Bauwelt

Man kann nicht gleichzeitig für und gegen etwas bauen. Aber man kann für und gegen etwas zeichnen.

Kai Drewes und Wolfgang Kil, Kuratoren von „Pläne und Träume – Zeichnungen in der DDR“, sprechen über die Entwicklung und Hintergründe der Schau in der Tchoban Foundation.

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin; Landes, Josepha, Berlin

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    Kai Drewes
    leitet seit 2013 die Wissenschaftlichen Sammlungen, seit 2022 den Bereich Digital History/Wissenschaftliche Sammlungen des IRS. Seit 2019 ist er stellvertretender Sprecher der Föderation deutschsprachiger Architektursammlungen.
    Wolfgang Kil
    ist freier Architekturkritiker und Publizist. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist das Verschwinden von Architektur aus der DDR-Zeit. Seit 1998 ist er Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste.

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    Kai Drewes
    leitet seit 2013 die Wissenschaftlichen Sammlungen, seit 2022 den Bereich Digital History/Wissenschaftliche Sammlungen des IRS. Seit 2019 ist er stellvertretender Sprecher der Föderation deutschsprachiger Architektursammlungen.
    Wolfgang Kil
    ist freier Architekturkritiker und Publizist. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist das Verschwinden von Architektur aus der DDR-Zeit. Seit 1998 ist er Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste.

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    Zeichnung von Leopold Wiel des Dresdener Kulturpalast, 1960
    Abb.: Stiftung Sächsischer Architekten; Michael Voll

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    Zeichnung von Leopold Wiel des Dresdener Kulturpalast, 1960

    Abb.: Stiftung Sächsischer Architekten; Michael Voll

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    Die freie Arbeit von Michael Voll, Operative Beratung, 1975
    Abb.: Stiftung Sächsischer Architekten; Michael Voll

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    Die freie Arbeit von Michael Voll, Operative Beratung, 1975

    Abb.: Stiftung Sächsischer Architekten; Michael Voll

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    Zeichnung von Werner Rösler: Berlin Palast der Republik, 1974
    Abb.: IRS Erkner

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    Zeichnung von Werner Rösler: Berlin Palast der Republik, 1974

    Abb.: IRS Erkner

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    Lutz Brandt Balkonträumereien, 1983
    Abb.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2025; Michael Kny

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    Lutz Brandt Balkonträumereien, 1983

    Abb.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2025; Michael Kny

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    Darunter: Die freie Arbeit von Michael Kny, Sächsisches Babel, 1981
    Abb.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2025; Michael Kny

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    Darunter: Die freie Arbeit von Michael Kny, Sächsisches Babel, 1981

    Abb.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2025; Michael Kny

Man kann nicht gleichzeitig für und gegen etwas bauen. Aber man kann für und gegen etwas zeichnen.

Kai Drewes und Wolfgang Kil, Kuratoren von „Pläne und Träume – Zeichnungen in der DDR“, sprechen über die Entwicklung und Hintergründe der Schau in der Tchoban Foundation.

