Bauwelt

Still Crazy

Schlaglichter auf das gemeinsame Werk von Inken und Hinrich Baller 1966-89

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

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    Wohnhäuser Fraenkelufer 26, 38 und 44, Innenhof
    Foto: ufoufo

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Schlaglichter auf das gemeinsame Werk von Inken und Hinrich Baller 1966-89

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

Während ihrer gemeinsamen Schaffensphase konzipierten Inken und Hinrich Baller viele markante, expressiv-organische Bauten in West-Berlin. Diese werden aktuell in einer vom Berliner Kollektiv „urban fragment observatory“ kuratierten Ausstellung im Deutschen Architektur Zentrum (DAZ) genauer vorgestellt. Dabei liegt der Hauptfokus auf den ungewöhnlichen Detaillösungen und räumlichen Qualitäten der Gebäude, der persönlichen Herangehensweise des früheren Architektenpaares an ihre Projekte und den heute außerhalb von Berlin meist gar nicht mehr bekannten zeitgeschichtlichen Rahmenbedingungen (Hausbesetzerszene, Stadterneuerung) unter denen diese Bauten entstanden sind. Dies wird mit vielen Zeichnungen, zeitgenössischen und aktuellen Fotoaufnahmen, interessanten historischen Dokumenten und ganz unterschiedlichen Interviews facettenreich dargestellt.
Inken Baller (*1942) und Hinrich Baller (*1936) lernten sich während ihres Studiums an der TU Berlin kennen. Er war damals wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Bernhard Hermkes und dessen Verständnis von Architektur als Synthese von gestalterischer Form und Konstruktion sowie sein Faible für innovative Betonkonstruktionen beeinflusste die beiden nachhaltig. Dies wird in der Ausstellung immer wieder deutlich: in den aufgezeichneten Interviews, den Entwurfskonzepten und vor allem auch durch die ungewöhnlichen Beton- und Holzkonstruktionen, die mit vielen spannenden Baustellenfotos bis ins kleinste Detail vorgestellt werden. Denn Inken und Hinrich Baller etablierten eine ganz eigene, gestalterisch unverwechselbare Architekturlinie, in der schlanke Betonstützen, runde oder aber geschwungene Wände, Traufen und Treppenhäuser sowie nach oben gebogene Balkone ein zentraler Teil des Entwurfs sind, genauso wie die filigranen, häufig ornamental geschwungenen mintgrünen Metallelemente und –geländer.
Die beiden arbeiteten ab 1966 zusammen, führten danach bis 1989 ein gemeinsames Architekturbüro und verfolgten nach der Trennung unterschiedliche Berufswege. Ihre gemeinsamen Bauten waren ein vom damaligen Zeitgeist geprägter Versuch, in der Spätphase der Teilung Berlins im eingekesselten Westteil der Stadt mit neuen, teilweise organisch freien Formen und zeitgemäßen Konstruktionen aus Beton, Stahl und Glas die lokale Stadtentwicklung im Sinne einer kritischen Rekonstruktion fortzusetzen. Diese alternativen Gebäudekonzepte werden jedoch – weil bereits die formal-ästhetische Gestaltung der Fassaden, bei der Elemente des Jugendstils, des Expressionismus und der Moderne frei adaptiert und miteinander kombiniert werden, stark polarisiert - meist übersehen.
Daher liegt der Schwerpunkt der Ausstellung darauf, die Entwurfsprinzipien des Architektenpaares und die innenräumlichen Qualitäten der Bauten sichtbar zu machen. Die meisten Gebäude von Inken und Hinrich Baller sind in den 1970er und 1980er Jahren in West-Berlin im engen Reglement des sozialen Wohnungsbaus entstanden. Sie haben trotzdem schlanke Konstruktionen, helle Räume, große Balkone, ungewöhnliche Grundrisslösungen mit komplexen, flexibel nutzbaren Raumzusammenhängen und grüne Außenbereiche. Deshalb leben die meisten der Bewohner – laut den Audiobeiträgen - sehr gerne in diesen Wohnungen, obwohl etliche der Bauten in schwierigen Lagen, in schmalen Baulücken oder aber an sehr lauten Straßen entstanden sind. Dies führt in der Ausstellung zur grundsätzlichen Frage, was der heutige Wohnungsbau in Bezug auf das kostengünstige, nachhaltige Bauen und die Flexibilität der geschaffenen Räume auch weiterhin von den unkonventionellen Projekten des Baller-Büros lernen kann.
Denn die beiden haben - trotz ihrer umstrittenen gestalterischen Linie - nie den damals üblichen Investorengeschmack bedient. Sie waren mit zwei Torbauten an der Documenta Urbana (1979-82) in Kassel und in West-Berlin maßgeblich an der erneuten Hinwendung zum historischen Altbaubestand beteiligt. Am Kottbusser Damm konnten sie im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus (1976) eine ruinöse, bereits zum Abriss vorgesehene Mietshausfassade von Bruno Taut erhalten und in den oberen Etagen sogar wieder rekonstruieren. Mit ihren sensiblen städtebaulichen Eingriffen trugen sie zur Wiederbelebung und Aufwertung etlicher heruntergekommener Gründerzeitquartiere bei. Trotzdem musste 1983 das Richtfest der Lückenschließungen am Fraenkelufer (1979-85) in Kreuzberg, obwohl der Entwurf von Inken und Hinrich Baller von der Anwohner-Vertretung unter breiter Bürgerbeteiligung absegnet worden war und sich dabei gegen den von Jury favorisierten Entwurf von Álvaro Siza durchsetzen konnte, in der Ära der Straßenschlachten der Hausbesetzerszene unter Polizeischutz stattfinden.
Die Ausstellung präsentiert aber auch noch viele weitere zeitgeschichtlich interessante Dokumente, die – wie die Fotoaufnahmen der früheren Diskothek „Midnight“ (1975) mit ihren fächerförmigen Deckenstrukturen - den damaligen architektonischen Zeitgeist verdeutlichen. Vermutlich eher unbeabsichtigte Einblicke in die frühere bürointerne Arbeitsteilung erhält man durch ein umfangreiches, in der Ausstellung als Breitwandformat-Film präsentiertes Interview mit hohem Unterhaltungswert, in dem die bereits seit den 1960er Jahren auf der Baustelle und im Architekturbüro, später auch als Professorin erfolgreiche Inken Baller mit ihren scharfsinnigen und reflektierten Aussagen überzeugt, Hinrich Baller dagegen vor allem durch seinen extravaganten Auftritt mit dunkler Sonnenbrille und nahezu bauchnabeltief aufgeknöpftem Hemd in Erinnerung bleibt.

Visiting. Inken Baller und Hinrich Baller, Berlin 1966-89 | Ausstellung | Deutsches Architektur Zentrum DAZ | Wilhelmine-Gemberg-Weg 6, Eingang H1, 10179 Berlin | Bis zum 24. April 2022, Mi bis So 15 bis 20 Uhr | ► www.daz.de
Die Ausstellung wird vom 2. bis 26. Juni 2022 erneut im DAZ gezeigt


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