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Das Museum als Fun House

Das Architekturkollektiv „Assemble“ erweckt in Nottingham zusammen mit Schulkindern eine Skizze von Lina Bo Bardi zum Leben

Text: Kafka, Georg, London

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Spielend die Zeit vergessen in der Ausstellung „The Place We Imagine“
Foto: Stuart Whipps

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Spielend die Zeit vergessen in der Ausstellung „The Place We Imagine“

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Das Museum als Fun House

Das Architekturkollektiv „Assemble“ erweckt in Nottingham zusammen mit Schulkindern eine Skizze von Lina Bo Bardi zum Leben

Text: Kafka, Georg, London

This is funnnnnn!!“, ruft ein neunjähriger Schüler, während er einen Sprint durch die Ausstellungsräume des Nottingham Contemporary hinlegt. Sein Weg ist gesäumt von den drei großen Strukturen, die den Kern der Ausstellung The Place We Imagine ausmachen. Für die Gestaltung der Schau kamen das Architekturkollektiv „Assemble“ und Nottinghamer Schulkinder im Rahmen eines Pilotprojekts zusammen.
Der Ausgangspunkt der Schau ist eine Zeichnung von Lina Bo Bardi; sie entstand im Zuge der Eröffnung ihres berühmtesten Werks, nämlich des Museu de Arte de São Paulo (MASP). Die Zeichnung zeigt eine Gruppe bunter, fröhlicher „benutzbarer Skulpturen“ vor dem Eingang des MASP, das im Kontrast zu diesen geradezu als Trauerriegel erscheint. Man sieht Kinder, die um die Skulpturen herumrennen, aus Tunnels hinauskrabbeln, auf einem Tiere-Karussell reiten und geschwungene rote Rutschen hinunterjagen. Anders als das Museum wurde dieser Spielplatz leider nie gebaut. Jane Hall von „Assemble“ verfasste ihre Doktorarbeit zu Lina Bo Bardi; nach ihrer Auffassung ist dies im Kontext der damaligen Diktatur zu verstehen, die einen solchen Spielplatz als Bedrohung der stark reglementierten öffentlichen Ordnung verstanden habe.
55 Jahre später ist diesen Skulpturen ein unerwartetes neues Leben in den englischen East Midlands vergönnt. Zwei der drei Gebilde sind Versuche einer Reproduktion von Bo Bardis Entwurf: Big Red ist eine Mischung aus Wetterhahn und Musikinstrument, von dem rundum Rutschen abgehen; Animal Roundabout besteht aus Tierfiguren, die entlang der Außenkante eines bunten Kreises im Karussell stehen. Die dritte Spiel­skulptur hingegen weicht von Bo Bardis Plan ab: Das Fun House ist das Ergebnis einer sich über vier Jahre erstreckenden Arbeit, die Jane Hall und die Kinder der nahegelegenen Schulen zusammen bewerkstelligt haben. Die Kinder entwarfen ihren Traumspielplatz aus Lehm, der wiederum von den „Assemble“-Mitgliedern in eine große Spielskulptur umgesetzt wurde. Das Ergebnis ist eine kegelförmige, innen hohle Miniatur-Zikkurat aus blauen Stoffwürsten, deren Krone ein großer grüner aufblasbarer Ball ist.
Die Vernissage war noch in vollem Gange, da hatten die Schüler schon das Ergebnis ihrer Träume in Besitz genommen und der Ball flog durch den Raum … um Haaresbreite hätte er auch einen Beamer von der Wand geholt. Big Red wurde im Handstreich erobert und besiedelt, um dann ausgiebig berutscht und beklettert zu werden. Die Kinder taten dies mit einer Selbstverständlichkeit, die in krassem Kontrast zum unbehol­fenen Journalistengrüppchen an der Seitenlinie stand.
Mag die Ausstellung ein Hit unter Schülern sein (erst recht, wenn sie dafür Schulfrei bekommen), so wirft sie einige Fragen auf zur Rolle eines Museums im Stadtgefüge sowie zur Klientel, die es ansprechen soll. Im Versuch, den Spagat zwischen Spielplatz und klassischer Ausstellung hinzukriegen, riskiert die Schau, beidem nicht gerecht zu werden. Ohne die spielenden Kinder kommt sie einem unvollständig vor. Aber ist sie aus der Perspektive eines Kindes besser, anders oder mehr als irgendein anderer Spielplatz in der Stadt?
Die Antwort auf diese Fragen liegt womöglich bei den Eltern. Kinderbetreuung ist im Vereinigten Königreich horrend teuer – ein kostenloses Angebot wie dieses ist da bestimmt attraktiv. Chefkuratorin Nicole Yip sprach davon, dass die Hauptaufgabe der Ausstellung sein werde, Besuchermassen zu bewältigen, denn die Ausstellung werde zu populär werden. Ein breitbrüstiger Anspruch. Alles in allem aber eine passende Hommage an die große Lina Bo Bardi.

Assemble + Schools of Tomorrow: The Place We Imagine, London
www.nottinghamgcontemporary.org
Bis 4. September
Aus dem Englischen: Leonardo Costadura

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