Bauwelt

Kooperation in Kreuzberg

Das Dragonerareal am Mehringdamm soll zu einem Vorzeigequartier Berliner Stadtentwicklung avancieren. Der Wettbewerb für eine gemeinwohlorientierte Nachbarschaft hinterm Finanzamt ist entschieden.

Text: Haller, Ruth, Berlin

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Kooperation in Kreuzberg

Das Dragonerareal am Mehringdamm soll zu einem Vorzeigequartier Berliner Stadtentwicklung avancieren. Der Wettbewerb für eine gemeinwohlorientierte Nachbarschaft hinterm Finanzamt ist entschieden.

Text: Haller, Ruth, Berlin

Wo einst Kavalleriesoldaten Spalier standen, bearbeiten heute tagsüber Finanzbeamte Steuerbescheide und tummeln sich nachts Clubgänger. In Zukunft soll hier – neben bestehenden „lauten“ Gewerbeeinheiten und einem Biosupermarkt – ein neues gemeinwohlorientiertes Wohnquartier entstehen: Das städtebauliche Werkstattverfahren zum Dragonerareal in Berlin Kreuzberg ist abgeschlossen. Drei Teams haben dazu in einer fünfmonatigen Planung städtebauliche Entwürfe ausgearbeitet, von denen ein Gutachtergremium Ende Januar das Konzept der Planungsgemeinschaft SMAQ Architektur und Stadt, des Büros für Landschaftsarchitektur Man Made Land und Barbara Schindler von KulturKommunikation zur Umsetzung empfahl.
Die Jury lobte die „belastbare und robuste Konzeption“: Der empfohlene Entwurf arbeite die historische Differenz zwischen der ehemaligen Kasernenanlage und der gründerzeitlichen Blockrandbebauung heraus und schaffe gleichzeitig ein neues ausdrucksstarkes Stadtquartier.
Kaserne, Kleingewerbe, Kiez-Oase
Das Sanierungsgebiet „Rathausblock Kreuzberg“ gilt als Modellprojekt für gemeinwohlorientierte und kooperative Stadtquartiersentwickelung. Das 13,6 Hektar große Areal liegt zwischen Mehringdamm, Yorck-, Obentraut- und Großbeerenstraße. Zentraler Teil des Rathausblocks ist das sogenannte Dragonerareal. Es nimmt rund ein Drittel der Gesamtfläche ein und wurde nach der Garde-Dragoner-Kaserne benannt, die sich zwischen circa 1850 und 1919 auf dem Gelände befunden hatte. Seit den 1920er Jahren wird der Standort als Gewerbehof genutzt. Diese Anlage, mit mehreren baulichen Einzeldenkmalen, ist denkmalrechtlich geschützt. Momentan befinden sich 14 Gewerbebetriebe auf dem Gelände, darunter mehrere Kfz-Werkstätten, ein Marmorwerk und eine Polsterei, ein Getränke- und ein Biomarkt, Ateliers und der Club Gretchen. Diese gilt es im künftigen Nutzungskonzept zu integrieren. Zudem sollen weitere Flächen für „lautes Gewerbe“ geschaffen werden.
Das „Dragonerareal“ wurde Mitte 2019 im Rahmen des Haupstadtfinanzierungsvertrags an das Land Berlin übertragen. Es ist Bestandteil des Sondervermögens Daseinsvorsorge (SODA) und muss damit dauerhaft öffentliches Eigentum bleiben. Dadurch soll Raum für bezahlbaren Wohnungsneubau, Gewerbebetriebe sowie Flächen für Kunst und Kultur bereitgestellt werden.
Nicht veräußerbarer Bauplatz
Nach jahrelangem Engagement von stadtpolitischen Initiativen und Nachbarschaftsgruppen gegen die Privatisierung des Dragonerareals haben sich im Jahr 2018 die Akteure des Modellprojekts zusammengeschlossen und eine Kooperationsvereinbarung geschlossen. Sechs Projekt-Partner bilden die „Koop6“: das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, das Vernetzungstreffen Rathausblock sowie Delegierte aus dem Forum Rathausblock, des Berliner Immobilienmanagements (BIM) und der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM). Die Kooperation hat das städtebauliche Werkstattverfahren ausgelobt und im Sommer 2019 angestoßen.
Für das nichtoffene, kooperative und diskursive Werkstatt-Verfahren wurden durch ein vorgeschaltetes Auswahlverfahren drei Planungsteams aus einem Bewerberpool ausgewählt: das Institut für angewandte Urbanistik (Ifau) mit Stadt Land Fluss und friedburg & hhvh, zudem das Architekturbüro Robert Neun zusammen mit BeL und Studio Vulkan sowie SMAQ Architektur und Stadt mit MML und Barbara Schindler.
Vier Kolloquien begleiteten das komplexe Werkstattverfahren, in denen ein „Obergutachtergremium“ gemeinsam mit Sachverständigen und Vertretern der sechs Kooperationspartner über die Entwürfe beriet. Zudem gab es öffentliche Veranstaltungen, Zwischenpräsentationen und Werkstätten, in welchen die entwickelten Konzepte mit interessierten Bürgern und Anwohnern diskutiert wurden.
Idee mit Fug’ und Platz
Zentrale Entwurfselemente in der ausgewählten Arbeit um die Planungsgemeinschaft von SMAQ bilden die neue Mittelachse mit dem Kiezhof und Austausch-Platz, eine Urbane Fabrik sowie eine prägnante Grünfuge, die sich als Freiraum von Nord nach Süd durch das Areal zieht und das Zusammentreffen der unterschiedlichen Quartiersteile betont. Nach Angaben der Entwurfsverfasser sollen im Planungsgebiet insgesamt 525 neue Wohnungen entstehen, davon 405 von der WBM und 120 gemeinwohlorientiert entwickelt. Die ehemaligen Reithallen und Remisen sollen erhalten bleiben, ein 16-stöckiges Wohnhochhaus soll einen neuen Mittelpunkt bilden. Sowohl das Finanzamt als auch das Rathaus erhalten Erweiterungsbauten.
Tragfähig in die Zukunft
Bereits in der Ausschreibung waren ökologische Aspekte, etwa Regenwasserrückhaltung auf Dächern und im Freiraum, Photovoltaik- und Solarthermie-Nutzung gefordert, sowie ca. 1000 Fahrradstellplätze und Flächen für Mobilitätsstationen unterzubringen. Auf Grundlage des Siegerentwurfs stellt der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nun den Bebauungsplan für das Entwicklungsgebiet auf. Im September 2021 sollen erste Baumaßnahmen beginnen können.
Wie der Jury-Vorsitzende, Rudolf Scheuvens erklärte, steht nun zunächst das städtebauliche Grundkonzept: „Mit diesem Ergebnis haben wir einen wichtigen Meilenstein in dem anspruchsvollen und beispielgebenden Entwicklungsprozess erreicht. Dieser Weg wird im positiven Sinne herausfordernd.“
Kooperatives, nicht anonymes, städtebauliches Werkstattverfahren

