Bauwelt

Ursulina Schüler-Witte (1933–2022)

Die Architektin im Wortlaut

Text: Mausbach, Therese, Berlin

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Im Büro des Hochschulprofessors Hermkes. 1963 arbeitete die junge Architektin mit Ralf Schüler an den Plänen für die Architekturfakultät der TU Berlin mit.
Foto: Berlinische Galerie, Fotograf unbekannt

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Im Büro des Hochschulprofessors Hermkes. 1963 arbeitete die junge Architektin mit Ralf Schüler an den Plänen für die Architekturfakultät der TU Berlin mit.

Foto: Berlinische Galerie, Fotograf unbekannt


Ursulina Schüler-Witte (1933–2022)

Die Architektin im Wortlaut

Text: Mausbach, Therese, Berlin

Im Mai verstarb im Alter von 89 Jahren Ursulina Schüler-Witte, die Architektin der West-Berliner Nachkriegsmoderne. In der von ihr verfassten Biografie zum Werk von Schüler-Witte und ihrem Partner Ralf Schüler wählten wir Zitate aus, damit einhergehend die Forderung: Der Verfall ihrer Bauten – wie dem ICC – muss ein Ende finden.

Studium – Fakultät für Architektur Berlin (1953–1960)

„Neben den Vorlesungen in den verschiedenen Fächern, der Anfertigung von Seminararbeiten und der Herstellung erster architektonischer Entwürfe gehörten auch diverse Praktika zum Studienprogramm. Das Praktikum ‚auf dem Bau‘ absolvierte ich [...] bei einer Berliner Baufirma. Hier wurde noch – neun Jahre nach dem Krieg – wie seinerzeit von den sogenannten Trümmerfrauen der Mörtel von den aus Ruinen geborgenen Backsteinen abgeschlagen, um so an preiswertes Baumaterial zu kommen.“
„Ich lud Ralf zu meiner Faschings-Fete zum 22. Geburtstag ein, die als ‚Goethe-Fest‘ geplant war und drei Tage später bei mir zu Hause stattfinden sollte. Ralf kam auch zu dieser Feier, die allen Beteiligten noch nach Jahrzehnten als denkwürdig in Erinnerung gebliebenen ist. Bei diesem schrägen Fest merkten wir, dass wir beide uns auf einer wunderbar gleichen Wellenlänge befanden und wesentlich mehr Gemeinsamkeiten hatten als das Zitieren von Gedichten oder die ‚Radierhilfe‘ für meine Zeichnungen.“
„Während der Studienzeit begannen wir, technische Geräte aus den letzten 100 Jahren seit der Zeit der frühen Industrialisierung zu sammeln, weil wir in ihnen das fanden, was unseren Gestaltungszielen voll und ganz entsprach, nämlich ihre in der Formgebung deutlich zu verfolgenden Funk­tionen.“

Turmrestaurant Steglitz „Bierpinsel“ (1967–2009)

„Als der Rohbau schließlich im Frühjahr 1974 fast fertiggestellt war, spitzten sich die Finanzierungsprobleme der Bauherren so dramatisch zu, dass im März 1974 in Baustopp verhängt wurde“
„Eine Reihe potentieller Betreiber zeigte daraufhin ihr Interesse, den Turm zu übernehmen. Die wohl abenteuerlichste Idee hatte der Generalkonsul von Haiti, Wolfgang Böttger, der die Handelsorganisation der Sowjetunion für den Turm erwärmen wollte. Hierbei war vorgesehen, russische Luxusgüter im kapitalistischen Westen zu verkaufen: Krim-Sekt, Kaviar oder Nerzfelle. [...] Wir konnten uns eine solche Nutzung als neue Ins­titution im West-Berliner Gastronomiespektrum gut vorstellen, obwohl HerrBöttger die etwas abwegige Überlegung anstellte, dass er ‚die Russen‘ insbesondere deshalb von der Idee eines West-Berliner Stützpunkts überzeugen könne, weil sich doch der rote Turm als eine ‚geballte Arbeiterfaust‘ ansehen ließe, ‚die sich in den Himmel streckt‘. [...] Schließlich war es doch eine Brauerei, die Berliner-Kindl-Brauerei, die Anfang 1976 von der BEWOGE als Pächter vorgestellt wurde, um dann im Oktober – endlich – die Restaurants zünftig mit Freibier zu eröffnen.“
„Um die Aufmerkamkeit wieder auf den ‚Bierpinsel‘ zu lenken, plante 2009 die Schlossturm GmbH als eine Art Werbegag den Turm von Street-Art-Künstlern mit Graffitis besprühen zu lassen. So nahm die optische Zerstörung unseres Bauwerks ihren Lauf.“