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin; Landes, Josepha, Berlin

Was erwartet die Besucher und Besucherinnen in der Ausstellung?
Wolfgang Kil Erwarten Sie keine schlüssige Erzählung der DDR-Architektur! Die Schau funktioniert ein bisschen wie ein Adventskalender: Lauter kleine Türchen, und hinter jedem steckt ein anderes Stück Geschichte. Da ich kein Historiker bin, nehme ich mir die Freiheit, es mit den akademischen Regeln nicht so streng zu halten. Ich darf Geschichten anfangen, ohne sie zu Ende zu bringen. Wenn jemand die stringente Erzählung vermisst, sag ich: Suchen Sie sich ein Türchen aus. Man kann mit jeder einzelnen Zeichnung eine ganze Forschungsarbeit beginnen. Für uns hat es eine Menge neue Entdeckungen gegeben. Wir hoffen, für andere auch.
Beginnen wir mit Türchen eins, Herr Kil: Zeichnen Sie eigentlich selbst noch?
Wolfgang Kil Nicht mehr. All meine Kommilitonen zeichneten besser als ich. Das habe ich irgendwann akzeptiert und auch gemerkt, dass ich mich an der Schreibmaschine wohler fühlte als am Reißbrett.
Wie kam es dann zu dieser Ausstellung?
Kai Drewes Das Museum kam vor ungefähr fünf Jahren auf das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) zu. Die Architektursammlungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben einen fachlichen Zusammenschluss, die so genannte Föderation. Die Tchoban Foundation hat schon einige Ausstellungen gemacht mit anderen Akteuren aus diesem Zusammenschluss, zu ganz verschiedenen Themen und Epochen. Die Idee, Architekturzeichnungen aus der DDR zu zeigen, kam auf, weil dieses Feld brach lag. Es war naheliegend, uns anzusprechen, weil wir die wichtigste Spezialsammlung für Architektur und Städtebau der DDR haben.
Wann kamen Sie dazu, Herr Kil?
Wolfgang Kil Im Juli 2024. Ich wurde erst nur wegen des Katalogs angefragt. Als ich dann in Erkner war, haben wir an der Grundidee für die Ausstellung gefeilt. Ich habe ein wenig aus meiner eigenen beruflichen Erfahrung beigesteuert – das IRS sammelt vor allem Nachlässe, aber es gibt ja Leute, die noch aktiv oder am Leben sind. So ist die Idee entstanden mit den zwei Etagen.
„Pläne“ und „Träume“.
Wolfgang Kil Ja, zuerst Pläne, und dann Träume als Antwort oder Alternative dazu. Wir sind sehr froh, dass das Museum diesen Titel gleich akzeptiert hat – es muss ja damit werben.
Wie haben Sie recherchiert? Sind Sie stöbernd ins Archiv gegangen, oder hatten Sie bereits eine Vorstellung, was Sie zeigen möchten?
Wolfgang Kil Ich hatte sofort Namen im Kopf: Personen, die ich schon lange kenne oder denen ich immer schon mal nachforschen wollte. Einige Zeichnungen, die ich unbedingt ausgraben woll-te, haben wir gezielt gesucht, den Kulturpalast in Dresden zum Beispiel von Herbert Schneider mit den barocken Figuren auf dem Altmarkt. Diese verrückte Staffage sollte unbedingt mit dem modernen Wiel’schen Plan konfrontiert werden, der dann gebaut wurde. Die Herangehensweise ist ein bisschen spielerisch: Es gab ein paar Ideen, ich hatte eine Wunschliste, und dann haben wir viele Tage mit Sichten zugebracht.
Warum fehlen bekannte Namen wie Henselmann, Paulick, Graffunder, Gißke, Zumpe,
Kaiser?
Kai Drewes Das ist eine bewusste Entscheidung. Zu den genannten Architekten gibt es schon viel: Monografien, Ausstellungen. Alles sehr verdient und erkenntnisfördernd, aber wir fanden es wichtig, Personen in den Blick zu rücken, die weniger bekannt sind, an denen sich aber auch sehr viel zeigen lässt.
Warum spielt die unmittelbare Nachkriegszeit quasi keine Rolle in der Schau?
Kai Drewes Das Problem ist: Es gibt kaum mehr Originalzeichnungen. Dieses kurze Anfangskapitel ist architekturgeschichtlich unglaublich spannend. Zwischen ‘45 und ‘50 sind auf einmal ganz viele moderne Anklänge wieder da. Ich hätte diese Aspekte gern gezeigt.
Wolfgang Kil Wir haben drei Zeichnungen zur Leipziger Oper aus den 1950er Jahren dabei, von Kunz Nierade. Der hat in jenen frühen Jahren Sachen gezeichnet, die sehen manchmal noch aus wie Nazi-Monumente. Demgegenüber gab es im Archiv der Klassik Stiftung Weimar zwei recht belanglose Blätter aus etwa derselben Zeit. Der Verfasser heißt Bernhard Danz. Seine Bilder sehen aus wie aus den frühen dreißiger Jahren. In der frühen DDR-Zeit gab es das alles nebeneinander.
