Bauwelt

Past forward

Das Thema „Past forward“, „Zurück in die Zukunft“, wurde aus der Überzeugung heraus geboren, dass Projekte ein Wissen enthalten, das über ihre Zeit hinausgeht. Ihr kritisches Verständnis ist ein gemeinsames Erbe, das Werkzeuge für die Lösung neuer Probleme liefern kann. Diese Ansammlung von Wissen, die einigen Entwürfen innewohnt, kann die Grundlage für neue Überlegungen zu Veränderungen, Neuordnungen und Umgestaltungen des städtischen Umfelds in seiner ästhetischen und physischen Dimension sein.

Text: Calderoni, Alberto; Floridi, Giancarlo, Mailand

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Wohnanlagen und Verwaltungsbauten, Institute, eine Börse und ein Bahnhof – auf dieser Doppelseite sind die acht in diesem Thementeil betrachteten Gebäude in Mailand, Neapel, Madrid und London im gleichen Maßstab versammelt.
Abb.: Ansichten und Schnitte

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Wohnanlagen und Verwaltungsbauten, Institute, eine Börse und ein Bahnhof – auf dieser Doppelseite sind die acht in diesem Thementeil betrachteten Gebäude in Mailand, Neapel, Madrid und London im gleichen Maßstab versammelt.

Abb.: Ansichten und Schnitte


Past forward

Das Thema „Past forward“, „Zurück in die Zukunft“, wurde aus der Überzeugung heraus geboren, dass Projekte ein Wissen enthalten, das über ihre Zeit hinausgeht. Ihr kritisches Verständnis ist ein gemeinsames Erbe, das Werkzeuge für die Lösung neuer Probleme liefern kann. Diese Ansammlung von Wissen, die einigen Entwürfen innewohnt, kann die Grundlage für neue Überlegungen zu Veränderungen, Neuordnungen und Umgestaltungen des städtischen Umfelds in seiner ästhetischen und physischen Dimension sein.

