Zwei Bücher zur Architektur
Mangunwijaya ist nicht nur als Architekt und Aktivist eine interessante Person, sondern auch als Autor zweier grundlegender Bücher zur Architektur. Auf ihre Übertragung ins Englische bleibt zu hoffen.
Text: Henning, Moritz, Berlin
Zwei Bücher zur Architektur
Mangunwijaya ist nicht nur als Architekt und Aktivist eine interessante Person, sondern auch als Autor zweier grundlegender Bücher zur Architektur. Auf ihre Übertragung ins Englische bleibt zu hoffen.
Text: Henning, Moritz, Berlin
„Bis heute hat die Architekturwelt noch keine anderen Ausdrucksformen hervorgebracht als die, die durch die Bauhaus-Schule von Gropius und die Architekten der 50er Jahre bezüglich ihrer grundlegenden Konzepte initiiert wurden.“ Yusuf Bilyarta Mangunwijaya 1988, S. 177 1
Parallel zu seinem Schaffen als Architekt äußerte sich Yusuf Bilyarta Mangunwijaya zeitlebens auch in Form von Vorträgen und Zeitungsartikeln zur Architektur. Doch anders als das oben angeführte, als Teaser ziemlich gute Zitat vermuten lässt, geht es ihm dabei nicht um eine pauschale Kritik an „westlicher“ oder „moderner“ Architektur, sondern vielmehr um die Frage, was man aus dieser lernen könne. Mangunwijaya analysiert historische sowie aktuelle architektonische Entwicklungen differenziert, präzise und mit einer kritischen Perspektive. Diese macht auch vor den Entwicklungen im eigenen Land nicht halt. Im Zentrum seiner theoretischen Aus-einandersetzung mit dem Bauen steht deshalb vor allem die Frage, wie sich eine kulturell relevante indonesische Architektur entwickeln lässt. Diese Haltung zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk und bildet auch den Ausgangspunkt seiner beiden Bücher zur Architektur.
1980 veröffentlicht Mangunwijaya sein erstes Buch zur Architektur: „Pasal-pasal Penghantar Fisika Bangunan“2 (Einführende Artikel zur Bauphysik3). Das mit Bauten aus aller Welt illustrierte Werk erläutert erstmals die Anwendung physikalischer Prinzipien in der Baupraxis in indonesischer Sprache. Mangunwijaya behandelt anhand einer Vielzahl von Beispielen Themen wie Statik, die Auswirkungen von Wind, Schwerkraft oder Erdbeben auf Gebäude und erklärt, wie diese Faktoren berücksichtigt werden müssen, um stabile Konstruktionen zu schaffen. Ein Schwerpunkt liegt auf den physikalischen Eigenschaften von Baustoffen und deren Einfluss auf Konstruktion und Gestaltung. Zudem geht Mangunwijaya auf thermische und akustische Aspekte ein und zeigt, wie Isolierung, Belüftung und Schallschutz die Qualität des Raumklimas beeinflussen. Immer wieder kritisiert er dabei die bedenkenlose Übernahme westlicher Bauweisen und Typologien und verbindet technische mit kulturellen Aspekten.
1988 erscheint mit „Wastu Citra. Pengantar ke Ilmu Budaya Bentuk Arsitektur: Sendi-sendi Filsafatnya Beserta Contoh-Contoh Praktis“4 (wörtlich etwa: Bauwerk und Abbild. Einführung in die Kultur der architektonischen Form, ihre philosophischen Grundlagen und praktische Beispiele5) Mangunwijayas grundlegende Auseinandersetzung mit der kulturellen Bedeutung architektonischer Gestaltung. Entstanden ist das Buch auf der Grundlage von Vorlesungen, die er als Dozent an der Fakultät für Architektur der Universität Gadjah Mada in Yogyakarta zwischen 1967 und 1982 hielt. Bis heute gilt Wastu Citra als eines der einflussreichsten Architekturbücher Indonesiens im 20. Jahrhundert. Es erschien bis heute in mehreren Auflagen.
Wastu Citra vereint auf Basis einer profunden Kenntnis der globalen Architektur- und Kulturgeschichte Überlegungen zu Form, Ästhetik, kultureller Identität, Religion und sozialer Bedeutung von Architektur mit Beispielen aus verschiedenen Regionen der Welt in einem eher assoziativ-essayistischen als streng wissenschaftlichen Format. Es entwickelt sich von einer begrifflichen und philosophischen Auseinandersetzung mit Architektur über die Diskussion formaler und kultureller Prinzipien hin zu einer vergleichenden Analyse historischer und globaler Architekturbeispiele. Über 800 Abbildungen verleihen dem 350 Seiten umfassenden Werk große Anschaulichkeit. Mangunwijaya denkt stark in Bildern und argumentiert über die Sprache hinaus visuell, so dass der Inhalt auch ohne Kenntnis der indonesischen Sprache zumindest ansatzweise nachvollziehbar ist.