Kai Drewes Das Nebeneinander ist enorm wichtig in den 40er, 50er Jahren, es findet sich teilweise bei denselben Personen. Von Egon Hartmann gibt es aus ein und demselben Jahr Heimatstilsachen und konsequenteste Moderne. Er hat in Weimar studiert und diese ganz verschiedenen Einflüsse durch die Hochschullehre mitbekommen. Es gab also auch an der Hochschu-le in den ersten Jahren nach ‘45 vieles parallel.
Wie haben Sie die Gewichtung zwischen den drei Architektur-Schulen Dresden, Weimar und Berlin vorgenommen?
Wolfgang Kil Mit Unsicherheitsgefühl, denn ich war mit meiner Weimar-Herkunft natürlich automatisch parteiisch. Wir haben viel Arbeit in Dresden investiert, was nicht immer glücklich ausgegangen ist: An den Nachlass von Helmut Trauzettel zum Beispiel kommt man nicht leicht; von Wolfgang Hänsch fanden wir keine Originale. Als dann doch was aus Dresden aufgetrieben war, kam die Frage: „Und was ist mit Berlin-Weißensee?“ Da kannte ich glücklicherweise zwei, drei Kollegen, und dann war da Lutz Brandt – der ist uns quasi in den Schoß gefallen. Ich bin zu seinem Nachlassverwahrer nach Pankow gefahren, und alles lag da, komplett aufgearbeitet.
Kai Drewes Es gibt weiteres Material in Hülle und Fülle an verschiedenen Orten. Eine Auswahl ist immer subjektiv, manchmal auch ungerecht und zufällig, aber auch nicht nur.
Eine Zusammenstellung kann darauf abzielen, eine neue Perspektive auf ein Thema zu eröffnen. Hatten Sie den Wunsch, eine Alternative zur tradierten Bauhistorie der DDR zu zeigen?
Wolfgang Kil Nein. Die Geschichte sollte nicht rund werden, denn sonst käme man ja sofort in die Nachweispflicht. Wir wollten offen bleiben, Denkanstöße in alle Richtungen geben. Die Ausstellung hat in dem Dreivierteljahr ihres Entstehens eine eigene Entwicklung genommen. Ich bin selbst unentwegt überrascht worden.
Welche Art von Überraschung war das?
Wolfgang Kil Als ich das erste Mal in der Berlinischen Galerie war – nach Erkner unser zweitwichtigster Leihgeber –, konnte ich kaum glauben, was da alles liegt: Fassadenentwürfe für die Friedrichstadtpassagen in bald vierzig Varianten! Oder nie gesehene Blätter von Bernd Ettel und Christian Enzmann. Ähnliche Überraschungen auch im Landesdenkmalamt Dresden: Nachdem ich die Planschränke nach Herbert Schneider durchforstet hatte, liegt da ganz unten plötzlich das Blatt von der Carolabrücke aus den 1960er Jahren – ein Entwurf mit Schrägseilen! 14 Tage vor meinem Besuch war die Brücke eingestürzt. Da konnte ich es mir nicht verkneifen: Das Blatt musste mit in die Ausstellung.
Das IRS in Erkner hat die Bestände des Instituts für Architektur und Städtebau der DDR (ISA) übernommen. Auf welche Art wurde dessen Sammlung fortgeführt? Und was brauch-ten Sie als Ergänzung aus privaten Nachlässen oder städtischen Archiven?
Kai Drewes Das Vorgängerinstitut war sehr viel größer als das heutige IRS. Es war ein Hub für die Architektur in der DDR und wurde dann 1990/ 91 in kurzer Zeit unglaublich geschrumpft. Die Bauakademie wurde aufgelöst, aber das Institut hat durch Glück in verkleinerter Form überlebt: Als Neugründung mit einzelnen Leuten, die übernommen wurden, sowie mit wenigen Themen, die fortgeführt werden konnten. Die meisten Bestände sind in kurzer Zeit von Arbeitsunterlagen zu Archivgut geworden – zum Teil halbfertige Planungen. Diese Arbeitsunterlagen sind der Grundstock unseres Bestands. Außerdem hat das ISA auch schon Baugeschichte betrieben, allerdings einigermaßen unsystematisch gesammelt. 1990 kam aus dem aufgelösten Bund der Architekten der DDR ein weiterer Bestand zu uns; seither arbeiten wir stark daran, Vor- und Nachlässe zu sammeln. Unser Metier ist eher das Kapitel „Pläne“. Ich habe viel gelernt mit der Ausstellung. Das Kapitel „Träume“ war mir in dieser Form nicht bekannt. Da hatte Wolfgang Kil die Kontakte, um auch aus Privatbesitz Bestände an Land zu ziehen.
