Zwischen den Kontinenten
Ehrentraut Katstaller-Schott, Karl Katstaller und die Architekturmoderne Mittelamerikas
Text: Schulz, Ansgar, Leipzig; Schulz, Benedikt, Leipzig
Zwischen den Kontinenten
Ehrentraut Katstaller-Schott, Karl Katstaller und die Architekturmoderne Mittelamerikas
Text: Schulz, Ansgar, Leipzig; Schulz, Benedikt, Leipzig
Am 6. Mai 1951 zerstörte ein schweres Erdbeben mehrere Städte des mittelamerikanischen Landes El Salvador. Kurz darauf berichtete die Bauwelt, dass die Regierung des Landes für ein Wiederaufbauprogramm nach ausländischen Architekten suche. Bewerberinnen und Bewerber sollten sich zu einer neunmonatigen Tätigkeit vor Ort verpflichten. Diese Nachricht veranlasste Ehrentraut Schott und Karl Katstaller, ihre Bewerbung an die Botschaft El Salvadors in Deutschland zu richten. Bereits im April 1952 traten sie ihre Reise ins Ungewisse an – und verbrachten schließlich den Rest Ihres Lebens in El Salvador.
So erzählt es das lesenswerte Buch „Zwischen den Kontinenten“ von Ivona Jelčić und Nicola Weber. Es vereint mehrere, voneinander unabhängige Themen zu einer eindrucksvollen Gesamtschau. Im Zentrum steht die Geschichte einer Architektin, gebürtig aus Wien und ausgebildet an der dortigen Akademie der Künste, die gemeinsam mit ihrem Partner und späteren Ehemann einen ungewöhnlichen Weg architektonischer Selbstverwirklichung einschlägt und in einem männlich dominierten Land und Berufsstand erfolgreich ist. Das Buch erzählt aber auch von Auswanderung und Migration in eine fremde Kultur, vom Leben und Arbeiten in einer von Aufbruch geprägten Gesellschaft ebenso wie von den Herausforderungen in einem schwierigen politischen Umfeld. Zudem erweitert das Buch den Blick auf die lateinamerikanische Moderne um das Geschehen in El Salvador, dem bisher in der architekturgeschichtlichen Aufarbeitung wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
Hinzu kommen spannende und derzeit wieder aktuelle architektonische Themen – etwa die Entwicklung einfacher typologischer und bautechnischer Lösungen, das klimagerechte Bau-en gegen die Sonne oder die Umsetzung innovativer, materialsparender Konstruktionen. Wer sich für die Klarheit und Radikalität der modernen Architektur Lateinamerikas begeistert, wird auch an diesem Buch große Freude haben. Die Inhalte wirken sorgfältig recherchiert, das Bild- und Zeichnungsmaterial ist umfangreich, und das handliche Format sowie die ansprechende Gestaltung überzeugen. Kleinere inhaltliche Doppelungen in den verschiedenen Textbeiträgen treten dabei in den Hintergrund.
Besonders beeindruckend ist das umfangreiche Œuvre von Ehrentraut Katstaller-Schott und Karl Katstaller. Neben größeren Bauaufgaben wie Schulen, Hochschulen, Markthallen, Verwaltungsgebäuden, Sportstadien, einer Bibliothek und einem Museum umfasst ihr Werk auch kleinere Projekte wie private Wohnhäuser, das spektakuläre Kassenhäuschen einer Sportarena sowie zahlreiche Möbelentwürfe. Konstruktiv interessant sind insbesondere ihre innovativen Hänge- und Schalendächer aus Beton, die zwischen den 1950er- und 1960er-Jahren entstanden.
Als sich die politische Lage in El Salvador in den 1970er-Jahren zunehmend verschärft, bleiben öffentliche Aufträge weitgehend aus. Das Ehepaar Katstaller-Schott konzentriert sich fort-an auf private Bauaufgaben. 1989 stirbt Karl Katstaller, und Ehrentraut führt das Architekturbüro allein weiter. Sie stirbt im Juli 2024 im Alter von 100 Jahren. Aus den ursprünglich geplanten neun Monaten in El Salvador sind 72 Jahre geworden.







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