Bauwelt

Hans Stimmann

1941–2025

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

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Foto: Andreas Praefcke/wikimedia

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Hans Stimmann

1941–2025

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

In Erinnerung bleibt seine entschiedene Grundhaltung, der man abnahm, dass sie auf einer inneren Überzeugung basiert und für ihn unumstößlich ist. Sie wurde mit Vehemenz vorgetragen und in anderen Momenten mit leiseren Tönen differenziert und fundiert erklärt. Hans Stimmann als Senatsbaudirektor von Berlin in den Jahren 1991 bis 1996 und 1999 bis 2006 – dazwischen fungierte er als Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung – war vor allem in den 1990-er Jahren als zentrale Person für die grundlegenden Entscheidungen der stadtplanerischen Neuorientierung in der Gesamt-Hauptstadt sehr präsent. Wie auch immer man zu seinen damaligen Direktiven stehen mag, die für die Stadt im Zusammenwachsen von Ost und West getroffen wurden: Er war sich seiner großen Verantwortung bewusst, steuerte die wichtigen städtebaulichen Wettbewerbe, die damals international ausgelobt wurden, und nahm mit Leidenschaft gegenüber der Öffentlichkeit zu seinen Zielsetzungen Stellung. Er war umstritten in seiner Art, sogar gefürchtet und doch eine Instanz im Planungsgeschehen, die eine Stadt braucht.
Stimmann orientierte sich mit eigenen Worten an der „Europäischen Stadt“ mit Blick auf innerstädtische Qualitäten Mailands, Wiens oder Barcelonas. Leitbild war die „kritische Rekonstruktion“, ein Begriff, den man bereits von der IBA '87 mit der Stadtreparatur bestimmter Quartiere West-Berlins kannte, der nun aber an zentralen Orten auf den vielen Brachen, weitgehend der historischen Parzellierung im Stadtgrundriss folgend, eine andere Richtung bekam. Denn es wurden keine experimentellen Neubauten vorgesehen, sondern Gebäude mit Natursteinfassaden in Blockrandbebauung mit festgelegter Traufhöhe von 22 Metern, die sich an der Vorkriegssituation orientieren und für Geschlossenheit im Stadtraum sorgen. Stimmann war mit seiner Version einer „kritischen Rekonstruktion“ heftigen Vorwürfen ausgesetzt. Seine Bebauung sei von rückwärtsgewandten Vorstellungen geprägt und er nehme als Stadtplaner die Chancen nicht wahr, die sich durch die große Verfügbarkeit an freien Flächen mitten in der neuen Hauptstadt ergeben. Trotz einer aufflammenden „Berliner Architekturdebatte“ blieb Stimmann dabei. Es ging ihm darum, eine planerische Linie zu bewahren, eine Richtschnur als „stadtbaukünstlerisches Regelwerk“, an das man sich zu halten hat, um einem städtischen Raum mehr oder weniger in Anlehnung an historische Strukturen eine einheitliche Form zu geben. Die Bauten entstanden mit klarer gestalterischer, aber manchmal nur vortäuschender inhaltlicher Substanz. Das Äußere und der Stadtraum zählten.
Der Senatsbaudirektor setzte die Regeln, wurde aber von Developern aus aller Welt bedrängt, die allzu oft mit viel Glas und mehr Geschossen das Originelle, auf sich bezogene, alle ehemaligen Bindungen an den Ort negierende Solitäre bauen wollten. Sein großer Verdienst war es, ihnen standzuhalten. Im Oktober 1991 erschien das Bauwelt-Heft 39 „Die Herren mit der weißen Weste am Förderband Berlin Mitte bitten um beschleunigte Genehmigung“. In dieser Ausgabe wurden 66 Projekte für Berlin „erbärmlich oder größenwahnsinnig, oft beides zugleich“ von Investorengruppen mit ihren Architekten gezeigt, die in dieser heißen Phase des Immobilienbooms auf dem Schreibtisch des Senatsbaudirektors landeten. Das Heft führte vor Augen, unter welchem besonderen Druck Stimmann stand, da sich innerhalb kürzester Zeit durch schnelle Grundstücksverkäufe alle auf die „Goldgräberstadt“ fokussierten. Stimmann blieb hart, wurde wenn nötig ruppig – das konnte er –, denn er erkannte die Gefahren für Berlin, dennoch waren manche Projekte wie das Sony-Center nicht zu vermeiden. In dem Heft von 1991 schreibt er: „Aus den jeweils aktuellen Bauwünschen und Begehrlichkeiten privater Investoren, aus der Addition von nur auf sich bezogenen Einzelarchitekturen, aus Wünschen von Politikern oder vom einzelnen Bürger entsteht keine Stadt“.
Er legt im Text auch dar, in welcher schwierigen planungsrechtlichen Situation man sich damals hinsichtlich der Koordination mit dem Magistrat von Ostberlin befand. Es war ein Flächennutzungsplan neu zu erarbeiten, und es waren komplizierte, oft umstrittene Eigentumsverhältnisse zu klären, gemeinsame neue Strukturen aufzubauen und politisch festzulegen.
