Die St. Petersburger Straße verbindet und spaltet Dresden
Text: Landes, Josepha, Berlin
Die St. Petersburger Straße verbindet und spaltet Dresden
Text: Landes, Josepha, Berlin
Die St. Petersburger Straße fasst die Dresdner Altstadt im Osten. Sie verläuft, vom Hauptbahnhof kommend, über die einstige Stadtbefestigung und dann nach Norden über die Elbe – das jedenfalls tat sie bis zum Einsturz der dort anschließenden Carolabrücke im vergangenen Herbst. Ihre Schneise ist rund achtzig Meter breit. Sie fungiert als Schnellverbindung zum Neustädter Ufer – vorrangig für Autos und Straßenbahnen, aber auch für den Fuß- und Radverkehr. Dass diese Verbindung gekappt wurde, hat paradoxerweise nicht dazu geführt, den schon lang avisierten Umbau der Straße voranzutreiben, sondern das genaue Gegenteil bewirkt.
Dresden glich nach dem Krieg einer Tabula rasa – die Entwicklungsstufen der sozialistischen Stadtplanung lassen sich hier exemplarisch nachvollziehen. Während mit der Wilsdruffer Straße bereits in den Fünfzigern eine Aufmarschpromenade, gesäumt von Stalinbarock, entstand, liefen die Planung der St. Petersburger, damals Leningrader Straße, eher schleppend an. Erst in den sechziger Jahren kamen die Ergebnisse eines Wettbewerbs – in abgewandelter Form – zur Umsetzung: Die Randbebauung wurde nicht, wie vom Entwurfsverfasser Wolfgang Rauda vorgesehen, als Block-, sondern in Punkt- und Zeilenbauweise ausgeführt. Mit der „Petersburger“ brauste der Wind der Moderne durch die Stadt.
Die Verkehrsachse findet eine rege Anhängerschaft in Dresden. Zu ihrer Akzeptanz trägt auch der begrünte Mittelstreifen bei. Diese baumbestandene Wiese ist unbestritten eine Bereicherung fürs städtische Ökosystem und das Stadtklima, jedoch kaum zugänglich – vier Autospuren zu beiden Seiten isolieren sie. Zudem rangiert die Straße im Unfallatlas der Stadt als einer der Hauptkollisionsorte verschiedener Verkehrsteilnehmer. In Anbetracht des ihr zur Verfügung stehenden Raums müsste das nicht sein.
Die Auslobung eines Wettbewerbs zur Neukonzeption ist derzeit ungewiss. Noch im Mai hatte Baubürgermeister Stephan Kühn (Grüne) ein solches Verfahren, das Verkehrsgerechtigkeit und mehr Sicherheit herstellen könnte, für 2026 angekündigt. Doch die CDU-Fraktion wehrt jede weitere Bearbeitung der Gemengelage ab, es gäbe andere Prioritäten: den Schul- und Wohnungsbau und natürlich die Brücke. Die Petersburger soll warten. Die Rhetorik zieht, denn unbestreitbar ist die Anbindung von Alt- und Neustadt seit gut einem Jahr angespannt. Allerdings könnte man die Krise auch als Chance begreifen: Anhand der notgedrungenen Drosselung des Verkehrsaufkommens ließe sich erkunden, wie die Menschen mit der neuen Wegeführung umgehen. Es ließen sich Alternativrouten optimieren, vor allem aber attraktive dauerhafte Ausweichangebote schaffen.
Bereits vor dem Brückeneinsturz waren Studien zur Radverkehrsführung am Rathenauplatz angelaufen, wo die Petersburger in die Brücke mündet. Ziel war nicht, das Autoaufkommen zu senken, sondern die Unfallgefahr. Diese Studie schrieb sich in den 2014 vom Stadtrat verabschiedeten Mobilitätsplan ein, der auf eine sichere, klimafreundliche und lebenswerte Stadt aus ist. Als Wege zu diesem Ziel sind u.a. der Ausbau von Multimobilität und Sharing-Angeboten aufgeführt.
Die Petersburger ist eine enorme Potenzialfläche für die ökologische und soziale Aufwertung der Dresdner Innenstadt. Hier könnte man zusammenkommen statt einander über den Haufen zu fahren. Szenarien dafür entwickelten im Herbst 2024 auch Studierende der TU Dresden, der Hochschule Anhalt und der TH Nürnberg. Die Ergebnisse des vom Stadtplanungsamt begleiteten Entwurfs-Seminars „St. Petersburger OASE – Vom Verkehrs- zum Lebensraum“ wurden im Mai im Zentrum für Baukultur (ZfBK) im Kulturpalast vorgestellt. Sie regten auch Bürgerschaftsdialoge an und sollten den Weg zum freiraumplanerischen Wettbewerb eben.
Die St. Petersburger Straße ist eine Hauptschlagader des städtischen Verkehrs und kritisch für die Wegeführung ins Umland. Sie wird unvermeidbar eine hochfrequentierte Trasse bleiben. Derzeit öffnet sich die einmalige Möglichkeit, sie neu zu denken. Bereits 1993, im seinerzeit siegreichen Wettbewerbsbeitrag für den vor dem Rathaus gelegenen Georgplatz, schlug Stephan Braunfels eine Bündelung des Verkehrs vor. Wenn die Carolabrücke wieder entsteht – was derzeit im Rahmen eines VgV-Verfahrens angedacht ist –, muss über ihre Einbindung Klarheit herrschen. Diese Einbindung hat auf einen Horizont von mindestens fünfzig Jahren zu erfolgen und sie betrifft Bereiche weit über den Brückenkopf hinaus.







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