Bauwelt

Mit zeitlichem Abstand

Inken und Hinrich Baller erhalten den ­Großen BDA-Preis 2023 für ihr bis 1989 entstandenes gemeinsames Werk. Jahrzehntelang hat die Fachwelt mit diesen Bauten gefremdelt. Nicht so die junge Generation, wie die Wertschätzung unserer Autoren (Jahrgang ’89 und ’92) nahelegt

Text: Fink, Lukas, Berlin; Fink, Tobias, Berlin

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    Wohnhäuser am Fraenkelufer in Berlin-Kreuzberg (1980–84), hier die Bebauung entlang der Brandwand im Innenhof.
    Foto: Benedikt Hotze

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    Wohnhäuser am Fraenkelufer in Berlin-Kreuzberg (1980–84), hier die Bebauung entlang der Brandwand im Innenhof.

    Foto: Benedikt Hotze

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    Grundriss 1.–3. OG
    Zeichnung: Inken Baller und Hinrich Baller

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    Grundriss 1.–3. OG

    Zeichnung: Inken Baller und Hinrich Baller

Mit zeitlichem Abstand

Inken und Hinrich Baller erhalten den ­Großen BDA-Preis 2023 für ihr bis 1989 entstandenes gemeinsames Werk. Jahrzehntelang hat die Fachwelt mit diesen Bauten gefremdelt. Nicht so die junge Generation, wie die Wertschätzung unserer Autoren (Jahrgang ’89 und ’92) nahelegt

Text: Fink, Lukas, Berlin; Fink, Tobias, Berlin

Zum ersten Mal begegneten wir dem Werk von Inken und Hinrich Baller im Jahr 2017, als wir beide neu nach Berlin zogen. Bei Streifzügen durch die Stadt entdeckten wir immer weitere dieser etwas seltsamen, nicht gerade gefälligen, aber besonderen und lebendigen Bauten, die eigenwillig aus der Stadtlandschaft herausstechen. Geleitet von der Frage „Wieso sieht Berlin aus wie Berlin?“ waren die Ballers für uns der Startpunkt für eine Auseinandersetzung, die in dem Buch Berliner Portraits – Erzählungen zur Architektur der Stadt (Walther König, 2019) mündete. Inken und Hinrich Baller waren nicht die einzigen, die eigenwillige architektonische Antworten auf die Fragen ihrer Zeit entwickelten. Im Buch stellten wir ihrer Arbeit beispielsweise die von Rob Krier, Klaus Zillich, Manfred Zumpe oder Jan, Rolf und Roosje Rave gegenüber. Dennoch hatte und hat die Arbeit der Ballers in unseren Augen etwas Besonderes. Sie hat die Fähigkeit, emotional zu berühren und herauszufordern.
Dieses Jahr erhalten Inken und Hinrich Baller den Großen BDA-Preis für ihr bis 1989 entstandenes Werk. Die Jury würdigt ihre gemeinsame Arbeit „als eigenständige und ökologisch geprägte Entwurfshaltung, die unter den Bedingungen des sozialen Wohnungsbaus zu erstaunlichen Lösungen jenseits des Mainstreams führte. [...] Mit zeitlichem Abstand lässt sich diese Architektur aber aufgrund ihrer Haltung als heute noch vorbildlich begreifen: aufmüpfig, fröhlich, sozial und von eigenwilliger Schönheit.“
Was macht die Bauten der Ballers nach so langer Zeit aktuell? Als Architektur, die für ein Weltverhältnis der Ko-Existenz steht, geben sie Hoffnung, dass es möglich ist, auch innerhalb eines zerstörerischen Systems einen Gegenentwurf und lebenswerte Räume zu schaffen. Ein Verständnis, das in Zeiten multipler Krisen (und nicht nur dann) von höchster Aktualität ist.

