Bauwelt

Die Kultstätte der Rechten

Die Behauptung der Unterstützer des Wiederaufbaus, am „Tag von Potsdam“ sei die Garnisonkirche missbraucht worden, lässt sich nicht halten, blickt man auf ihre Geschichte nach 1918.

Text: Grünzig, Matthias, Berlin

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    Aufmarsch der „Bismarckjugend“ der DNVP am 22. Juni 1930.
    Fotos: Bundesarchiv

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    Aufmarsch der „Bismarckjugend“ der DNVP am 22. Juni 1930.

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    Waffenschmuck am Turmportal
    Foto: Bundesarchiv

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    Waffenschmuck am Turmportal

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    Innenraum der Garnison­kirche 1933 mit den erbeu­teten Fahnen besiegter Regimenter
    Foto: Bundesarchiv

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    Innenraum der Garnison­kirche 1933 mit den erbeu­teten Fahnen besiegter Regimenter

    Foto: Bundesarchiv

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    Gruft mit den Särgen von Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II., um 1935
    Foto: Bundearchiv

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    Gruft mit den Särgen von Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II., um 1935

    Foto: Bundearchiv

Die Kultstätte der Rechten

Die Behauptung der Unterstützer des Wiederaufbaus, am „Tag von Potsdam“ sei die Garnisonkirche missbraucht worden, lässt sich nicht halten, blickt man auf ihre Geschichte nach 1918.