Grob lässt sich das Buch in drei Themenkomplexe gliedern: Zu Beginn nähert sich Mangun-wijaya über mehrere Kapitel dem Bauen aus einer kulturellen, spirituellen und anthropologischen Perspektive. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie gebaute Umwelt Ausdruck von Weltbildern, Lebensformen und geistigen Haltungen sein kann. Als konzeptionellen Leitbegriff führt Mangunwi-jaya den Ausdruck „Wastu Citra“ ein. Dabei greift er auf zwei aus dem Sanskrit stammende Begrif-fe zurück: Wastu (von Vāstu) bezeichnet nicht nur das physisch Gebaute, sondern umfasst auch Ordnung, Struktur, Wohnraum und die spirituelle Dimension des Bauens. Citra bedeutet in etwa Bild, Vorstellung, Ausdruck oder geistige Imagination. Gemeinsam bilden diese Begriffe sein konzeptionelles Gerüst. Mangunwijaya formuliert damit eine eigenständige architekturtheoretische Perspektive, die tief in der indonesischen Kultur verwurzelt ist, sich aber zugleich für universelle Fragen öffnet. Architektur erscheint bei ihm als Spiegel des Menschseins, als Ausdruck innerer Ordnungen und kollektiver Vorstellungen.
Der erste Teil des Buches bildet so das geistige Fundament für Mangunwijayas explizite Kritik an einem modernen, vor allem westlich geprägten Architekturbegriff. Diese Kritik – die sich insbesondere gegen eine Reduktion auf Technik, Form oder Stil richtet – wird im letzten Abschnitt des Buches weiter entfaltet. Im zweiten Teil vermittelt Mangunwijaya seine Sicht auf vier große architektonische Kulturkreise: die indische Architektur, die westliche Architektur und ihre philosophischen Grundlagen, das griechische Denken als Fundament abendländischer Architektur sowie die japanische Architektur. Die Texte behandeln zentrale Gestaltungsprinzipien wie Maß, Symmetrie, Rhythmus, Komposition oder Materialität als Ausdruck spezifischer kultureller Wahrnehmungsformen. Architektur wird hier als visuell-symbolisches System verstanden, das in engem Austausch mit kollektiver Identität, Spiritua-lität und Alltagsleben steht. Der Baugeschichte Indonesiens hingegen ist keine eigenes Kapitel gewidmet. Mangunwijaya scheint weniger an einer systematischen typologischen oder stilgeschichtlichen Aufarbeitung interessiert als an einer grundsätzlichen Perspektive. Wastu Citra ist auch deshalb weniger als Theorie der indonesischen Architektur zu verstehen, sondern vielmehr als Anregung, diese aus einem kulturell verankerten Blickwinkel heraus als eine Architektur neu zu denken, die sich auf kulturell gewachsene Formen, soziale Praktiken, lokale Symbolsys-teme und vor Ort verfügbare Materialien stützt. Nicht zuletzt geht es Mangunwijaya auch um die Stärkung der lokalen Bauschaffenden.
Der dritte Teil des Buches wendet sich stärker der Gestaltungspraxis zu und schließt mit dem Kapitel „Die Bedeutung der Architektur zurückgewinnen“. Hier kommt Mangunwijaya auf die Frage zurück, was Architektur überhaupt ist – und was sie kulturell bedeutet. Ausgehend von der griechischen Herkunft des Begriffs hinterfragt er die gegenwärtige, aus seiner Sicht oft oberflächliche Verwendung des Begriffs „Architektur“, den er als „armen Begriff“ bezeichnet – arm deshalb, weil er weder die Tiefe noch die kulturelle Breite dessen erfasse, was architektonisches Gestalten eigentlich ausmacht.
Mit Blick auf die Herausforderungen, vor denen Indonesien zukünftig stehen wird, wie Bevölkerungswachstum, Verstädterung oder Vernachlässigung der Schwachen und Armen in Architektur und Stadtplanung, schließt Mangunwijaya mit einem Appell, den er nicht nur an die Architekturschaffenden seines Heimatlandes richtet: „Daher besteht gerade für uns, eine Nation, die einst ihre Unabhängigkeit um der Hilfe und Erhebung der Armen und Unterdrückten willen errungen hat, für uns, einschließlich der Architekten und Bauherren, die vornehme Verpflichtung, eine umfassendere Architektur im Sinne der früheren Wastu, eine totale Architektur, ernsthafter zu pflegen.“
Trotz der Bedeutung von Wastu Citra für die indonesische Architektur bleibt dem Buch eine internationale Rezeption bislang verwehrt. Dies mag zum einen daran liegen, dass es nach wie vor nur in indonesischer Sprache vorliegt,6 zum anderen, dass die postkoloniale Architektur Südostasiens im Allgemeinen erst langsam Würdigung in der globalen Architekturgeschichtsschreibung erfährt. In Indonesien hingegen wird Wastu Citra durchaus im Kontext von Büchern wie Bernard Rudofskys „Architecture without Architects“, Hassan Fathys „Architecture for the Poor“, Jane Jacobs’ „The Death and Life of Great American Cities“ oder Christian Norberg-Schulz’ „Genius Loci: Towards a Phenomenology of Architecture“ gesehen,7 die sich ebenfalls kritisch mit der Architektur der westlichen Moderne auseinandersetzen.
