Der unterschätzte Cousin
Beatrix Flagner hat eindeutig zu viele Axel-Scheffler-Kinderbücher vorgelesen, in denen auch nüchterne Laubengänge plötzlich eine Persönlichkeit entwickeln könnten
Text: Flagner, Beatrix, Berlin
Der unterschätzte Cousin
Beatrix Flagner hat eindeutig zu viele Axel-Scheffler-Kinderbücher vorgelesen, in denen auch nüchterne Laubengänge plötzlich eine Persönlichkeit entwickeln könnten
Text: Flagner, Beatrix, Berlin
Architektur kennt ihre stillen Verwandtschaften. Manche Typologien stehen in offensichtlicher Konkurrenz zueinander, andere wirken wie entfernte Cousins auf einer Familienfeier: Man erkennt die Ähnlichkeit, aber so richtig will man sie nicht benennen. Genau hier habe ich mir schon oft die Frage gestellt: Ist der Laubengang der heimliche Cousin des Terrassenhauses? Ist der Laubengang die stille, systemkompatible Spielart des Terrassenhauses? Als Low-Key-Variante, eingeschrieben in ein ökonomisch rationalisiertes Bausystem? Ein Verwandter, der in der Logik von Normen, Kosten, Flächeneffizienz und Brandschutz nie aus der Reihe tanzt?
Der Laubengang wirkt wie ein akzeptierter Kompromiss – ein räumliches Versprechen, das andeutet, was das Terrassenhaus strukturell einlöst: Luft, Licht, Freiraum, Gemeinschaft. Während das Terrassenhaus der ambitionierte Cousin ist, der sich gern auf der Sonnenseite zeigt und mit seiner Gestik nach außen wirkt, ist der Laubengang der pragmatische Cousin, der bodenständig bleibt: funktional, systemfreundlich, stets im Raster. Vielleicht ist es genau das, was ihn so beliebt macht: Er fügt sich in die Regeln der Familie, ohne Aufruhr zu stiften. Beide Typologien schaffen Übergangszonen zwischen dem privaten Innen und dem gemeinschaftlichen Außen. Das Terrassenhaus bietet großzügige, meist südorientierte Freiflächen mit hoher Aufenthaltsqualität, während der Laubengang häufig an der Nordseite als Erschließung liegt und gestalterisch weniger berücksichtigt wird. Und doch trägt auch er den Keim einer ähnlichen Idee: Er erlaubt Aneignung, ermöglicht Blickbeziehungen, kann zum sozialen Ort werden – wenn man es zulässt. Vielleicht lässt sich der Unterschied zuspitzen: Wenn das Terrassenhaus der architektonische Traum individueller Freiheit und urbaner Naturverbundenheit war, dann ist der Laubengang der Realitätsabgleich, reduziert, angepasst, aber nicht ohne Potenzial.
Vielleicht müssen wir dem Laubengang nicht länger nur die Rolle des biederen Verwandten zuschieben. Er ist weniger glamourös, ja. Aber er ist auf jeder Familienfeier da und manchmal überraschend gesellig.







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