Lösung ist, Planung mittels generativer KI effizienter zu machen. Jedenfalls dann nicht, wenn es genau die Art von Planung ist, die reproduziert, was in den letzten 50 Jahren zu diesen Krisen geführt hat. Für einen Paradigmenwechsel ist definitiv analytische KI und schließlich auch menschliche Intelligenz notwendig, die im Wissen um 2000 Jahre Architekturgeschichte und -diskurs den Status quo mit den richtigen Fragestellungen anreichert – und die richtigen Entscheidungen fällt, um die Zukunft nachhaltig zu beeinflussen.



Stefan Kurath
Jahrgang 1976, ist Architekt und Urbanist. Er betreibt sein eigenes Büro urbaNplus, Architektur und Städtebau in Zürich sowie Iseppi-Kurath in Graubünden. Kurath ist Professor für Architektur und Entwurf am Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen sowie Leiter des Instituts Urban Landscape mit Regula Iseli an der ZHAW. Er hat zahlreiche Bücher zum Thema der Wirkungsgeschichte der Planung sowie Gegenwart und Zukunft der architektonischen Praxis geschrieben. In seinen Essays greift er auch Fragen der Auswirkung von Digitalisierung und KI auf diese auf.

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