Im Keller der Buddenbrooks
In diesem Jahr wird der 150. Geburtstag von Thomas Mann gefeiert – allerdings nicht im Lübecker „Buddenbrookhaus“, Schauplatz seines weltbekannten Romans. Das Museum ist eine Baustelle, deren Fortschritt von einem Streit um die geplante Durchstoßung von vier mittelalterlichen Gewölbekappen verzögert wird.
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Im Keller der Buddenbrooks
In diesem Jahr wird der 150. Geburtstag von Thomas Mann gefeiert – allerdings nicht im Lübecker „Buddenbrookhaus“, Schauplatz seines weltbekannten Romans. Das Museum ist eine Baustelle, deren Fortschritt von einem Streit um die geplante Durchstoßung von vier mittelalterlichen Gewölbekappen verzögert wird.
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Jahrhundertelang war die im Mittelalter entstandene Mengstraße eine prestigeträchtige Lübecker Adresse. Hier wohnten wohlhabende Ratsherren und Kaufleute. Das 1758 erbaute, später als Buddenbrookhaus bekannte gewordene Haus in der Mengstraße 4 gehörte 50 Jahre lang der Familie Mann. Die Großmutter von Heinrich und Thomas Mann lebte dort bis zu ihrem Tod 1890. Das Gebäude wurde 1891 verkauft – und 1942 stark zerstört genauso wie große Teile des umliegenden Gründungs- und Kaufmannsviertels zwischen Marienkirche und Trave. Die barocke Straßenfassade blieb erhalten, auch die Kellergewölbe überstanden die Luftangriffe. Beim Wiederaufbau 1957 wurde hinter der historischen Fassade ein neues Bankgebäude errichtet. 1991 kaufte die Hansestadt Lübeck mit Unterstützung von Bürgerschaft, Bund und Land Schleswig-Holstein das Haus. 1993 eröffnete dort ein Heinrich-und-Thomas-Mann-Zentrum mit Ausstellung, Spezialbibliothek und Archiv.
Die mittlerweile „Buddenbrookhaus“ genannte Institution versteht sich als „Erinnerungsort für die Familie Mann und deren literarisches Werk“. Ab 2000 wurden rekonstruierende Inszenierungen von im Buch beschriebenen Räumen gezeigt und die Geschichte des Romans, seine Entstehung und der Skandal, den sein Erscheinen hervorrief, beleuchtet. Original-Exponate besitzt das Museum kaum. Als Schauplatz der Erzählung und ihrer Verfilmungen hat der Ort trotzdem überregionale Strahlkraft: Mehr als 90 Prozent der Besucher kommen nicht aus Lübeck, viele aus dem Ausland.
Mengstraße 6
Der überwiegende Teil der Lübecker Altstadt ist seit 1987 Unesco-Welterbe. Ausgeklammert wurden die Bereiche, die 1942 stark zerstört und beim anschließenden Wiederaufbau verändert wurden. Auch die Mengstraße gehört lediglich zur Pufferzone, obwohl hier noch einige der ältesten Gewölbekeller der Stadt überliefert sind. Sie werden jedoch – weil die Denkmalinventarisation die Gebäude früher „vornehmlich von außen begutachtet“ hat – erst nach und nach auf die Denkmalliste aufgenommen.
Die Dauerausstellung des Buddenbrookhauses war irgendwann nicht mehr zeitgemäß, und die Flächen reichten für unverzichtbare Neuerungen (Museumspädagogik, interaktive Wissensvermittlung, Veranstaltungen) nicht aus. Es gab Probleme mit dem Brandschutz und der fehlenden Barrierefreiheit. Außerdem entsprach der für eine Sparkassennutzung konzipierte Nachkriegsbau nicht den Anforderungen eines Museums. Um einen Erweiterungsumbau des Buddenbrookhauses zu ermöglichen, finanzierte der Bund 2011 den Ankauf des benachbarten Hauses Mengstraße 6 und überließ das Gebäude der Stadt zur Nutzung. Es besteht aus Gebäudeteilen und Versatzstücken unterschiedlichster Zeiten und Provenienz. Die historische, beide Gebäude verbindende Brandwand ist denkmalgeschützt und darf daher im Grunde nur an den bereits vorhandenen Störungen wieder durchbrochen werden.
Die barocke Straßenfassade wurde dagegen nach dem Krieg abgerissen, stattdessen 1955 ein Neubau errichtet, vor dessen Obergeschossen eine ursprünglich aus dem frühen 14. Jahrhundert stammende, aus der Fischstraße 19 translozierte „gotische“ Fassade mit Treppengiebel frei „rekonstruiert“ wurde. Bei der Neuanbringung wurden deutliche Veränderungen in Bezug auf die Proportionen und die Anordnung der Backsteine vorgenommen. Die neu geschaffene Erdgeschosszone hat zudem eine zweispurige Hofdurchfahrt. Das Ganze war eine damals übliche Vorgehensweise, weil – trotz moderner Wiederaufbaubestrebungen – die Relikte der verloren gegangenen Bauten erhalten werden sollten. Die neukomponierte Fassade wurde bereits 1967 unter Denkmalschutz gestellt, „als wichtiges Zeugnis für den Wiederaufbau der 1950er-Jahre, der als interpretierte Kopie eines für Lübeck typischen Kaufmannhauses verstanden wurde“.