1 Übersetzung des Autors
2 Yusuf Bilyarta Mangunwijaya, Pasal-pasal Penghantar Fisika Bangunan. Yogyakarta: Yayasan Kanisius, 1980
3 Übersetzung des Autors
4 Yusuf Bilyarta Mangunwijaya, Wastu Citra: Pengantar keIlmu Budaya Bentuk Arsitektur, Gramedia Pustaka Utama,Jakarta: Gramedia, 1988
5 Die indonesische Wortkombination Wastu Citra stammt aus dem Sanskrit und vereint zwei vielschichtige Begriffe:Wastu bezeichnet nicht nur das „Bauwerk“ im baulichen Sinne, sondern verweist auf ein kosmologisch eingebettetes,kulturell geprägtes Prinzip von Raum und Form. Citra bedeutet nicht nur „Abbild“ oder „Bild“, sondern umfasst auch innere Vorstellungen, symbolische Repräsentationen und ästhetische Erscheinungen. Die Übersetzung „Bauwerk und Abbild“ des Autors ist daher als interpretierende Annäherung zu verstehen, die den kulturellen und spirituellen Bedeutungsrahmen des Originaltitels nur teilweise abbilden kann.
6 Die diesem Text zugrundeliegende Übersetzung in die deutsche Sprache erfolgte durch den Autor unter Zuhilfenahme digitaler Übersetzungshilfen. Versuche des Autors, mit dem Verlag über eine Lizensierung des Werkes für eine englische Übersetzung in Verhandlung zu treten, haben bislang nicht zum Erfolg geführt.
7 Siehe z. B. Revianto B. Santosa (2024): Wastu Citra – A Reflection of Architecture. Online-Vorlesung vom 21. Juni2024, im Rahmen des Projekts „Learning from Mangunwijaya“. Verfügbar unter: https://www.seam-encounters.net/2024/07/05/learning-from-mangunwijayawastu-citraa-reflection-of-architectureonline-lecture21-june-2024/ (abgerufen am 4. Mai 2025)
2 Yusuf Bilyarta Mangunwijaya, Pasal-pasal Penghantar Fisika Bangunan. Yogyakarta: Yayasan Kanisius, 1980
3 Übersetzung des Autors
4 Yusuf Bilyarta Mangunwijaya, Wastu Citra: Pengantar keIlmu Budaya Bentuk Arsitektur, Gramedia Pustaka Utama,Jakarta: Gramedia, 1988
5 Die indonesische Wortkombination Wastu Citra stammt aus dem Sanskrit und vereint zwei vielschichtige Begriffe:Wastu bezeichnet nicht nur das „Bauwerk“ im baulichen Sinne, sondern verweist auf ein kosmologisch eingebettetes,kulturell geprägtes Prinzip von Raum und Form. Citra bedeutet nicht nur „Abbild“ oder „Bild“, sondern umfasst auch innere Vorstellungen, symbolische Repräsentationen und ästhetische Erscheinungen. Die Übersetzung „Bauwerk und Abbild“ des Autors ist daher als interpretierende Annäherung zu verstehen, die den kulturellen und spirituellen Bedeutungsrahmen des Originaltitels nur teilweise abbilden kann.
6 Die diesem Text zugrundeliegende Übersetzung in die deutsche Sprache erfolgte durch den Autor unter Zuhilfenahme digitaler Übersetzungshilfen. Versuche des Autors, mit dem Verlag über eine Lizensierung des Werkes für eine englische Übersetzung in Verhandlung zu treten, haben bislang nicht zum Erfolg geführt.
7 Siehe z. B. Revianto B. Santosa (2024): Wastu Citra – A Reflection of Architecture. Online-Vorlesung vom 21. Juni2024, im Rahmen des Projekts „Learning from Mangunwijaya“. Verfügbar unter: https://www.seam-encounters.net/2024/07/05/learning-from-mangunwijayawastu-citraa-reflection-of-architectureonline-lecture21-june-2024/ (abgerufen am 4. Mai 2025)







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