Das Internationale Congress Centrum – ICC Berlin (1965–2015)

„Ein Jahr nach der verunglückten Teilnahme am Wettbewerb für den U-Bahnhof Blissestraße beteiligten wir uns, ermutigt durch die hervorragende Beurteilung unserer Arbeit und wiederum während unseres Jahresurlaubs bei Professor Hermkes, an dem ausgeschriebenen Wettbewerb für die Erweiterung der Berliner Ausstellungen und den Bau einer neuen Kongresshalle für 4500 Personen.“
„Drei Tage vor dem Abgabetermin endete unser Jahresurlaub. Das Modell und die Projektbeschreibung waren aber noch nicht fertig. Wir baten Hermkes daraufhin telefonisch, unseren Urlaub um diese drei Tage verlängern zu dürfen, und versprachen, die überzogene Zeit durch Überstunden auszugleichen. Statt einer Antwort knallte Hermkes wortlos den Hörer auf, erschien am nächsten Tag unangemeldet im Wettbewerbsendzeit-Chaos in Ralfs Wohnung und versuchte uns klarzumachen, dass er absolut nicht damit einverstanden sei [...]. Als wir ihm völlig entnervt antworteten, wir würden auf jeden Fall die Arbeit beenden, egal welche Konsequenzen er hieraus zöge, verließ er wütend die Wohnung. (Unsere Urlaubsüberziehung blieb übrigens folgenlos.) Wir stellten also unsere Arbeit fertig und gaben sie, das Modell auf dem Dach unseres 2CV transportierend, am 30. September 1965 um 10 Minuten vor Mitternacht beim Pförtner der Berliner Ausstellungen ab: die Geburtsstunde des ICC Berlin. Auf den Tag genau zwölf Jahre später wurde das Richtfest für das ICC gefeiert.“
„Am 26. Oktober 1976, Ralfs 46. Geburtstag, saßen wir nachts im Auto auf dem Messedamm neben unserer Baustelle und beobachteten ein in diesen Nächten oft zu sehendes Schauspiel: Teile der Verschubbahn-Träger für die vorgefertigte Dachtragwerkskonstruktion wurden wegen ihrer großen Länge nachts bei Scheinwerferlicht auf Schwerlasttransportern von ihrem Herstellungsort angeliefert und auf die außen liegenden Doppeltreppenhäuser montiert. Ein dramatisches, theatralisches Erlebnis.“
„Um das Ziel der Abschaffung des ICC zu erreichen, unternahm man verschiedene Schritte. Zunächst wurde, um das ICC für den Betrachter in einem möglichst maroden Zustand erscheinen zu lassen, die aluminiumeloxierte Fassade seit etwa 2003 nicht mehr gereinigt. Diese Maßnahme begründete man fälschlicherweise damit, dass die Reinigung viel zu teuer und daher nicht mehr leistbar sei. Tatsächlich wurde aber seinerzeit in Erfüllung einer Auflage des Bauherrn sehr viel Geld dafür investiert, eine Konstruktion zu schaffen, die eine besonders preiswerte Reinigung der Fassade ohne teure Fremdfirmen ermöglichte. Im nächsten Schritt wurde wider besseres Wissen behauptet, das ICC sei genauso mit Asbest belastet wie ehemals der Palast der Republik und müsse daher wie dieser womöglich abgerissen oder für sehr viel Geld saniert werden. Weiterhin wies man in diesem Zusammenhang auf die angebliche Unwirtschaftlichkeit des Hauses hin. So hatte die Messegesellschaft durch stetige Wiederholungen der Negativmeldungen über das ICC die Öffentlichkeit darauf vorbereitet, dass sie 2005 schließlich empfehlen konnte, das damals erst 26 Jahre alte ICC abzureißen.“
Zitate aus: Ursulina Schüler-Witte: Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte. Eine werkorientierte Biographie der Architekten des ICC, Berlin: Lukas Verlag 2015

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