Bauwelt

Im Himmel gibt es keinen Schmutz

Das Vitra Design Museum in Weil am Rhein präsentiert das Design und den religiösen Kosmos der Glaubens­gemeinschaft der Shaker

Text: Matzig, Katharina, München

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    Innenraum im Sha­ker Village of Pleasant Hill, Kentucky.
    Foto: Florian Holzherr

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    Innenraum im Sha­ker Village of Pleasant Hill, Kentucky.

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    Meetinghouse (1793), Hancock Shaker Village, Hancock, Massachusetts, 2024.
    Foto: Vitra Design Museum/Alex Lesage, mit freundlicher Genehmigung des Hancock Shaker Village

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    Meetinghouse (1793), Hancock Shaker Village, Hancock, Massachusetts, 2024.

    Foto: Vitra Design Museum/Alex Lesage, mit freundlicher Genehmigung des Hancock Shaker Village

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    Radio, Canterbury, New Hampshire, ca. 1922/23.
    Foto: Vitra Design Museum/Alex Lesage, mit freundlicher Genehmigung des Shaker Museum, Chatham, New York

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    Radio, Canterbury, New Hampshire, ca. 1922/23.

    Foto: Vitra Design Museum/Alex Lesage, mit freundlicher Genehmigung des Shaker Museum, Chatham, New York

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    Landwirtschaftliche Werkzeuge.
    Foto: Vitra Design Museum/Alex Lesage, mit freundlicher Genehmigung des Shaker Museum, Chatham, New York

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    Foto: Vitra Design Museum/Alex Lesage, mit freundlicher Genehmigung des Shaker Museum, Chatham, New York

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    Ovale Spanschachtel auf einer Schreinerwerkbank, New Lebanon, New York, 2024
    Foto: Vitra Design Museum/Alex Lesage, mit freundlicher Genehmigung des Shaker Museum, Chatham, New York

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    Ovale Spanschachtel auf einer Schreinerwerkbank, New Lebanon, New York, 2024

    Foto: Vitra Design Museum/Alex Lesage, mit freundlicher Genehmigung des Shaker Museum, Chatham, New York

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    Schwester Sarah Collins beim Weben einer Sitz­fläche für einen Stuhl, Mount Lebanon, New York, ca. 1935/36.
    Foto: Noel Vincentini/Sammlung des Hancock Shaker Village

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    Schwester Sarah Collins beim Weben einer Sitz­fläche für einen Stuhl, Mount Lebanon, New York, ca. 1935/36.

    Foto: Noel Vincentini/Sammlung des Hancock Shaker Village

Im Himmel gibt es keinen Schmutz

Das Vitra Design Museum in Weil am Rhein präsentiert das Design und den religiösen Kosmos der Glaubens­gemeinschaft der Shaker