Vorwärts zum Bestand

Doch es gibt weitere Parallelen zum Heute, die die Architektur der Ballers wieder in den Fokus rücken. In den 1980er Jahren gab es in Berlin vereinfacht gesagt zwei Lager: Die Architektinnen und Architekten der IBA-Neubau und die der IBA-Altbau. Die IBA-Altbau versuchte Schluss zu machen mit großflächigem Abriss, legte den Fokus auf die Reparatur bestehender Strukturen, weniger auf architektonische Neukreation. Die IBA-Neubau hingegen war gekennzeichnet durch eine eher distanzierte, intellektuelle und formale Herangehensweise an die Stadt. Die vielleicht ikonischsten Gebäude der Ballers, die 1984 fertiggestellten Bauten am Fraenkelufer, waren im Rahmen der IBA-Altbau entstanden. Kurz darauf erhielt Oswald Matthias Ungers 1987 den großen BDA-Preis. Auch wenn sich dieser circa zehn Jahre zuvor für ein Berlin als „Städtearchipel in einer grünen Natur­lagune“ (Die Stadt in der Stadt – Berlin: ein grünes Archipel, 1977) ausgesprochen hatte, stehen seine Bauten im Kontrast zu jenen der Ballers eher für ein akademisch-formales, weniger für ein am Bestehenden orientiertes Architekturverständnis.
Während der Umgang mit dem Bestand in den letzten Jahrzehnten eine etwas untergeordnete Rolle spielte, ist er heute ganz zu Recht wieder zentrales Thema. Ganz in diesem Sinne erhielten Lacaton & Vassal bereits den letzten BDA-Preis im Jahr 2020. Zwar sehen wir uns heute nicht mehr vornehmlich mit Baulücken oder Bauten der Gründerzeit konfrontiert, sondern mit der großen Baumasse der 1960er bis 80er Jahre. Vielleicht können wir dennoch von den Ballers (und vielen anderen) lernen, dass alles Bestehende wertvoll ist, dass der Umgang damit Freude machen kann – und dass Bestand nicht nur Gebautes bedeutet, sondern ebenso soziale Strukturen, bereits Gedachtes und gelebter Alltag.

Architektonische Vermittlungsarbeit

Erstaunlich ist, dass die Architektur der Ballers von ihren Bewohnerinnen und Bewohnern und der Nachbarschaft schon immer geschätzt wurde, während die Entdeckung und Anerkennung von Seiten der Disziplin fast fünfunddreißig Jahre brauchte. In der Laudatio des BDA heißt es: „Die […]
eigenständige Ästhetik war im Berufsstand nicht unumstritten, wurde in weiten Teilen der Bevölkerung aber als überaus populäres Markenzeichen der West-Berliner Szene wahrgenommen.“ Und Inken Baller bestätigt in einem Interview, das wir 2018 mit ihr führten: „Grundsätzlich haben wir eigentlich nie innerhalb des Mainstreams gearbeitet und nie besonders große Aufträge gehabt. Deswegen war unser Büro auch nie riesig. Wir haben während Hochphasen maximal zehn Leute gehabt, was eigentlich ganz schön gewesen ist.“
Hat die späte Würdigung – oder die lange Berührungsangst der Fachwelt mit den Ballers – mit der spezifischen Formensprache der beiden zu tun? Spielt Geschmack doch eine größere Rolle bei der Bewertung von Architektur, als gerne zugegeben wird? Und was führte zu diesem Perspektivwechsel? Sicherlich sind es verschiedene Trends, die die Architektur der Ballers heute in ein neues Licht rücken. Die aktuelle Baller-Ent­deckung zeigt allerdings auch etwas anderes: nämlich, dass Architektur nicht nur Bauen ist, dass ein Werk nie abgeschlossen ist und im Grunde genommen eine Vielzahl von Autorinnen und Autoren haben kann. So war die architektonische Vermittlungsarbeit einer jüngeren Generation sicherlich ein wichtiger Grund für die erneute Aufmerksamkeit. Unter anderen hat der Architekt und Autor Gunnar Klack die Bauten der Ballers schon vor Jahren fotografisch dokumentiert. Auch die Berliner Portraits verstehen wir als einen Beitrag zur Konstruktion eines „Berliner Architekturkanons“, aus dem die Ballers nicht wegzudenken sind. Und nicht zuletzt war die Arbeit von urban fragment observatory, die 2022 ein umfassendes Buch zu Inken und Hinrich Baller herausbrachten, sicherlich ein wichtiger Schritt, um erneut auf deren Arbeit aufmerksam zu machen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Was übersehen wir noch immer da draußen? Was gibt es noch alles zu entdecken und wertzuschätzen?

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