Geomar-Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel
An der Kieler Förde am Ufer der Schwentine realisierten Staab Architekten aus Berlin den Erweiterungsbau des Geomar-Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung.
Text: Briegleb, Till, Hamburg
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Der Neubau fügt sich mit seinem Cortenstahl-Sockel farblich in die von Ziegelbauten geprägte Umgebung ein.
Foto: Marcus Ebener
Der Neubau fügt sich mit seinem Cortenstahl-Sockel farblich in die von Ziegelbauten geprägte Umgebung ein.
Foto: Marcus Ebener
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Westlich vom Bestandsgebäude des Geomar am Ufer der Schwentine ...
Foto: Marcus Ebener
Westlich vom Bestandsgebäude des Geomar am Ufer der Schwentine ...
Foto: Marcus Ebener
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... ist der Erweiterungsbau ...
Foto: Marcus Ebener
... ist der Erweiterungsbau ...
Foto: Marcus Ebener
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... mit einer Nutzfläche von 14.500 Quadratmetern entstanden.
Foto: Marcus Ebener
... mit einer Nutzfläche von 14.500 Quadratmetern entstanden.
Foto: Marcus Ebener
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Ins Sockelgeschoss sind Höfe eingeschnitten, die Tageslicht in die Tiefe des Gebäudes leiten. Oberhalb des Sockels gliedert sich das Gebäudevolumen in fünf Türme unterschiedlicher Höhe und Proportion.
Foto: Marcus Ebener
Ins Sockelgeschoss sind Höfe eingeschnitten, die Tageslicht in die Tiefe des Gebäudes leiten. Oberhalb des Sockels gliedert sich das Gebäudevolumen in fünf Türme unterschiedlicher Höhe und Proportion.
Foto: Marcus Ebener
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Offene Rohrleitungen und Installationen ...
Foto: Marcus Ebener
Offene Rohrleitungen und Installationen ...
Foto: Marcus Ebener
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... prägen die für wechselnde Forschungszwecke genutzten Labore.
Foto: Marcus Ebener
... prägen die für wechselnde Forschungszwecke genutzten Labore.
Foto: Marcus Ebener
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Je nach Lichtstimmung ändert sich die Erscheinung des Gebäudes.
Foto: Marcus Ebener
Je nach Lichtstimmung ändert sich die Erscheinung des Gebäudes.
Foto: Marcus Ebener
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Die perforierten Dreiecksflächen der gefalteten Fassade ...
Foto: Marcus Ebener
Die perforierten Dreiecksflächen der gefalteten Fassade ...
Foto: Marcus Ebener
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... dienen als Sonnenschutz.
Foto: Marcus Ebener
... dienen als Sonnenschutz.
Foto: Marcus Ebener
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Hinter der Cortenstahl-Fassade liegen in den Obergeschossen die Gemeinschafts- und Veranstaltungsbereiche, die Konferenzräume und die Bibliothek.
Foto: Marcus Ebener
Hinter der Cortenstahl-Fassade liegen in den Obergeschossen die Gemeinschafts- und Veranstaltungsbereiche, die Konferenzräume und die Bibliothek.
Foto: Marcus Ebener
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Von hier führt der Weg auf die Dachterrasse.
Foto: Marcus Ebener
Von hier führt der Weg auf die Dachterrasse.
Foto: Marcus Ebener
An der Mündung der Schwentine im Kieler Hafen besaß Albert Einstein eine von ihm so getaufte „Diogenes Tonne“. In dem kleinen Gartenhaus am Wasser, das er vom Erfinder Hermann Anschütz-Kaempfe 1913 zur Verfügung gestellt bekommen hatte, half er seinem Freund bei der Entwicklung des Kreiselkompasses, der besonders für die U-Boot-Orientierung wichtig wurde. Ansonsten segelte er bei seinen zahlreichen Aufenthalten mit einem kleinen Boot in die Kieler Förde und genoss das „stille Denken“ über die Relativität, das ihm im „nervenmordenden“ Berlin nicht so gut gelang.