Text: Grünzig, Matthias, Berlin

Die Potsdamer Garnisonkirche ist durch den „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 weltberühmt geworden. An diesem Tag wurde in dem Potsdamer Gotteshaus die symbolträchtige Gründungsfeier des Dritten Reiches begangen. Der berühmte Handschlag zwischen Paul von Hindenburg und Adolf Hitler symbolisierte das Bündnis zwischen den altpreußischen Traditionen und dem Nationalsozialismus.
Weniger bekannt dagegen ist, dass die Potsdamer Garnisonkirche schon vor 1933 eine deutschlandweite Rolle gespielt hatte. Die Kirche, die von 1730 bis 1735 durch den „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I, erbaut wurde, galt spätestens seit 1918 als der Symbolbau der ex­tremen Rechten schlechthin. Hier fanden zwischen 1918 und 1933 über 90 Veranstaltungen mit rechtsgerichteten Inhalten statt. Zudem wurde die Garnisonkirche wie kaum ein anderes Gebäude in Deutschland von rechten Kräften verehrt. Sie galt als „heiliger Ort der Erinnerung“, als „Heiligtum Preußen-Deutschlands“, als „nationales Heiligtum für jeden Preußen“, als „Wallfahrtsort aller national denkenden und fühlenden Kreise“, als „Wallfahrtsort von Millionen Deutscher“ und als „Pilgerstätte“, in der „die vaterländisch gesinnten Kreise sich Stärkung für den Kampf um das echte Deutschtum suchen“.
Warum erlangte gerade die Potsdamer Garnisonkirche diese Bedeutung? Für diese Entwicklung spielten vor allem drei Faktoren eine Rolle: Ein Faktor war die städtebauliche Dominanz der Kirche im Stadtbild. Die Garnisonkirche war mit ihrem 88 Meter hohen Turm das höchste Bauwerk Potsdams und dominierte die Stadtsilhouette. Zu dieser optischen Dominanz trat noch eine akustische Dominanz hinzu. Denn in dem Turm befand sich ein Glockenspiel, das in weiten Teilen der Stadt zu hören war und auf dem auch nationalistische Lieder gespielt werden konnten. Diese Merkmale machten aus der Garnisonkirche eine hervorragende Kulisse, vor der Machtansprüche öffentlichkeitswirksam inszeniert werden konnten.
Ein zweiter Faktor war die spezifische Architektur des von Philipp Gerlach entworfenen Gebäudes, die eine Hommage an die militärische Stärke Preußens darstellte. Vor allem der Turm war mit unzähligen Reliefdarstellungen von Waffenbündeln, Gewehren, Schwertern, Pfeilen, Pistolen, Helmen und Militärinstrumenten geschmückt. Auf den Gesimsen befanden sich Skulpturen, die erbeuteten Trophäen nachempfunden waren. Sie feierten mit Brustpanzern, Keulen, Waffen, Fahnen, Helmen, Schwertern und Pfeilen die Siege Preußens über seine Feinde. Auf der Spitze des Turms thronte eine Wetterfahne, die den Leitspruch Friedrich Wilhelms I. „Nec soli cedit“ („Selbst der Sonne weicht er nicht“) symbolisierte. Sie zeigte einen preußischen Adler, der sich kampfeslustig der Sonne entgegenstreckte. Alles in allem war der Turm der Garnisonkirche weniger ein Kirchturm als eine Siegessäule, die die militärische Macht Preußens zur Schau stellte.
Drittens schließlich war die Garnisonkirche mit einem wirkmächtigen politischen Mythos verbunden, nämlich dem „Geist von Potsdam“. Dieser „Geist von Potsdam“ beruhte auf einer Verherrlichung des alten Preußens während der Regierungszeit der Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II., also zwischen 1713 und 1786. Diese Zeit galt als besonders vorbildlich, weil Preußen damals eine umfassende Militarisierung der Gesellschaft durchgesetzt hatte. Friedrich Wilhelm I. wurde gerühmt, weil er das gan­ze Land „mit ungemein harter Hand“ zu Werten wie bedingungslosem Gehorsam, Treue bis in den Tod und Kampf bis zum letzten Blutstropfen erzogen habe. Eine ebenso große Wertschätzung erfuhren die militärischen Eroberungen Friedrichs II.. Nur dank dieser Werte sei es dem armen Kleinstaat Preußen gelungen, zu einer Großmacht aufzusteigen. Diese Werte sollten auch im 20. Jahrhundert dem Deutschen Reich den Weg zu einer Weltmachtrolle ebnen. Die Potsdamer Garnisonkirche war so etwas wie der Tempel des „Geistes von Potsdam“; in ihrer Gruft befanden sich die Särge von Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II..