Teilnehmer mit Umsetzungsauftrag
(53.000 Euro) SMAQ Architektur und Stadt, Berlin; Man Made Land, Berlin; Beraterin: Barbara Schindler
Teilnehmer (53.000 Euro) ifau Institut für angewandte
Urbanistik, Berlin; Stadt Land Fluss, Büro für Städtebau und Stadtplanung, Berlin; friedburg & hhvh: friedburg&Co Hahn Hertling von Hantelmann, Berlin; Marius Töpfer; Renée Tribble; Lisa Marie Zander
Teilnehmer
(53.000 Euro) Robertneun Architekten GmbH, Berlin; BeL Sozietät für Architektur, Köln; Studio Vulkan Landschaftsarchitektur GmbH, Zürich und München; Guido Spars; Marco Wedel BA Building Applications; Stadt- und Verkehrsplanungsbüro Kaulen
Fachoberbegutachtung
Maria Clarke, Berlin; Sebastian Fiedler, Lübeck; Martin Fröhlich, Berlin; Undine Giseke, Berlin; José Gutierrez Marquez, Berlin; Rudolf Scheuvens, Dortmund/Wien (Vorsitz); Tatjana Schneider, Braunschweig
Auslober
Kooperationspartner: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg Berlin, Berliner Immobilienmanagement, Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte, Vernetzungstreffen der Initiativen im Rathausblock, Forum Rathausblock
Verfahrenskoordination
Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung u. Wohnen
Verfahrensvorbereitung und Durchführung
BSM, Berlin
Moderation
BSQB Büro für Stadt, Quartier und Beteiligung, Berlin

1 Kommentare


Wie kann das sein?meeow

Keiner der 3 Teilnehmer, geschweige denn der Gewinnerbeitrag, berücksichtigen in angemessener Weise den Bestand. Der historische Rathausteil wird respektlos überbaut, in solcher Weise, dass nicht nur historische Dächer, sondern auch ganze Fassadenteile entfernt werden. Auf eine naive Weise, in der es statisch teilweise nicht einmal realistisch wäre. Die Neubauten haben Tiefen, in denen sich keinerlei angenehm belichtete Räume realisieren lassen. Stadtplanerisch ist das die reinste, zusammenhanglose Zersiedelung. Wieso gibt der Bestand keinen Rahmen für das Neue? Warum werden wieder Kuben in den freien Raum gestellt, die besser auf einer freien Fläche im Neubaugebiet von Kacknitz an der Gülle aufgehoben wären? Ich dachte die Zerstörung der Stadt der 60er und 70er Jahre sei uns eine Lehre gewesen. Wieso machen wir das dann trotzdem immer wieder? Keiner dieser Entwürfe hat auch nur eine Hauch von Charakter. Es ist peinlich für Berlin. Dieses Gelände hat so viel Potenzial und Geschichte und was kommt dabei raus... ein Entwurf auf 4. Semester-Niveau. Es ist traurig.


 
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