Lange Zeit weitgehend unbeachtet blieb die mehrteilige, im 20. Jahrhundert stark verbaute Kelleranlage, bei der es sich um großzügige Gewölbekeller des 13. und des 18. Jahrhunderts handelt. Die straßen- und hofseitigen Kellerbereiche haben mittelalterliche Kreuzgratgewölbe, der dazwischenliegende Bereich wird von deutlich neueren, flacheren Gewölben überspannt. Dieser Gewölbekeller wurde 2011 nachgelistet.
Machbarkeitsstudie und Wettbewerb
Eine Machbarkeitsstudie, in die auch die Denkmalpflege und der städtische Welterbe-Beauftragte eingebunden war, kam 2014 zu dem Ergebnis, dass eine Erweiterung des Buddenbrookhauses um das Grundstück der Mengstraße 6 möglich sei – mit dem Abriss oder grundlegenden Umbau der hinter den denkmalgeschützten Fassaden liegenden, mehrfach veränderten Nachkriegsbauten. Mehrere Umbauvarianten wurden erarbeitet, von denen eine bereits einen Durchbruch durch das mittelalterliche Kellergewölbe der Mengstraße 6 für den Einbau eines Treppenhauses vorsah.
Auf Grundlage der Machbarkeitsstudie wurde Ende 2017 ein Realisierungswettbewerb zur Planung des Erweiterungsum-/Neubaus des Buddenbrookhauses inklusive der gestalterischen Neukonzeption der Dauerausstellung ausgeschrieben. Der erste Preis ging im März 2018 an das Lübecker Architekturbüro TMH mit Jörn Simonsen (THM & S), die sich als ortsansässige Planer mit der Stadtgeschichte gut auskennen und deren Entwurf laut Jury „in nahezu idealer Weise, die Intentionen des Auslobers erfüllt. Hier ist insbesondere die umgesetzte Einheit von Architektur und kuratorischer Grundidee zu nennen.“
Zentrale Entwurfsidee ist eine gemeinsame, unmittelbar an der denkmalgeschützten Brandwand sitzende Kaskadentreppe, die vom Erdgeschoss bis ins oberste Geschoss verläuft und zwischen den unterschiedlichen, durch die denkmalgeschützten Fassaden vorgegebenen Geschosshöhen vermittelt. So ergibt sich ein als „Reise durchs Haus“ konzipierter Rundgang, der im Buddenbrookhaus (aufsteigend) mit den Manns in Lübeck (Elternhaus, die feine Gesellschaft der Kaufmannsdynastien, den Romanen etc.) beginnt und dann in der Mengstraße 6 (absteigend) die Zeit der Manns im Exil thematisiert. Die Ausstellungsflächen würden sich – durch die Zusammenlegung der beiden Gebäude – stark vergrößern.
Die Architekten wollten auch die Gewölbekeller zugänglich machen. Dafür sollten diese saniert werden. Dort waren Räume für Veranstaltungen, Museumspädagogik, Garderoben und Toiletten vorgesehen, zusammen mit einer weiteren Treppenanlage. Der geplante Eingriff sollte kleiner ausfallen, als in der Machbarkeitsstudie projektiert.
Diskussion um die Treppe
Obwohl bereits in den ersten beiden Leistungsphasen Kontakt zu allen beteiligten Abteilungen aufgenommen wurde, kam es ab Ende 2020 zu einem sich aufschaukelnden Konflikt über die Genehmigungsfähigkeit einer Durchstoßung der Gewölbe in der Mengstraße 6 für die Kellertreppe. Die untere Denkmalbehörde lehnte sie als unverhältnismäßig schweren Eingriff in die Denkmalsubstanz ab, der Bürgermeister – in Lübeck oberer Denkmalpfleger – wollte sie genehmigen. Ein Mediationsverfahren konnte keine Einigung auf eine von sieben erörterten Varianten erreichen. Die meisten wurden entweder aus Brandschutzsicht als nicht genehmigungsfähig eingestuft oder waren mit dem verfolgten Museumskonzept nicht in Einklang zu bringen. Hauptausschuss und Bürgerschaft erteilten daher im August 2021 eine Freigabe für das Projekt auf Grundlage der bisherigen Planung, die den Durchbruch durch das Gewölbe vorsieht.