Aus den Fenstern des Zwei-Zimmer-Hauses –an dessen Existenz heute ein Einstein-Denkmal erinnert – schaute der berühmteste deutsche Wissenschaftler genau auf jenes Ufer, wo heute das größte deutsche Institut für Meeresforschung in einem Neubau von Staab Architekten aus Berlin steht. Doch dieser Ort hat seit Einsteins Denkzeiten im nervenschonenden Kiel, als er auch ein bisschen was für den nautischen Fortschritt tat, drastische Wandel erlebt. Lange Jahre war er Werftgelände, auf dem Torpedos für Hitlers U-Boot-Krieg produziert wurden; nach dem Krieg demontierten die Briten die Docks. Ab 1947 richtete die Stadt einen Handelsplatz für Hochseefischerei ein, den Seemarkt, der aber ab den Achtzigern durch Überfischung der Ostsee nicht mehr rentabel zu betreiben war. Deshalb suchte die städtische Betreibergesellschaft nach einem neuen Konzept für das Gelände an der 400 Meter langen Kaikante – und fand es in der maritimen Wissenschaft.
Die Erforschung der Meere
Ab 1987 breiteten sich Forschungs-Institute auf dem Areal aus. 1996 wurde das erste große Zen-trum für marine Geowissenschaften (Geomar) hier eingeweiht. Entworfen vom hannoverschen Büro Kleine + Partner, zeigt es eine postmoder-ne Collage aus Backstein-Wänden und Aluminium-Fassaden sowie Schiffsbezüge zu einem Tan-ker mit Relings, Brücke, Schornstein und prägnanten Versorgungsröhren.
In sichtbaren oder subtilen Referenzen fand die seegeschichtsträchtige Umgebung auch Eingang in die neue Architektur. Das Forschungsmonument mit seiner großen Fernwirkung, das von Volker Staabs Partner Alfred Nieuwenhuizen leitend entwickelt wurde, erzählt mit ästhetischen Bezügen vom Mensch und dem Meer. Der verschlossene Sockel aus Cortenstahl ruft Erinnerungen an die Werftarbeit in den Docks wach, aber auch an rostende Schiffswände großer Frachter. Das darüber sich stolz erhebende Ensemble aus fünf unterschiedlich großen Türmen bewahrt die zufällige Ordnung industrieller Bebauung, die sich auf dem disparaten Gelände des Seemarkts findet, als Bild. Und die helle Lochblechfassade vor den Laboren zeigt das lokalkolorierte Motiv weißer Segel, die in Bändern um die Türme ziehen. Einstein on the Förde, sozusagen.
Auch wenn es bei den Architekten nie zur Debatte stand, die in Norddeutschland wirklich zu Tode gereizte Verwendung von Klinker als Lokal-Ausweis für den Neubau einzusetzen, so zollt der vollkommen in zwei Metalle gehüllte Arbeitsort für 500 Forscher den Ziegelbauten vor Ort doch Respekt. Die bei Lagerhallen übliche Kombination aus rotem Backstein mit hellen Alu-Toren, die bereits der erste Geomar-Bau aufnahm, wird beim großen Nachbarn farblich reflektiert. Die acht Millimeter dicke Sockelverkleidung und die silbrige Fassaden-Regatta, die im Abendrot auch schon mal golden scheinen kann, fügen sichin die rot-graue Hafenarbeits-Aura des Geländes kollegial ein.
Allerdings zeigt diese stolze Erscheinung eines ambitionierten Strukturwandels im Geiste Einsteins eine ganz andere architektonische Kraft und symbolische Sprache als der Bestand. Ma-terial- und Stilentscheidungen vermitteln ihre selbstbewusste Botschaft eines besonderen Auftritts auch denen, die von aktuellen Trends in der Architektur völlig unbeleckt sind. Wobei das Rauhe hier den Ton angibt, nicht das Glatte.