Diese Eigenschaften machten die Garnisonkirche schon bald nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871 zu einer deutschlandweit bekannten Kultstätte. Ihre Rolle wurde durch zusätzliche Gestaltungselemente unterstrichen: Erbeutete Fahnen feindlicher Armeen, vor allem der französischen Armee, Medaillons mit den Namen siegreicher Schlachten und Ehrentafeln mit den Namen besonders tapferer Soldaten verwandelten die Kirche in eine Ruhmeshalle der preußischen und deutschen Armee. Hier wurden Regimenter gesegnet, die in den Krieg zogen, beispielsweise in die Kolonialkriege gegen China 1899/1900 sowie gegen die Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika 1904–07. Hier fanden Fürbittgottesdienste vor wichtigen Schlachten und Siegesfeiern danach statt.
Ein Geist als Halt
Einen nochmaligen Bedeutungszuwachs erfuhr die Garnisonkirche nach der Novemberrevolu­tion 1918. Dieses Ereignis veränderte die Lage in Deutschland radikal. Das Kaiserreich brach zusammen, der Kaiser floh in die Niederlande, die Sozialdemokraten übernahmen die Regierung. Der Krieg ging verloren, die Folge war ein harter Friedensvertrag, der mit Gebietsabtretungen verbunden war. Für die nationalistischen und militaristischen Kräfte kam diese Entwicklung einer Katastrophe gleich. Für sie war nicht nur eine Welt zusammengebrochen, sie litten auch unter einem Mangel an Orientierungsmöglichkeiten. In dieser Situation bot der „Geist von Potsdam“ für viele den einzigen Halt. Er entwickelte sich zur geistigen Grundlage, auf die sich die unterschiedlichsten rechtsradikalen und rechtsextremen Organisationen berufen konnten.
Ein zusätzliches Gewicht gewann der „Geist von Potsdam“ durch die Geschichtspolitik der neuen Republik, die sich eben nicht auf die preußischen Werte, sondern auf den „Geist von Weimar“ berief. Dieser wurde von Reichskanzler Friedrich Ebert auf der ersten Sitzung der Deutschen Nationalversammlung am 6. Februar 1919 in Weimar begründet. Er stand für Werte wie Demokratie, Liberalität, eine friedliche Außenpolitik und eine scharfe Absage an die preußischen Militärtraditionen. Der „Geist von Weimar“ entwickelte sich zu einem politischen Mythos, der auf unzähligen Veranstaltungen demokratischer Organisationen beschworen und gegen den „Geist von Potsdam“ in Stellung gebracht wurde. Diese Frontstellung sorgte auf der anderen Seite zu einem noch trotzigeren Bekenntnis rechtsextremer Kräfte zum „Geist von Potsdam“.
Deshalb war es nur folgerichtig, dass am 24. November 1919 in der Potsdamer Garnisonkirche eine große „Heldengedächtnisfeier“ stattfand, die als symbolische Gegenveranstaltung zur Eröffnungssitzung der deutschen Nationalversammlung am 6. Februar 1919 in Weimar konzipiert worden war. Als Hauptredner fungierte der Weltkriegsgeneral Erich Ludendorff, der damals als Führungsfigur des rechten Lagers galt. Ludendorff hielt eine programmatische Rede, in der er die Republik verteufelte und die demokratischen Kräfte für die Niederlage im Ersten Weltkrieg verantwortlich machte. Als Ausweg propagierte er eine Militärdiktatur, die das ganze Volk zu „Mannszucht, Pflichttreue und Vaterlandsliebe“ erziehen sollte.
Auch in den Folgejahren sorgte die Garnisonkirche durch rechtsextreme Veranstaltungen für Schlagzeilen. Mehr noch: Die Garnisonkirche übte eine geradezu magnetische Anziehungskraft auf Nationalisten, Antidemokraten und Antisemiten aller Couleur aus. Zu ihnen gehörte die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die bis 1930 die führende rechtsextreme Partei in Deutschland war. Ebenso präsent war der „Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten“. Dieser war eine Wehrorganisation, die Waffen besaß, Wehrübungen durchführte und einen gewaltsamen Sturz der Demokratie zum Ziel hatte. Häufig waren auch die zahlreichen Potsdamer Kriegervereine zu Gast, die im Reichskriegerbund „Kyffhäuser“ organisiert waren. Diese Verbände setzten sich vor allem für eine Aufrüstung und einen neuen Krieg ein. Zu den Nutzern der Kirche gehörte auch der Alldeutsche Verband. Dieser war eine antisemitische Denkfabrik, die schon 1924 die Vernichtung der Juden propagierte. Schließlich nutzte auch die NSDAP die Garnisonkirche als Kulisse für ihre Aufmärsche.