Dies führte ab dem Jahreswechsel 2022/23 zu öffentlichen Protesten, die in der emotional aufgeladenen Frage kulminierten, ob für ein Museumskonzept, das einer erdachten „Erzählung“ folgt, mehr als 700 Jahre alte Gewölbe unwiederbringlich verloren gehen sollen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Planungen jedoch bereits weit fortgeschritten und genehmigt, und die zugesagten Fördergelder waren an die erteilte Baugenehmigung gebunden. Trotzdem beschloss die Bürgerschaft im November 2023, auf einen Durchbruch des Kellergewölbes zu verzichten.
Die immer wieder öffentlich diskutierte Variante einer Verlegung der in den Keller hinabführenden Treppe hinter die rückwärtige Fassade der Mengstraße 6 (und damit hinter die mittelalterlichen Gewölbekeller) in den Wehdehof hätte wegen in der Nachkriegszeit dort eingetragener Grunddienstbarkeiten einer einstimmigen Zustimmung aller betroffenen Anlieger bedurft. Bei einer entsprechenden Abfrage sprachen sich jedoch einige der Anlieger gegen eine Bebauung dieser Teilfläche des Wehdehofs aus. Somit standen dieser Idee rechtliche Hindernisse im Weg.
Konstruktive Fallstricke
Die historischen Gewölbekeller sind Zeugnisse der Handels-, Architektur- und Sozialgeschichte der Stadt. Sie sind jedoch – wie die öffentliche Nutzung anderer Keller bereits gezeigt hat – konstruktiv nur schwer mit den heutigen klimatischen Ansprüchen an eine gehobene Nutzung in Einklang zu bringen. Denn sie neigen aufgrund ihrer speziellen Materialkombination dazu, Feuchtigkeit zu ziehen und auszublühen.
Bereits bei der ersten Machbarkeitsstudie war klar geworden, dass das historische Mauerwerk der Gewölbekeller „stark geschädigt, versalzen und feucht“ ist. Später stellte sich heraus, dass bei früheren Umbaumaßnahmen die ursprünglich verputzten Mauerziegel unsachgemäß abgestrahlt worden und dabei die Sinterschichten verloren gegangen waren, was die Steine anfälliger macht für Durchfeuchtung und Salzschäden. Im Zuge der aktuellen Sanierung wird die Feuchtigkeit mithilfe von Opferputzauftrag, Luftentfeuchtung und einem komplexen Leerstandsmonitoring in Schach gehalten. Diese seit langem vorhandenen Schäden sind für die Gegner des Projekts jedoch ein willkommenes Argument gegen den Umbau und die öffentliche, mit einer neuen Treppe verbundene Nutzung der Gewölbekeller.
Die anhaltende Diskussion führte dazu, dass keine baulichen Maßnahmen eingeleitet oder begonnen wurden, die die denkmalgeschützten Gewölbedecken tangieren. Die Keller sind aber bereits entkernt worden, es wurde Opferputz aufgetragen, außerdem fanden archäologische Grabungen statt. Alle Geschosse wurden beräumt, die Wände unterfangen. Im interfraktionell besetzten Begleitarbeitskreis des Projekts wird inzwischen eine neue Planungsvariante diskutiert: Die Kellertreppe soll in einem hinteren Bereich des Buddenbrookhauses (Mengstraße 4) angeordnet werden, in dem es seit der Kriegszerstörung keine historischen Gewölbekappen mehr gibt. Dadurch wären keine Eingriffe in die Gewölbekappen der Mengstraße 6 notwendig. Mit dieser neuen Variante gehen jedoch große Nachteile für die Ausstellungskonzeption einher, weil die musealen Abläufe völlig neu organisiert und einige Bereiche der Szenographie an anderer Stelle umgesetzt werden müssen. Die Folgen für Tragwerk und TGA sind noch erheblicher.
Wie geht’s weiter?
Wenn diese neue Planungsvariante abgesegnet werden sollte, dann wird – ab dem kommenden Jahr – auf der Baustelle auch oberirdisch viel passieren. Zunächst soll die denkmalgeschützte Fassade der Mengstraße 6 abgenommen werden. Dafür wird sie mit einer Stahlabfangkonstruktion gesichert, horizontal durch Schnitte in den Lagerfugen in vier etwa 16 bis 30,5 Tonnen schwere Einzelteile aufgeteilt, das rückwärtige Gebäude abschnittsweise von der Fassade getrennt, und die einzelne „Fassadenbereiche“ werden mithilfe eines mobilen Krans abgenommen und auf dem gegenüberliegenden Kirchhof der Marienkirche gelagert.
Die Fassade des Buddenbrookhauses und die Brandwand zwischen den beiden Gebäuden werden gesichert. Nach Abbruch der dahinterliegenden Bauten wird das neue Buddenbrookhaus errichtet. Es soll nach aktuellem Stand 2030/31 fertiggestellt werden. Doch dieser Termin ist, wenn man die bisherigen Verzögerungen in Betracht zieht, vermutlich ohne Gewähr.







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