Stimmann war angetan von den privaten Terraingesellschaften, die nicht nur eine Parzelle, sondern ganze Stadterweiterungen Berlins am Ende des 19. Jahrhunderts in einem überzeugenden Stadtgrundriss geplant hatten. 1999 entstand nach einer Phase der Analyse das Planwerk Innenstadt, in dem das Grundkonzept des Senatsbaudirektors zur Verdichtung als „Stadtreparatur“ vor Augen geführt wird.
Das Werk in der Regie des Senatsbaudirektors ist heute vor allem am Pariser Platz, entlang der Friedrichstraße, am Gendarmenmarkt und am Leipziger Platz zu betrachten, gebaut von Architekten, die im Geiste verwandt Stimmann folgten und im engen Austausch mit ihm standen. Andere hatten bei ihm kaum eine Chance, berücksichtigt zu werden, oder blieben dabei, indem sie sich wie Frank O. Gehry mit seiner Fassade zum Pariser Platz oder Philip Johnson am Checkpoint Charlie überraschend deutlich zügelten. Architekten wie Rem Koolhaas oder Richard Meier, die protestierten, kehrten der Stadt wegen Stimmann den Rücken.
Der Wiederaufbau von Teilen des Stadtkörpersist ein verständlicher Wunsch nach Kriegszerstörungen, der Trennung durch den Mauerstreifen und den Wunden der autogerechten Tabula-rasa-Stadt der Nachkriegszeit im Osten wie im Westen. Doch diese dadurch von Stimmann ersehnte Wiederkehr des pulsierenden, auch nostalgisch geprägten großstädtischen Lebens an neu entstandenen zentralen Orten wie dem Oktogon Leipziger Platz ist auch viele Jahre später nicht erkennbar, noch nicht einmal in den großen Malls, die dort entstanden sind.
Der zentrale Potsdamer Platz mit Renzo Piano, Helmut Jahn und Hans Kollhoff ist seit vielen Jahren mit neuen Eigentümerinnen und Investoren bereits wieder im Umbau begriffen. Sein „Boulevard der Stars“ ist ein verkommener „roter Teppich“ mit längst verblichenen, kaum noch lesbaren goldenen Sternen deutscher Filmstars – eine Beleidigung für die Besucher und Besucherinnen der Filmfestspiele Berlinale.
Ein Ort Berlins, mit dem sich Stimmann intensiv befasst hat, ist das Kulturforum zwischen Staatsbibliothek, Gemäldegalerie und Neuer Nationalgalerie im alten Tiergartenviertel. Zu diesem zentralen, so schwierigen Stadtraum mit steinernem Rampen-Platz, vielen gescheiterten Umgestaltungsvorschlägen und ebenfalls gescheiteter Anbindung an den Potsdamer Platz erschien von Stimmann 2012 eines seiner Bücher: „Zukunft des Kulturforums. Ein Abgesang auf die Insel der Objekte“. Die Entwicklung ist inzwischen weitergegangen: Am 17. Oktober wurde am Kulturforum das Richtfest für „berlin modern“, das Museum für die Kunst des 20. Jahrhunderts von Herzog & de Meuron, gefeiert.
Blickt man in die Zeit des damaligen Senatsbaudirektors zurück und schaut auf die Bauten, Plätze und Straßen, wird einem bewusst, dass diese Phase der Planungen bereits als eine Epoche der Stadtbaugeschichte Berlins bezeichnet werden kann. Viele der damaligen Vorgaben sind für eine neue Generation von Architekten und Architektinnen, die sich heutigen Anforderungen besonders des ökologischen Stadtumbaus stellen, kaum noch nachvollziehbar.
Stimmann war es wichtig, von seiner Herkunft als Handwerkerkind aus der Industrievorstadt von Lübeck und seinem langen Werdegang zu erzählen, der zunächst von der Baustelle kommend „tektonisch und nicht abstrakt“ geprägt war. Er absolvierte in seiner Heimatstadt eine Maurerlehre, musste 15 Monate dienen als Panzergrenadier und ging dann auf die Lübecker Staatliche Ingenieurschule – er nannte sie Bauschule –, die am Ende seiner Ausbildung zu ei-ner Fachhochschule umgewandelt wurde. So konnte er mit dem Abschluss später an der TU Berlin Stadt- und Regionalplanung studieren und schließlich auch promovieren. Ein langer Weg nach einer linken 1968er- und Juso-Phase in Frankfurt am Main, wo er zunächst in einem US-amerikanischen Planungsbüro am Opernplatz arbeitete. Stimmann schrieb 2018: „Meine Bibel war 1968 nicht das Buch von Aldo Rossi und waren schon gar nicht architekturtheoretische Überlegungen für eine Gesellschaft, die sich in Megastrukturen zwischen Verkehrsbändern zu Haus fühlte, sondern Alexander Mitscherlichs Pamphlet ,Die Unwirtlichkeit unserer Städte‘ von 1965.“
Es folgte die Zeit als Referent für den Westberliner Senator für Bau- und Wohnungswesen und an der TU als wissenschaftlicher Mitarbeiter. 1986 wurde er Bausenator in Lübeck bis ihn 1991 der Posten des Senatsbaudirektors wieder nach Berlin führte. Er wohnte am Viktoria-Luise-Platz in Schöneberg, einem beschaulichen Ort mit Springbrunnen, den er sehr schätzte – geplant von der Terraingesellschaft des Salomon Haberland Ende des 19. Jahrhunderts. Am 30. August ist Hans Stimmann in Lübeck gestorben.

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