Bauwelt

Perfekter Dialog mit Le Corbusier

Das Dach von Le Corbusiers Unité d’Habitation in Marseille gehört seit vier Jahren dem Designer Ora Ito, der dort ein Kunstzentrum eingerichtet hat. In diesem Sommer ist Jean-Pierre Raynaud zu Gast

Text: Kabisch, Wolfgang, Paris

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    Mit einem riesigen Pfeil deutet Raynaud auf die ehemalige Turnhalle, ...
    Foto: Cedric Alliot

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    ... den Ort der Ausstellung.
    Foto: Stéphane Aboudaram/we are content(s)

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Perfekter Dialog mit Le Corbusier

Das Dach von Le Corbusiers Unité d’Habitation in Marseille gehört seit vier Jahren dem Designer Ora Ito, der dort ein Kunstzentrum eingerichtet hat. In diesem Sommer ist Jean-Pierre Raynaud zu Gast

Text: Kabisch, Wolfgang, Paris

Er habe sich das Dach der „Cité radieuse“ in Marseille aus ähnlichen Gründen gekauft, aus denen sich andere ein Bild oder eine Skulptur kaufen: aus Bewunderung für ein Kunstwerk. Für einen Rothko oder Mondrian hätte es nicht gereicht, für dieses Dach schon. Das ist die verblüffende Erklärung des französischen Industriedesigners Ora Ito für seine doch recht weitreichende Investition. Immerhin handelt es sich um die Terrasse eines denkmalgeschützten Gebäudes – eine Freifläche, die sich zum Zeitpunkt des Erwerbs in schlechtem Zustand befand.
Ursprünglich wurde sie von Le Corbusier für die Bewohner seiner ersten Unité d’Habitation als Gemeinschaftsfläche eingerichtet. 56 Meter über Grund, 137 Meter lang. Mit Turnhalle, Laufstrecke und Kinderplanschbecken. Sowie einem fantastischen Ausblick! Doch nach gut sechzig Jahren musste die Eigentümergemeinschaft das Dach wegen der hohen Unterhaltungskosten zum Verkauf anbieten. Das war 2013.
Inzwischen ist aus der Turnhalle ein Ausstellungsraum geworden. Die Renovierung ist nach den Vorgaben des Denkmalschutzes und mit Hilfe von Sponsoren abgeschlossen. Dort, wo geturnt wurde, und auf einem Teil der Freiflächen finden jetzt Ausstellungen statt. Ora Ito hat hier kein privates Penthouse, sondern sein Kunstzentrum MAMO (Marseille Modulor) etabliert.
Er hat Xavier Veilhan, Daniel Buren, Dan Graham und Felice Varini mit ortsspezifischen Arbeiten ausgestellt. Nun, im fünften Jahr, ist Jean-Pierre Raynaud eingeladen. Raynaud ist vor allem durch seine „Blumentöpfe“ bekannt. Eine riesige, goldene Version schwebte 1996 über der Baustelle des Potsdamer Platzes in Berlin. Er hat auf das Dach der Cité radieuse einen 17 Meter langen schwarzen Pfeil gelegt, der auf die ehemalige Turnhalle weist, in der die eigentliche Ausstellung stattfindet. In seiner Monumentalität ist der Pfeil nur aus der Luft zu erfassen. Ansonsten hat Raynaud den Außenraum unberührt gelassen. Er möchte die Architektur Le Corbusiers respektieren. Nicht dominieren.
Im Inneren setzt sich Raynauds Form des Minimalismus fort. Nur einige wenige Arbeiten sind ausgestellt, Beispiele aus 60 Jahren künstlerischen Schaffens des heute 78-Jährigen, zusammengefasst in vier Werkgruppen. „Einbahnstraßen“: Arbeiten, die vom Erscheinungsbild der Straßenschilder ausgehen, um danach in ihren Dimensionen, Proportionen und Zusammenhängen derart verändert zu werden, dass sie eine völlig neue „Zeichensprache“ ergeben. „Bassins“: drei quadratische Becken, gefliest im Maß 15x15; es sind architektonische Versuchsanordnungen. „Selbstporträts“: mit weißen Fliesen verkleidete Beton-Monolithe, überdimensionale Körper ohne Gliedmaßen, auf das extreme Minimum reduzierte „Abbilder des Künstlers“. „Das Haus“: Bauschutt, der von seinem spektakulärsten Werk stammt, in Edelstahlschalen auf Rollen.
1969 begann Jean-Pierre Raynaud in La Celle Saint-Cloud bei Paris sein eigenes Haus zu konstruieren. 23 Jahre lang dauerte dieses „work in progress“, in dem er währenddessen auch lebte. Vollständig weiß gefliest, mit schwarzen Fugen, ohne Küche und ohne Möbel, wurde es für ihn der ideale Lebensraum von absoluter Schönheit. 1993, als ihm bewusst wurde, dass sein Traum realisiert war, beschloss er, alles zu zerstören. Die Überreste brachte er in 1000 Edelstahlbehältern aus der Chirurgie unter, stellte sie im Museum für zeitgenössische Kunst in Bordeaux aus und war, wie er sagt, „frei für ein neues Leben“.
Es ist eine kleine, hoch konzentrierte Ausstellung von großer künstlerischer Qualität. Ein perfekter Dialog mit Le Corbusier. Wann gibt es das schon? Jean-Pierre Raynaud hat Ora Itos Suche nach einer sinnvollen Nutzung der Dachterrasse eine Richtung vorgegeben.
Fakten
Architekten Le Corbusier (1887-1965)
aus Bauwelt 15.2017
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Bilder Auf Corbus Dach in Marseille

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