Text: Matzig, Katharina, München

„Ich möchte nicht als Stuhl in Erinnerung bleiben“. Doch Sister Mildred R. Barkers kritische Hinterfragung der Beliebtheit des Shaker-Designs blieb bereits 1992, als die Shakerin diesen Satz formulierte, ein frommer Wunsch. Denn es ist in der Regel eben nicht der Glaube der Religionsgemeinschaft, sondern ihr Design, für das sie bekannt ist. Verwunderlich ist das nicht: Bereits 1933 zeigte das Whitney Museum of American Art in New York bei der Ausstellung „Shaker Handicrafts“ den Möbelbau, dessen Materialgerechtigkeit, Verzicht auf Verzierungen zugunsten einer schmucklosen Oberfläche und Sinn für Zweckmäßigkeit und Funktion als Vorläufer moderner Ideen gilt ebenso wie als Spiegelbild der Vergangenheit.
Auch das Vitra Design Museum in Weil hat seit vielen Jahren Shaker-Mobiliar in seiner Sammlung. Mit der nun eigens kuratierten Ausstellung rund um gut 150 Exponate, vor allem aus dem Shaker Museum in Chatham, wird die Gestaltungswelt jedoch eingebettet in den religiösen Kosmos. Sieben zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler wurden zudem beauftragt, das Erbe der Shaker zeitgemäß zu interpretieren.
Zwei Shaker übrigens leben noch zu dem Zeitpunkt, an dem dieser Text geschrieben wird, in Sabbathday Lake in Maine. Brother Arnold ist Ende 60, Sister June geht auf die 90 zu. Die Gemeinschaft, die sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in England gründete und 1774 in die amerikanischen Kolonien emigrierte, wo mehr als zwanzig eigenständige Gemeinden entstanden, lebt seit jeher gleichberechtigt in Gemeinschaft, aber nach Geschlechtern getrennt und zölibatär. Neue Mitglieder wurden nicht geboren, sondern aufgenommen, und das unabhängig von Ethnie oder Fähigkeiten. Ihren Namen verdanken die „Shaking Quakers“ einem rituellen Schütteltanz, sie schrieben über 10.000 Kirchenlieder, von denen die Hymne „It’s a gift to be free, it’s a gift to be simple” bei Barack Obamas In­auguration gespielt wurde.
Simpel jedoch ist ihre Glaubenswelt nicht: Sie ist egalitär und doch hierarchisch, radikal und doch regelverbunden. Die Shaker zogen sich in ihre Gemeinschaften zurück aus „der Welt“, die sie – als „kapitalistische Kommunisten“, so Kuratorin Mea Hoffmann – jedoch mit Saatgut, Arzneimitteln, Kleidung und natürlich ihren Stühlen und Spanschachteln versorgten. Dabei gründete sich die Schlichtheit und Ordnung ihrer damals wie heute wertgeschätzten Produkte nicht in der Ästhetik, sondern sie entstanden rein nach praktischen Anforderungen an das Gemeinschaftsleben und der spirituellen Überzeugung entsprechend: „Ordnung ist das Schaffen von Schönheit. Sie ist das erste Gesetz des Himmels und der Schutz der Seelen.“
Es gibt sie noch, die guten Dinge, wenn auch nicht von Shakern gefertigt: Im Museumsshop im aufgrund von Instandhaltungsmaßnahmen momentan komplett verhüllten VitraHaus werden eine Shaker Dose No. 3 aus Kirschbaum von Peter Ittner angeboten und eine Hakenleiste mit sechs Holzknöpfen, die von Ulrich Ladholz für habit hergestellt wird. Sie haben ihren Preis: Die Schachtel kostet 70 Euro, die handgefertigte Mulitifunktionsgarderobe 335 Euro. Günstiger ist der Workshop „Binde deinen eigenen Handbesen“ am 30. August, der für 5 Euro und persönliches Zeit-Invest zu buchen ist. „Im Himmel gibt es keinen Schmutz“, davon war Mother Ann Lee, Gründerin der Shaker, überzeugt. So ein Kurs ist – zusätzlich zum Ausstellungsbesuch – somit nicht die schlechteste Möglichkeit, sich dem Gedankengut der komplexen und kreativen Gemeinschaft zu nähern.
Still und bescheiden gestaltete das Mailänder Studio Formafantasma die vier thematisch ausgestatteten Räume inklusive zeitgenössischer Perspektiven. Stoffe in vier gedeckten Farbtönen verkleiden die Wände, mit Nägeln sind die Texte befestigt. „The Place Just Right“ ist das Zitat, das dem ersten Raum vorangestellt ist: Er setzt sich in Plänen und Fotos mit der Architektur und dem Städtebau der Shaker auseinander. Eine vier Meter lange Bank steht für die Gemeinschaft, eine Treppe für die Trennung der Geschlechter, die jeweils eigene Stiegen benutzten. „When We Find a Good Thing, We Stick To It“ heißt es im zweiten, lindgrün behängten Bereich, in dem etwa die Ordnung-schaffenden, funktional-schönen Kommoden ausgestellt sind sowie ein praktikabel-kommunikativer Nähtisch, der von zwei Shakerinnen gleichzeitig genutzt werden konnte.
Zu bewundern sind hier zudem Kleidung und natürlich die berühmten Stühle in diversen, den Lebensabschnitten angemessenen Variatio­­nen: für Kinder, zum Schaukeln, als Rollstuhl. „Every Force Evolves a Form“ nennt sich der dritte Raum, der die unternehmerische Seite der Gemeinschaft vorstellt sowie ihren Erfindergeist – denn im Gegensatz zu den Amischen hatten die Shaker keine Berührungsängste der modernen Technik gegenüber: Ein Radio wird gleich zu Beginn des Rundgangs ausgestellt ebenso wie zahlreiche Patente, für Waschmaschinen oder für die Kippelkugel im Stuhlbein.
Dem Anliegen von Schwester Mildred entsprechend beendet „I don’t want to be remembered as a chair“ die Ausstellung nicht mit Shaker-Bauten und Gebrauchsgegenständen, sondern mit ornamental-abstrakten, spirituellen Zeichnungen, sogenannten Gift Drawings. Zwei der in Auftrag gegebenen neuen Arbeiten flankieren die göttlichen Botschaften, die vor allem Shaker-Schwestern zwischen 1830 und 1850 schufen, in Tinte und Aquarell: der aus Washi-Papier, Karton und Farbe im 1:1 von Amie Cunat nachgebaute Ausschnitt eines Gemeindehauses, der Teile der Innenarchitektur als Ausdruck von Verletzlichkeit nach außen kehrt. Und Chris Liljenberg Halstroms idealisierter Arbeitsplatz für Stickerei, der zugleich Gebetsraum ist. Nicht jedes der zeitgenössischen Werke vermittelt so nachvollziehbar, welche Impulse die Shaker jenseits ihrer Stühle heute für uns bereithalten. Den originalen Zeugnissen der zeitlosen Glaubens- und Gestaltungswelt gelingt das in dieser Ausstellung überaus inspirierend.

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