Bauwelt

Abrissparty

Leonardo Costadura möchte karnevalesken Ausnahmezustand und biederen Alltag wieder klar unterschieden wissen.

Text: Costadura, Leonardo, Berlin

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Leonardo Costadura möchte karnevalesken Ausnahmezustand und biederen Alltag wieder klar unterschieden wissen.

Text: Costadura, Leonardo, Berlin

Letztens wurde das Gebäude, das auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Redaktion stand, abgerissen. Ein Vorgang, den wir – es sei nur an den diesjährigen Bauwelt-Kongress erinnert – fachlich nicht gutheißen und den wir auch bezüglich Lärmbelästigung und Luftverschmutzung nicht gerade genießen konnten. Ganz anders die Gruppe von Grundschülern, die eines Vormittags (und am nächsten Tag nochmal) hinterm Bauzaun stand und das Spektakel mit allen Sinnen in sich aufsog. Bei jedem Brocken des Hauses, den der Bagger mit seiner monströsen hydraulischen Zange abriss und in die Tiefe stürzte, jubelten, ja grölten und johlten die Kinder vor Freude, vor innigstem Genuss an der Zerstörung, dem Gepolter, den Staubwolken.
Gehässige SUV-Fahrer mit Fuck-you-Greta-Aufkleber über dem Auspuff mögen jetzt Witze reißen über den ach so umweltbewussten Nachwuchs, während moralinbittere Klimakleber den Zeigefinger erheben werden und als nächstes eine Grundschule blockieren oder mit Kartoffelbrei bewerfen – aber wer frei von jenen Trieben ist, der werfe den ersten Stein! Wer hat nicht im Schweiße seines Angesichts eine Sandburganlage gebaut, deren Ausmaße die Marienburg vor Neid erblassen ließen, nur um sie dann mit einem Tsunami aus dem Wassereimer zu fluten oder mit einem Erdbeben nackter Füße dem Sandkastenboden gleich zu machen? Wessen Herz ließ es nicht höher schlagen, als fast eine Tonne Sprengstoff den Frankfurter AfE-Turm in sich zusammensacken ließ, als sei er aus Pappe?
Es sei uns hier ein Vorschlag zur Güte erlaubt: Abreißen und Sprengen sollte wieder etwas Besonderes werden, ein Event wie Silvester – ja, man könnte sogar Gebäudeabriss und Feuerwerk kombinieren, zur zünftigen Ventilsitte für die gelangweilte Wohlstandsgesellschaft gebündelt. Was für ein Fest wäre es, wenn der Countdown zum Jahreswechsel auch der Countdown zur kontrollierten Sprengung des Humboldtforums wäre, welch ein Anblick und welch eine Geräuschkulisse Punkt null Uhr! So hätten wir das ganze Jahr über Ruhe und in einer Nacht ein gewaltiges Donnerwetter, institutionell eingehegt und zeitlich klar begrenzt. Es wäre dem zu derben Possen aufgelegten Kind in uns ebenso wie dem verantwortungsvollen Klimaschützer Genüge getan.

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