Bauwelt

Die andere Bauwende

Bei der Bekämpfung der Wohnungsnot ruht die Hoffnung auf dem Neubau. Nun warnen Branchenverbände vor einem Stillstand. Was sagen die Zahlen? Und wie trifft es die Architekturbüros?

Text: Crone, Benedikt, Berlin

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Neubaupläne für die Tonne? Für seine Serien „Upgrade“ und „Holliday Homes“ errichtet der Künstler Richard Woods im öffentlichen Raum Cartoonartige Holzhäuser – mit Anspielungen auf die Wohnungsnot.
Foto: Richard Woods Studio

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Neubaupläne für die Tonne? Für seine Serien „Upgrade“ und „Holliday Homes“ errichtet der Künstler Richard Woods im öffentlichen Raum Cartoonartige Holzhäuser – mit Anspielungen auf die Wohnungsnot.

Foto: Richard Woods Studio


Die andere Bauwende

Bei der Bekämpfung der Wohnungsnot ruht die Hoffnung auf dem Neubau. Nun warnen Branchenverbände vor einem Stillstand. Was sagen die Zahlen? Und wie trifft es die Architekturbüros?

Text: Crone, Benedikt, Berlin

Der Wohnungsmarkt ähnelt derzeit einem stillen See, an dem reihenweise Angler auf ihren Glücksfang warten. Selten taucht ein Fisch an die Oberfläche. Wenn doch, ist er meist weder der saftige Karpfen noch die glänzende Forelle, nach denen die Hungrigen gierten, aber immerhin, ein Fisch mit Flossen und Kiemen. Und schon werfen Hunderte, gar Tausende ihren Haken aus, in der Hoffnung, es beiße etwas an. Die Hoffnung der Politik wiederum, um diesen See, also den Markt, zu beleben, ruht auf Neubau. Die Logik: Erhöht sich das Angebot stillt dies die Nachfrage.
Aktuelle Zahlen legen jedoch nahe, dass wir vor so etwas wie – Achtung! – einer Zeitenwende im Wohnungsbau stehen. Erstmals seit zehn Jahren wurden 2022 weniger Wohnungen genehmigt. Allerdings sind es laut dem Statistischen Bundesamt immerhin noch 354.000 Einheiten und damit „nur“ 6,9 Prozent weniger als im Vorjahr. Auch wurde 2021 der höchste Wert an Genehmigungen seit 1999 erreicht. Wir erleben also eine Kehrtwende, aber auf hohem Niveau. Dramatischer klingen die Zahlen für 2023: In den ersten fünf Monaten wurden 27 Prozent weniger Wohnungen genehmigt als im Vorjahreszeitraum. Der Immobilienriese Vonovia verschob noch geplante Neubauvorhaben auf unbestimmte Zeit. Auch in den aktuellen Fertigstellungszahlen lässt sich ein Ende der Hochbauphase ablesen. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung prognostiziert, dass in diesem Jahr statt der vom Bund anvisierten 400.000 Wohnungen 223.000 fertig werden. Das wären rund 70.000 Wohnungen weniger als 2022. Für 2024 erwartet das IMK einen weiteren Rückgang.
Am meisten schlägt sich die Krise bei den Ein- und Zweifamilienhäusern nieder. Aber auch im Geschosswohnungsbau flaut die Stimmung ab. Die Branche, die sich lange vor Aufträge kaum retten konnte, schlägt Alarm. Die Neubauförderprogramme reichten nicht aus, bemängelt der Haupt­geschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe Felix Pakleppa in der Allgemeinen Bauzeitung. „Die Menschen in Deutschland werden künftig deutlich schwieriger eine Wohnung finden“, warnt Axel Gedaschko, Präsident des Spitzverbandes der Wohnungswirtschaft GdW. Und der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie Tim-Oliver Müller sieht den Baufirmen die Aufträge davonschwimmen. Die Gründe für den Umbruch sind bekannt: gestiegene Baukosten, Energiekosten und Zinsen, Fachkräftemangel, langsame Genehmigungsverfahren, eine hohe Grunderwerbssteuer und die vielen Vorgaben und Anforderungen wie die der EnEV (wobei hier selten angemerkt wird, dass sich derzeit wohl einige Mieter neuer Wohnungen über die niedrigen Energiekosten freuen). Lieferengpässe seien inzwischen weitgehend behoben.