Weiße Segel und rostiger Stahl
Von den tiefen Lichthöfen in den Schluchten zwischen den Türmen, die mit geradezu antijapanisch groben Steingärten gestaltet sind, bis zu der norddeutschen Verschlossenheit der fensterarmen Sockelzone ist Lieblichkeit hier abgetaucht. Und auch die zunächst als Schwarzstahl angebrachte Basishaut verwehrt sich gegen ein harmonisches Erscheinungsbild und nimmt seit der Fertigstellung des Gebäudes 2023 sehr unterschiedliche Schattierungen an. „Cortenstahl rostet, wie er will“, erklärt Projektleiter John Barnbrook die großen vertikalen Streifen in unterschiedlichen Rot-Stufen. Unterhalb der Türme ist das Erzprodukt des Sockels noch fast schwarz durch die erhöhte Wassermenge, die hier abfließt. Bei den Passagen dazwischen zeigt die Umhüllung dagegen schon das orange Rostleuchten, für das Corten so geschätzt wird.
Auch der einzige Turmaufsatz, der nicht mit einer Segelregatta umhüllt wurde, strahlt rostig. Der Sonderbereich wurde dort, wo er die öffentliche Bibliothek des Helmholtz-Instituts sowie große verglaste Konferenzräume beherbergt, mit eng gelochten Corten-Platten verkleidet. Wie eine Gardine verwehren sie tagsüber den Einblick, behindern von innen die Wahrnehmung der Außenwelt aber kaum mehr, als es eine Sonnenbrilletäte. Und das Prinzip des perforierten Metalls funktioniert auch für die weißen Segelboot-Schleier aus gelochten Blechen vor den Büros und Laboren.
Vermutlich ist dieser schöne Blendschutz aber einer der letzten seiner Art. Feststehende per-forierter Paneele sind seit der letzten Aktualisierung der „Technischen Regeln für Arbeitsstätten“ nicht mehr genehmigungsfähig, erklärt der Projektleiter. Obwohl sie von innen den Blick deutlich weniger stören als eine Jalousie oder Textilrollläden, sind deutsche Gesetzgeber leider blind für die Vorteile der Lochbleche. Dabei böte das Geomar die Erleuchtung, dass dieser feststehende Sonnenschutz nicht nur Aussicht garantiert, sondern dank eines Prellglases für den Wind dahinter die natürliche Belüftung durch Fensteröffnen bei jedem Wetter erlaubt. Von der exquisiten Atmosphäre, die ein kreativer Einsatz dieser Lichtsiebe erlaubt, ganz zu schweigen.
Der maximal geforderten Flexibilität der Laboranlagen ist es dann zuzuschreiben, dass die Diogenes-Tonnen der Meeresforscher selbst nur interessant sind durch den produktiven Verhau im Inneren und die nackten Rohr-Labyrinthe unter der Decke. Da mit ständig wechselnden Forschungszwecken Labore konstant umgebaut werden, reiht sich längs monotoner Flure hin-ter der Fassade eine Sichtbetonkammer an die nächste. Klassische Behörden-Klaustrophobie mit rettenden Kaffeeinseln beherrscht hier die Szene der feuchten Wissenschaften von den Kellern bis unters Dach.
Dafür öffnet sich im Zentrum des Komplexes eine kaskadenhafte Treppenanlage aus Stahl und Sichtbeton, die in ihrer kunstvollen Verschachtelung von Massivität und lichten Situationen nur auf den ersten Nobelpreis für das Institut wartet. Dann kann auf dem schönen Aufgang mit verschiedenen inszenierten Stationen des Außenkontakts das halbe Tausend Experten sich zum Gruppenbild aufstellen. Und vielleicht ist dann auch ein Genie darunter, das wie der Segler vom gegenüberliegenden Ufer das menschliche Denken über die Natur so grundlegend relativiert, dass die alten Gewissheiten Rost ansetzen dürfen.
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