Eine Kirche für DNVP, Stahlhelm, Kyffhäuser-Bund und NSDAP
Auf all diesen Veranstaltungen wurde ein wahres Trommelfeuer gegen die Demokratie eröffnet. Hier wurde die Republik verteufelt, gegen andere Völker gehetzt und zu einem neuen Krieg aufgerufen. Am 18. Januar 1921 wetterte der evangelische Geistliche Johannes Vogel, 1912 zum Garnisonpfarrer an der Garnisonkirche und Hofpre­di­ger berufen, auf einer DNVP-Veranstaltung gegen die Republik, die er als „Armenhaus und Irrenhaus“ und „großes Reich der Lüge“ bezeichnete. Am 25. Juli 1926 forderte der Jugendbund „Volksgemeinschaft“ einen großdeutschen Staat, in dem „der letzte deutsche Bruder frei von feindlichen Sklavenketten als Sohn eines einigen großen Volkes leben kann.“ Am 23. Juni 1929 hetzte der „Stahlhelm“-Aktivist Georg Schultze gegen die Republik, unter der die deutsche Bevölkerung „den Feinden frohnen“ müsse und durch die Deutschland „allen fremden Nationen ein Spott geworden“ sei. Am 9. November 1930 erklärte der DNVP-Politiker Reinhold Seeberg auf einer Gedenkfeier zur Schlacht von Langemarck: „Am Gedenktage von Langemarck richten wir auch den Blick auf andere Novembertage, auf die von 1918 und die ihnen folgenden Zeiten, da Deutschland verstümmelt, geschändet, verhöhnt und ausgepreßt wurde. Diese Zeiten sind noch nicht überwunden, und um unser Volk aus der Verderbnis herauszuleiten, bedarf es der Führer, die erfüllt sind von jenem echt vaterländischen Geist, der in den Tagen von Langemarck unser Volk durchzog.“ Viele Veranstaltungen in der Garnisonkirche dienten dem Zusammenhalt zwischen den unterschiedlichen rechtsextremen Orga­nisationen. Das rechte Lager der Weimarer Republik war oft zerstritten, doch der „Geist von Potsdam“ und die Begeisterung für die Garnisonkirche waren eine verbindende Klammer, auf die sich alle Akteure einigen konnten. Diese Einigkeit wurde in der Garnisonkirche öffentlichkeitswirksam inszeniert. Ein Anlass waren die jährlichen „Heldengedächtnisfeiern“, die ab 1925 Ende Februar/Anfang März stattfanden und an denen zahlreiche rechte Organisationen beteiligt waren. Ein Ritual war der Einmarsch der Fahnenträger zu Beginn der Veranstaltungen. Die Fahnenträger der einzelnen Organisationen, also der DNVP, des „Stahlhelm“, der NSDAP, der Kriegervereine, zogen einträchtig in die Kirche ein. Anschließend nahmen sie im Altarraum Aufstellung und demonstrierten auf diese Weise ihre Zusammengehörigkeit.
All diese Veranstaltungen erfuhren eine wirkungsvolle Ergänzung durch das Glockenspiel. Auf ihm wurden nationalistische Lieder, wie „Die Wacht am Rhein“, „Siegreich woll’n wir Frankreich schlagen“ oder das „Westpreußenlied“ gespielt, diese waren dann in der ganzen Stadt zu hören. Angesichts dieser Traditionen war es kaum verwunderlich, dass die symbolische Gründungsfeier des Dritten Reiches, der „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933, in der Garnisonkirche begangen wurde.
Auch nach 1933 blieb die deutschlandweite Bedeutung der Garnisonkirche ungebrochen. Auf der einen Seite sorgte die Aufrüstung dafür, dass die Kirche zur „ersten Soldatenkirche der Wehrmacht“ avancierte. Sie entwickelte sich zum zentralen Ort der nationalsozialistischen Wehrmachtsseelsorge und damit der psychologischen Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs. Hier wirkte mit Werner Schütz deren führender Theoretiker, der schon 1937 das Buch „Soldatentum und Christentum“ publiziert hatte, in dem er den „totalen Krieg“ propagierte.
Auf der anderen Seite diente die Garnisonkirche als Wallfahrtsstätte der NSDAP: Hier fanden zwischen 1933 und 1945 über 100 Veranstaltungen von nationalsozialistischen Organisationen statt. Das Spektrum reichte von Fahnenweihen der NSDAP und der Hitlerjugend über die „Verpflichtung der Jugend“ auf Adolf Hitler bis hin zu nationalsozialistischen Weihefestspielen mit Titeln wie „Leuthen – Sieg des Glaubens“ oder „Ewiges Deutschland“. Die Zerstörung der Garnisonkirche durch einen britischen Luftangriff am 14. April 1945 setzte dieser Entwicklung ein Ende.
Fakten
Architekten Gerlach, Philipp (1679–1748)
aus Bauwelt 12.2020
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