Bauwelt

Reichtum in der Subjektivität

In seinen „Tagebüchern“ theoretisierte und revidierte er seine Kunstlehre. Sie sind der Kern der mit 400 Exponaten opulenten Ausstellung über Johannes Itten.

Text: Brosowsky, Bettina Maria

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    Häuserrhythmen II, 1917, Aquarell auf Papier.
    Abb.: Kunstmuseum Bern, Anne-Marie und Victor Loeb-Stiftung/Johannes-Itten-Stiftung, Schenkung von Anneliese Itten, Zürich © VG Bild-Kunst, Bonn 2019/ Lithografie für die 1. Bauhausmappe, 1921, Privatbesitz.

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    Häuserrhythmen II, 1917, Aquarell auf Papier.

    Abb.: Kunstmuseum Bern, Anne-Marie und Victor Loeb-Stiftung/Johannes-Itten-Stiftung, Schenkung von Anneliese Itten, Zürich © VG Bild-Kunst, Bonn 2019/ Lithografie für die 1. Bauhausmappe, 1921, Privatbesitz.

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    Zeichnung aus Johannes Ittens Tagebuch V, Krefeld, 1937.
    Abb.: Kunstmuseum Bern, Anne-Marie und Victor Loeb-Stiftung/Johannes-Itten-Stiftung, Schenkung von Anneliese Itten, Zürich © VG Bild-Kunst, Bonn 2019/ Lithografie für die 1. Bauhausmappe, 1921, Privatbesitz.

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    Zeichnung aus Johannes Ittens Tagebuch V, Krefeld, 1937.

    Abb.: Kunstmuseum Bern, Anne-Marie und Victor Loeb-Stiftung/Johannes-Itten-Stiftung, Schenkung von Anneliese Itten, Zürich © VG Bild-Kunst, Bonn 2019/ Lithografie für die 1. Bauhausmappe, 1921, Privatbesitz.

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    Skizze zum „Haus des Weißen Mannes“.
    Abb.: Kunstmuseum Bern, Anne-Marie und Victor Loeb-Stiftung/Johannes-Itten-Stiftung, Schenkung von Anneliese Itten, Zürich © VG Bild-Kunst, Bonn 2019/ Lithografie für die 1. Bauhausmappe, 1921, Privatbesitz.

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    Skizze zum „Haus des Weißen Mannes“.

    Abb.: Kunstmuseum Bern, Anne-Marie und Victor Loeb-Stiftung/Johannes-Itten-Stiftung, Schenkung von Anneliese Itten, Zürich © VG Bild-Kunst, Bonn 2019/ Lithografie für die 1. Bauhausmappe, 1921, Privatbesitz.

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    Johannes Ittens Tagebuch III, Berlin, 1929–1930. Darin befinden sich 175 verschiedene Techniken; einseitig beschriebene lose gelochte Blätter.
    Abb.: Kunstmuseum Bern, Johannes-Itten-Stiftung, Schenkung von Anneliese Itten, Zürich © VG Bild-Kunst, Bonn 2019

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    Johannes Ittens Tagebuch III, Berlin, 1929–1930. Darin befinden sich 175 verschiedene Techniken; einseitig beschriebene lose gelochte Blätter.

    Abb.: Kunstmuseum Bern, Johannes-Itten-Stiftung, Schenkung von Anneliese Itten, Zürich © VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Reichtum in der Subjektivität

In seinen „Tagebüchern“ theoretisierte und revidierte er seine Kunstlehre. Sie sind der Kern der mit 400 Exponaten opulenten Ausstellung über Johannes Itten.