Wolfgang Kil Das Kapitel „Träume“ würde von jemand, der eine andere Telefonliste hat, wahrscheinlich völlig anders aussehen. Dazu bekenne ich mich auch: Es hat ganz viel mit meinem Berufsweg zu tun. Ich bin zum Beispiel ein großer Verehrer unseres damaligen Zeichenlehrers Alfred Pretzsch, und deswegen kriegt er jetzt eine Wolke von Bildern – eine Art Denkmal. Warum nicht?
Gleichzeitig bringen Sie in den „Träumen“ rebellische Bilder unter, etwa von Bernd Ettel und Christian Enzmann. Welche Kraft zum Widerstand haben Architekturzeichnungen?
Wolfgang Kil Architektur ist gebauter Pragmatismus. Man kann nicht gleichzeitig für und gegen etwas bauen. Aber man kann für und gegen etwas zeichnen.
Um das Thema Ironie zu besprechen, eignet sich eine enorm große Zeichnung zum Palast der Republik, die im Kapitel „Pläne“ zu sehen ist: Ein Blick in die Volkskammer, sie stammt von Werner Rösler.
Wolfgang Kil Es handelte sich hier um das Parlament eines Gebildes, das sich als Arbeiter- und Bauernstaat definierte! Bei Rösler sitzen hier nun keine fiktiven Abgeordneten, sondern einfach kleine Leute. Für mich sehen sie aus wie von Loriot gezeichnet. Wenn man sich Gesichter und Habitus der Leute anschaut – die müssen doch unentwegt gelacht haben, während sie das zeichneten.
Waren die Architekten also staatskritischer als gedacht?
Wolfgang Kil Zweifellos. In diesem Staat hat jede Menge Kritik in der Gesellschaft gewabert. DDR-Bürger und -Bürgerinnen waren doch beileibe nicht staatsfromm. Wenn man den Film „Die Architekten“ nimmt: Der hat viele realistische Szenen. Was die sich im Büroalltag um die Ohren hauen, wie sie den Stasi-Typen in ihrer Truppe fertig machen! Aber so war’s. In dieser Gesellschaft haben viele Dinge stattgefunden, die nicht ins Klischeebild reinpassen. Deshalb unsere Hoffnung, dass die Zeichnungen ein bisschen davon erzählen: von einer DDR, die es auch gab.
Hat sich der Berufsstand des Architekten oder seine Rolle in der DDR-Gesellschaft im Laufe der Zeit verändert?
Wolfgang Kil Anfangs gab es an der Bauakademie noch Meisterklassen. Da galt dieses klassisch akademische Bild vom Architekten, dem höheren Wesen. Das brach zum Ende der stalinistischen Phase zusammen, als die Industrialisierung einsetzte. In dem Zuge wurde, wie Simone Hain sagt, „der Meisterentwerfer entlassen“; die Architekten wurden abserviert. In meinem ersten Arbeitsvertrag beim Wohnungsbaukombinat stand „Ingenieur für Architektur und Entwurf“, obwohl ich als „Diplomarchitekt“ abgeschlossen hatte.
Ein Techniker sozusagen.
Wolfgang Kil Ein besserer Haushandwerker. Das ist das Trauma, das Brigitte Reimann mit ihrem Linkerhand-Roman verhandelt. Dieses Zitat, dass du, Kai, von ihr ausgegraben hast, trifft den Nagel auf den Kopf: „Der Augenblick, wenn du mit dem Stift die erste Linie ziehst – das ist aufregender als der erste Kuss.“ Der Kahlschlag der Industrialisierung traf Leute, denen Architek-tur eine Herzensangelegenheit war, die die Welt schöner machen wollten. Dieser Konflikt ist der Kern des Buches. Die Leute waren begeistert, aber Architekten haben es gehasst, denn sie fühlten sich ertappt. Weil eine Außenstehende sie als Loser beschrieb, die nur noch für niedere Dienste zuständig waren. Meine Generation ist genau da reingerutscht. Die, die zwei, drei Jahre nach uns kamen, haben schon im Studium von Typenprojektierung gehört und wussten also, was sie erwartet.
Aus der auf den ersten Blick so homogenen Masse des industrialisierten Wohnungsbaus stechen einzelne Projekte hervor: In Rostock zum Beispiel wurden durchaus Dinge entwickelt, die aus dem Schema fallen. Wie haben sich die Architekten diese Rolle erkämpft?
Wolfgang Kil Wenn sie clever waren, haben sie sich die zuständigen Parteigremien ins Boot geholt. Rostock ist dafür ein klassischer Fall, und auch in Halle lief es so. Es hing von persönlichen Konstellationen ab, wie weit das funktionierte. Die Partei war auch kein homogener Block.
Studien aus Greifswald zeigen experimentelles Planen mit Platten. Wir sprechen heute auch wieder von Modulbau und Vorfertigung. Gibt es Ansätze in diesen Zeichnungen, die hilfreich sind für Architekten und Architektinnen, die sich jetzt mit dem Thema beschäftigen?