Baukosten verschlingen Förderungen
Eine andere Perspektive auf die Zahlen lautet: In den letzten zehn Jahren wurden so viele Wohnungen gebaut wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Einbrüche gibt es bei privaten Bauherren – durch die stark gestiegenen Zinsen. Investoren fürchten, ihre Wohnungen nicht mehr verkaufen zu können; Häuslebauer wissen keine Wege mehr, einen Kredit abzubezahlen. Auch Genossenschaften oder kirchliche Bauherren stehen vor Finanzierungsengpässen. Bleiben die Kommunalen. Da bei diesen die Bestandsmieten nicht derart steigen, um damit Neubau zu finanzieren, sind die Gesellschaften auf eine Förderung angewiesen. Bund, Länder und Gemeinden erhöhten auch seit 2012 von Jahr zu Jahr ihre geförderten Investitionen, zuletzt vor allem die Kommunen. Allerdings verschlingen die stärker gestiegenen Baukosten einen Großteil dieser Fördersumme. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie geht daher für 2022 von einem realen Rückgang der Investitionsleistung kommunaler Bauherren von zwei Prozent aus. Noch wird also gegen die Wohnungsnot angebaut, steigen die Preise weiter, ist die Frage: Wie lange noch?
In den Architekturbüros (die natürlich nicht nur Wohnungsbau planen) ist die Stimmung dennoch nur leicht betrübt. Das ergab eine Teilauswertung der diesjährigen Mai-Juni-Umfrage unter 15.659 Mitgliedern der Bundesarchitektenkammer. 56 Prozent der Befragten bezeichnet die wirtschaftliche Lage ihres Büros als gut, 32 Prozent als befriedigend. Die größeren Büros blicken optimistischer in die Zukunft als die kleineren. Der Auftragsbestand reicht im Schnitt für acht Monate. Allerdings geht ein Drittel für die nächsten zwölf Monate von einer Verschlechterung der Lage aus. Auch hier sind es Baukosten, zurückgestellte Aufträge, verzögerte Genehmigungen und Personalmangel, die Probleme bereiten – plus gestiegene Gehaltskosten im eigenen Büro.
Was die bundespolitische Bekämpfung der Wohnungsnot betrifft, gestand Bauministerin Klara Geywitz offen, dass die Neubau-Zielmarke für 2023 nicht mehr erreicht werde. Sie legt die Hoffnung auf 2024 und eine Wunderwirkung durch Vorfertigung und Digitalisierung. Seit März läuft das Neubauförderprogramm „Klimafreundlicher Neubau“ für Projekte mit EH-40-Standard und einem geringen CO2-Fußabdruck über den Lebenszyklus. Und seit Juni soll die „Wohneigentumsförderung für Familien“ mit zinsverbilligten Krediten wieder zum Hausbau anregen. Zudem versprach Geywitz mehr steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten für Bauherren.
Weniger Beachtung finden Zahlen, die zu – zugegeben komplexen – Maßnahmen verleiten könnten: Der Wohnflächenverbrauch steigt im ländlichen Raum, stagniert aber in Großstädten (in der Eifel liegt er bei 75 m²/pro Kopf, in Offenbach bei 35 m²). Im Schnitt kommen 30 Prozent aller Angestellten dank Homeoffice seltener ins Büro. Ältere Menschen wohnen, da es an Alternativen mangelt, auf größerer Fläche (27 Prozent der Alleinlebenden über 65 wohnen auf über 100 Quadratmetern). Allein den Zahlen nach wäre also auch Wohnraum gewonnen, würden älteren Umzugswilligen gute Alternativen geboten (gebaut) oder Büros – statt sie spekulativ leer stehen zu lassen – zu Wohnungen umgewandelt. Und: Würden die weniger bevölkerten Gegenden derart gefördert und gestaltet, dass dort wiederum Umzugswillige aus den Städten gerne eine Bleibe finden.

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