Text: Brosowsky, Bettina Maria

Wer nach 2019 noch Lust auf Bauhaus verspürt, kann jetzt mit aller Muße Leben und vor allem pädagogisches Wirken des Schweizer Künstlers und Bauhäuslers Johannes Itten (1888−1967) erkunden. Im Bielefelder Kunstforum Hermann Stenner legt eine mit 400 Exponaten opulent bestückte Ausstellung den Schwerpunkt auf Ittens als „Tagebücher“ bezeichnete Skizzenkonvolute. In ihnen theoretisierte er seine Lehrtätigkeit an diversen Institutionen, ständig bearbeitend und revidierend passte er sie an die adressierten Studierenden und Fachdisziplinen an. Die Ausstellung ist eine Kooperation mit dem Kunstmuseum Bern und war dort 2019, neben einer Übernahme des internationalen Projekts Bauhaus Imaginista (Bauwelt 10.2019) durch das Zentrum Paul Klee, der offizielle Beitrag der Schweiz zum Bauhausjubiläum.
Johannes Itten war auf Empfehlung von Gropius‘ zeitweiliger Gemahlin Alma Mahler 1919 als einer der ersten Formmeister ans Bauhaus berufen worden, alternierend für fünf Werkstätten zuständig. Er begründete zudem den für alle Studierenden obligatorischen Vorkurs, zeichnete aber auch für eine in Weimar gelebte und gelehrte sektiererische Esoterik verantwortlich, zu der fragwürdige Rassentheorie zählte. 1923 schied Itten in persönlichem Konflikt mit Gropius, unter anderem, weil er die von Gropius forcierte Auftragsarbeit in Produktionswerkstätten kategorisch ablehnte: Die Lehre am Bauhaus hätte einer individuellen Persönlichkeitsbildung durch nicht nur künstlerisch handwerkliches Training zu dienen. Der Vorkurs blieb Herzstück der Bauhauslehre, in der Folge von Temperamenten wie László Moholy-Nagy, Josef Albers, Paul Klee und Wassily Kandinsky vertreten.
Was also umfasste die Lehre Ittens, nicht nur am Bauhaus? Wie lassen sich aus heutiger Sicht eugenisch-evolutionäre Anteile bewerten? Wie wohl wenige künstlerisch und pädagogisch Tätige erweist sich Itten als permanent Suchender. Seine eigene Ausbildung umfasste abgebrochene Kunststudien in der Schweiz wie auch 1912 das Diplom der Universität Bern als Sekundarlehrer. Im Oktober 1913 brach er zu Fuß nach Stuttgart auf, um bei Adolf Hölzel zu studieren. Als Wegbereiter der Abstraktion vertrat Hölzel eine systematische Kompositionslehre, die sich über die Bildanalyse Grundkategorien künstlerischer Arbeit erschließen wollte, so zu Fläche, Farbe, Raum und harmonischer Proportion. Hier beginnen Ittens Tagebücher, er schließt Künstlerfreundschaften zu Oskar Schlemmer oder Ida Kerkovius, denen er am Bauhaus wiederbegegnen wird, und zum Bielefelder Hermann Stenner, der, erst 23-jährig, bereits Ende 1914 an der Ostfront fällt. Itten übernimmt Stenners Atelier, betreut den Nachlass, Skizzen Stenners in der Ausstellung belegen die künstlerische Symbiose. Ende 1916 eröffnet Itten seine erste private Kunstschule in Wien, die sich schnell in der österreichischen Avantgarde verankert.
In seinen Tagebüchern formuliert er nun künstlerische und theoretische Maximen, zu Rhythmus und Harmonik, Farbenlehre, Ausdrucksform oder Zeit-Raum-Bewegung. Er dynamisiert das Zeichnen, lässt seine Studierenden etwa Skizzen eines sich bewegenden Aktes als reine Hand-Arm-Bewegungen oder mit geschlossenen Augen ausführen: Wirkungsformen, Gefühlsstenogramme. Er erkennt unterschiedliche Künstlertypen in der Atmung – „rembrandtisch, giottonisch“ – erweitert die Lehreinheiten um Gymnastik und Atemübung. Itten will den Menschen aus der anerzogenen Form befreien, die erschreckend armselig sei, er will den Reichtum höchster Subjektivität hervorbringen. Er konfrontiert seine Studierenden in Wien, später am Bauhaus, mit Spinnen oder der Distel: Zuerst mussten sie sie anfassen, sich von ihr stechen lassen, um das Schmerzhafte, Aggressive zu erspüren, ihre Form zu „erleben“ – die Synästhesie im Dienste künstlerischen Schaffens.
Vielleicht mag solch Überhöhung des Subjektiven Itten empfänglich gemacht haben für Welterklärungslehren wie den multireligiösen Mazdaznan und sein Evolutionsmodell, an dessen Spitze, vom Mineral- über das Pflanzen- und Tierreich, die „weiße arische Rasse“ stehe. Er trägt diese Ideologie ins Bauhaus, zeichnet für die erste Bauhausmappe 1921 das „Haus des weißen Mannes“: Eine prototypisch weiße, additive Kubenkomposition, die aber jeglicher NS-Ästhetik so offen zuwiderläuft, dass sie 1937 in der Feme-Schau „Entartete Kunst“ gezeigt wird.
In weiteren Lehrtätigkeiten – seiner eigenen interdisziplinären Kunstschule ab 1925 in Berlin, zu deren Lehrenden japanische Tuschemaler oder die Fotografin Lucia Moholy gehören, und der Leitung der Fachschule für textile Flächenkunst in Krefeld, parallel ab 1932 – gerät er trotz wohl nicht nur verbalem Opportunismus in Konflikt mit dem NS-Regime. Auch seine eigene künstlerische Produktion ist betroffen: 31 Werke Ittens werden aus deutschen Sammlungen entfernt. Seine Berliner Schule wird 1934, die Krefelder 1938 geschlossen. Dem Widerspruch in Leben und Werk Johannes Ittens bleibt Christoph Wagner, Kunsthistoriker und Co-Kurator der Ausstellung, in seiner Forschung auf der Spur.
Für das erst im letzten Jahr dank mäzenatischer Stiftung des Bielefelder Bausysteme- und Schlüsselfertiganbieters Ortwin Goldbeck eröffnete Kunstforum Hermann Stenner sind Ausstellung und prominente Kooperation der Ritterschlag zum überregional wahrgenommenen Ausstellungshaus. Ambitioniert ist auch das folgende Programm: Der Fotograf Josef Schulz, einer der letzten Düsseldorfer „Becher-Schüler“, zeigt seine Architekturfotografien und Formkompositionen, konfrontiert mit drei Kabinetten zu Arbeiten Hermann Stenners aus dem Jahr 1912, seiner künstlerischen Emanzipation von seinem Lehrer Adolf Hölzel.

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