Wolfgang Kil Es geht nicht um Kopieren und Nachholen, aber diese Blätter räumen mit einigen Vorurteilen auf, die gegenüber der DDR-Architektur kultiviert wurden: Eins davon ist, dass die Platte seelenlos in die Gegend gepflastert wurde von Leuten, die keine Ahnung hatten – dassda schlechte Architektur entstand, weil schlechte Architekten zugange waren.
Oder keine.
Wolfgang Kil Wie Arch+ es 1990 formuliert hat. Die Greifswalder Experimente sind ein Gegen-beweis. Natürlich hat man auch in der DDR gemerkt, dass das auf Dauer so nicht geht mit der Platte. Bruno Flierl sagte schon Ende der Siebziger: „Die stehen das nicht durch mit der grünen Wiese. Wir müssen zurück in die Innenstädte.“ Das führte tatsächlich dazu, dass Hermann Henselmann in seiner Experimentalwerkstatt mit Untersuchungen beauftragt wurde. In drei Städten liefen Experimente, was mit der Platte in der Innenstadt möglich wäre: in Gotha, Bernau und Greifswald. In Greifswald, wo die Ergebnisse meines Erachtens am interessantesten ausfielen, hat Widerwille aus der Bevölkerung das Projekt immer wieder in Verruf gebracht. Was da an gedanklicher Arbeit drinsteckte, wie konsequent etwa über Wohnstrukturen und das Verhältnis von privatem, halböffentlichem und öffentlichem Raum nachgedacht wurde, darüber redet kein Mensch mehr.
Kai Drewes Sich damit zu beschäftigen, was damals leider häufig für die Schublade gemacht wurde, finde ich inspirierend. Wir wollen nicht die Platten der DDR zurückhaben, die städtebaulichen Entwürfe oder „Komplexarchitektur“ als Idee haben aber etwas für sich.
Wolfgang Kil Diese Experimentalprojekte haben damals wieder Licht auf die Architekten gewor-fen. Der Aufbruch in Rostock und Halle, meinetwegen auch in Greifswald, brachte neuen Schwung. In Berlin zeigt sich das am Palast der Republik. Viele gute Entwerfer, die sich zuvor in Nischen verzogen hatten, wechselten zum Ingenieurhochbau Berlin (IHB) und bauten am Palast mit. Dieses Riesenprojekt war unterteilt in einzelne Bauabschnitte, von denen jeder einem eigenen Chefprojektanten unterstand. Diese Chefs wurden zwar nicht Meister genannt, aber ihre Namen merkte man sich wieder. Plötzlich kamen Wolf R. Eisentraut oder Günther Stahn, der später das Nikolaiviertel verantwortet hat, in der Presse vor.
Und danach ging es weiter aufwärts?
Wolfgang Kil Die Leute von den Palast-Kollektiven sind anschließend mit sämtlichen Sonderbauten Ostberlins beglückt worden, ob Charité oder Friedrichstadtpalast. Da sind auf einmal viele überraschende Dinge entstanden, wie die Platzgestaltung ums Schauspielhaus – als Ensemble aus individuellen Platten! Man kann sagen, mit der Postmoderne tauchten die Namen wieder auf.
Das ist eine internationale Entwicklung: Für die Neubau-IBA wurden 1984/85 viele Architek-ten, große Namen aus aller Welt, nach West-Berlin geholt. Gab es da Austausch?
Kai Drewes Der Osten hat immer die Trends des Westens wahrgenommen, umgekehrt viel weniger. Die IBA in den Achtzigern, und auch schon die in den Fünfzigern, erzeugte immenses Aufmerken. Die Architekten kamen auch an west-liche Fachliteratur. In der Bauakademie etwa konnten sie aktuelle Zeitschriften und wichtige Bücher lesen. Man hat sich an den Entwicklungen im Westen orientiert, sie zum Vorbild genommen nicht unbedingt.
Bei der Ausstellungseröffnung haben Sie erwähnt, dass Architekten, anders als Künstler, kaum ins westliche Ausland fahren durften. Wieso war das so?
Wolfgang Kil Ich habe nie verstanden, warum die Architekten nicht rausgelassen wurden. Wahrscheinlich, weil sie nicht nur demonstrativ schlecht behandelt, sondern wirklich verachtet wurden. Einen Haushandwerker muss man nicht auf Dienstreise schicken. Ich selbst durfte als Kritiker im Künstlerverband ab 1986 in den Westen.
Sie haben das bei der Eröffnung auch mit ökonomischen Faktoren erklärt – dass bei der Staatsführung die Angst bestand, Know-How könne abhandenkommen.
Kai Drewes Architekten waren für die Volkswirtschaft nach wie vor wichtig, bei aller Gängelung. Im Kern halte ich das für das wirkliche Motiv: Die Leuten wurden eingesperrt – ich sag das jetzt mal so plump als Westdeutscher –, weil es ökonomisch nicht anders ging.

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