Ein- und ausgepackt
Das Leben einer Zahnbürste mag man sich ausgesprochen langweilig vorstellen. In Wahrheit aber kommt sie mehr herum als die meisten von uns.
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Ein- und ausgepackt
Das Leben einer Zahnbürste mag man sich ausgesprochen langweilig vorstellen. In Wahrheit aber kommt sie mehr herum als die meisten von uns.
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Regelmäßige Venedigarchitekturbiennalegänger wissen es, allen anderen sei es hiermit offenbart: Man darf in den Giardini und im Arsenale jeden Teil der Ausstellung schwänzen, falls einem die ganze Sache über den Kopf zu wachsen droht. Niemals jedoch sollte man jene Schau verpassen, die das Victoria and Albert Museum (V&A) in den Sale d’Armi im Arsenale aufbaut. Denn egal wie disparat ein Biennalejahrgang vielleicht sein mag – in den Räumen des V&A werden stets ein stimmiges Konzept und eine großzügig inszenierte Präsentation geboten.
In diesem Jahr nutzt das Londoner Kunstgewerbe- und Designmuseum Venedig in eigener Sache: Anlässlich der Eröffnung seines neuen Schaudepots, des V&A East Storehouse, hat der Chefkurator des Hauses, Brendan Cormier, un-ter der Überschrift „On Storage“ den Vorgang des Lagerns zum Thema gemacht. Zu sehen sind Fotos aus dem von Diller Scofidio + Renfro entworfenen Depotgebäude, das Originalmodell des Projekts, ein Faksimile des Skizzenbuchs der New Yorker Architekten sowie Fotos von teilweise reichlich skurrilen Aufbewahrungslösungen des Museums.
Vor allem aber: eine raumgreifende Videoarbeit von Diller Scofidio + Renfro mit dem schö-nen Titel „Boxed: The Mild Boredom of Order“, der sich am treffendsten – wenn auch sprachlich vielleicht nicht am geschmeidigsten – mit „Verpackt. Die gnädige Langeweile der Ordnung“ übersetzen lässt. Im Schnelldurchlauf: Auf sechs Leinwänden folgt man in ruhigen, ungewöhnlichen Kameraeinstellungen dem (kurzen) Leben einer Zahnbürste – Fabrikation in China, Fahrt auf einem Containerschiff, Paketversand in einen belanglosen europäischen Vorort, Aufbewahrung im Spiegelschrank einer Frau (die dort auch seltsam viele Pillendöschen bevorratet), Reise im Fluggepäck nach Venedig, zweimalige Benutzung im Hotelbadezimmer, Entsorgung durch das Reinigungspersonal in einem Müllbeutel – und schließlich dessen Abtransport auf einem Müllschiff zur (vorläufigen) Endlagerstätte auf einer venezianischen Mülldeponie.
Zugegeben: Das mag alles ein bisschen langweilig klingen. Doch es ist eine Langeweile, die man – vor allem nach der überbordenden Fülle von Carlo Rattis Hauptausstellung in der benachbarten Corderie – als ausgesprochen gnädig empfindet und, sofern man der Sache die ihr gebührende Zeit widmet, als ungeheuer poetisch.







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