Text: Calderoni, Alberto; Floridi, Giancarlo, Mailand

Die Verwendung von Referenzen, die Notwendigkeit und die Möglichkeit, von einem anderen Ausgangspunkt zu beginnen, eröffnet auch heute Entwerfenden einen konzeptionellen wie gestalterischen Reichtum, der es architektonischen Projekten ermöglicht, spezifisch zu werden. Dies steht im Gegensatz zur gegenwärtigen Situation, in der wir eine zunehmende Vereinheitlichung und Verallgemeinerung erleben, die zwar mit notwendigen und entscheidenden Themen verbunden ist, diese aber unter rein technischen Aspekten behandelt, wie Energienutzung, Baulogistik und die Beziehung zur Umwelt. Diese Fragen werden in einem universalistischen und objektorientierten Ansatz zur Architektur und Stadtplanung gelöst. Die urbanen Umgebungen und Gebäude, die wir am meisten lieben, sind hingegen das Ergebnis einer Art von Spezifik und ihrer Fähigkeit, als Ausdruck der Ansammlung von Kultur, Geschichten und Ereignissen erkannt zu werden und ihre Beziehung zu den Referenzen auf eine nicht wörtliche Weise auszudrücken.
Die europäische Stadt ist ein hochinteressantes Observatorium, das eine Vielzahl an Beispielen versammelt, welche uns zum Nachdenken anregen, was notwendige Elemente sein könnten, um über die Qualität gegenwärtiger Architektur zu diskutieren. Die historische Stadt verfügt über eine Nachhaltigkeit, die ihrer eigenen Konstruktion innewohnt: gebaut mit lokal oder regional verfügbaren Materialien, ihrer Dauerhaftigkeit, der Solidität ihrer Fügung und der Bildung von Zusammenhängen sowohl zwischen neuen Gebäuden als auch zwischen bestehenden Teilen, ihrer Wiederverwendung und Beständigkeit. Das Erscheinungsbild der europäischen Städte, die wir zu lieben gelernt haben, ist der eigentliche Ausdruck dieser Themen, die in hervorragender Weise artikulierte architektonische Bedeutungen, den physischen Kontext und die Umwelt verbinden.
Im Gegensatz zu diesen Überlegungen erscheint die zeitgenössische Architekturszene verwirrend zersplittert. Abgesehen von einer sehr begrenzten Anzahl von Gebäuden, die als vorbildlich gelten können sowohl in Bezug auf die Klarheit der ihnen zugrundeliegenden Ideen als auch auf die Werte, die sie vermitteln in Hinsicht auf ökologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Nachhaltigkeit, gibt es eine große Anzahl von Beispielen, die stattdessen die Umwelt verändern, ohne jegliche Bedeutung auf der kulturellen Ebene zu erlangen. Die Auseinandersetzung mit der Qualität von Gebäuden scheint schwierig geworden. Die Diskussion beschränkt sich oft auf objektive Parameter und Standards, die sich aus vergleichenden Bewertungen und messbaren Aspekten ergeben.
In dieser Zeit, in der neue und intensive Überlegungen zur Stadt und ihrer Nachhaltigkeit aufkommen, scheint es eine interessante Übung zu sein, etwas unorthodoxe Experimente innerhalb der europäischen Praxis der Moderne zu betrachten. Heute stellen die am meisten untersuchten und beobachteten Projekte, die eine mögliche Verbindung zur Gegenwart herstellen, nicht nur einen Neuheitswert dar, sondern auch einen Zusammenhang mit anderen Zeiten und Epochen. Die auf den folgenden Seiten dargestellten acht Gebäude aus den fünfziger bis siebziger Jahren bieten eine Reihe von Referenzen an, die die Fähigkeit besitzen, trotz zeitlicher Distanz neue Ansatzpunkte für die Auseinandersetzung mit der formalen Vielfalt und Schichtung der Stadt zu liefern. Unser Ziel ist es, damit ein Mosaik zu erstellen, in dem eine mögliche andere Zukunft zu erkennen ist. Wir wollen unseren Blick für Fragen der urbanen Komposition, der Kons­truktion von Gebäuden als kulturelle Operationen und der Neuinterpretation urbaner Qualitäten öffnen mit Hilfe der Analyse von gebauten Beispielen, die ebenso klare wie gewagte Maßnahmen darstellen. Dabei handelt es sich um Gebäude, die mit dem Willen gebaut wurden, Werte und Charaktere über die Zeit durch die Architektur selbst zu vermitteln, ohne sie an andere Hilfsmittel als die Macht des Raums zu übertragen.
Die Reihe der Referenzen kann umfangreich sein, ist aber durch die Notwendigkeit einer präzisen Untersuchung innerhalb dieses begrenzten Rahmens beschränkt. Die Auswahl der Bauten erfolgte aufgrund ihrer Fähigkeit, visuelle und atmosphärische Zusammenhänge innerhalb des Formenreichtums des städtischen Gefüges zu schaffen, auf das sie verweisen. Sie befinden sich in Städten mit einer metropolitanen Dimension, die stark geschichtet sind und in denen die historische Betrachtung des einzelnen Gebäudes ihren Wert durch den Bezug auf diesen urbanen Kontext findet: London, Madrid, Mailand und Neapel. Vier Städte, denen es bei aller Unterschiedlichkeit gelingt, ein systematisches Feld als Ausgangspunkt für eine schlüssige Untersuchung zu definieren. Unsere Beispiele befinden sich in einer zweideutigen Situation: Sie sind sowohl Objekte als auch Teil des städtischen Hintergrunds. Sie stehen für artikulierte urbanistische Strategien wie für moderne Konstruktionsmethoden. Sie werden definiert durch ihre gestalterischen Prinzipien, die einen mehr oder weniger dauerhaften Rahmen für wechselnde Lebensbedingungen und variable Nutzungen erzeugen. Die Architektur wird gewissermaßen langsam und dauerhaft, während die Zwecke, denen sie unterworfen ist, flüchtig sind. Dementsprechend ist es für Gebäude wenig zwingend, sich einem bestimmten Programm zu unterwerfen, um aktuelle Ereignisse auszudrücken oder den Zeitgeist widerzuspiegeln. Andererseits: Gebäude sind keine neutralen Behälter.
Für uns sind diese Gebäude Ergebnisse einer modernen Suche nach Urbanität. Es handelt sich um Beispiele, die mit dem Palimpsest der Stadt in Resonanz stehen und Merkmale von Dauer, Beständigkeit und Materialität in Kontinuität mit der Umgebung aufweisen, und zwar auf eine neue, auch technisch fortschrittliche Art und Weise, die nicht nachahmend oder wörtlich zu nehmen ist. Jeder der acht kurzen Beiträge stellt ein Gebäude vor, das sich mit einer unterschiedlichen Idee von Modernität befasst. Die Projekte werden paarweise gezeigt, um eine Reihe von Gemeinsamkeiten und Unterschieden hervorzuheben, auch in Bezug auf die Kultur des jeweiligen Ortes, an dem sie entstanden sind.
Ausgewählt wurden Gebäude, die in der konsolidierten Stadt oder an den Rändern errichtet wurden und in der Lage sind, Typen und Morphologien neu zu interpretieren, da sie die Identität des physischen Kontexts, in den sie eingefügt sind, definieren. Die räumliche Gestaltung oder Erfindung dieser Gebäude scheint immer noch nachvollziehbare und gemeinsame Werte zu tragen, was die Fähigkeit der entwerfenden Architekten beweist, sie auf gewagte und gleichzeitig maßstabsgerechte Weise in den Kontext einzufügen und somit das Leben der Stadt fortzusetzen.
Die Übersetzungen der Texte aus dem Englischen lieferten Sophie Helene Mariacher und Florina Pop. Die Zeichnungen fertigten Salvatore Pesarino, Gianluca Piccolo, Andrea Consonni, Tommaso Casotto und Ginevra Cairoli an. Andrew Meredith, Piercarlo Quecchia und Montse Zamorano haben die acht Gebäude eigens für diese Ausgabe fotografisch porträtiert.

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