Bauwelt

Schönheit ohne Beschönigung

Das Dresdner Albertinum hat Ernst Barlach anlässlich seines 150. Geburtstags eine Retrospektive ausgerichtet

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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Bronzierter Gipsabguss des „Schwebenden“ von Ernst Barlach in der Dresdner Ausstellung.
Foto: SKD/Oliver Killig

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Bronzierter Gipsabguss des „Schwebenden“ von Ernst Barlach in der Dresdner Ausstellung.

Foto: SKD/Oliver Killig


Schönheit ohne Beschönigung

Das Dresdner Albertinum hat Ernst Barlach anlässlich seines 150. Geburtstags eine Retrospektive ausgerichtet

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Als Bundeskanzler Helmut Schmidt 1981 die DDR besuchte, fand das abschließende Treffen mit SED-Chef Erich Honecker im mecklenburgischen Güstrow statt. Gemeinsam betrachteten die beiden Politiker den „Schwebenden“ im Güstrower Dom, die wohl bekannteste Skulptur Ernst Barlachs. Entwurf und Erstausführung stammen aus den Jahren 1926/27, der aktuelle Engel – Barlach selbst bezeichnete die Figur als solchen – ist ein Nachguss; ein weiterer hängt in der Antoniterkirche in Köln. Besser kann die „gesamtdeutsche“ Wertschätzung Barlachs gar nicht verdeutlicht werden. Was in der DDR-Rezeption als „humanistisches Erbe“ an Barlach geschätzt wurde, hatte seine Entsprechung im Westen Deutschlands. Barlachs figurative Kunst sprach Bedürfnisse nach Emotion und Sinngebung an, die jedenfalls die zeitgenössische Kunst nicht mehr befriedigte.
Im Jahr 2020 eine Barlach-Retrospektive zu veranstalten, kann nicht allein dem kalendarischen Anlass des 150. Geburtstags des Künstlers Genüge tun. Die umfassende Ausstellung, die im Dresdner Albertinum ausgerichtet ist, zielt auf eine neue Gewichtung des vermeintlich bekannten Lebenswerks. Es gilt, eingeschliffene Missverständnisse zu korrigieren. So widmet sich die Ausstellung mit ihren 300 Katalognummern, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Hamburger „Ernst Barlach Haus – Stiftung Hermann F. Reemtsma“ und von dort ganz wesentlich mit Leihgaben unterstützt, im Besonderen dem Material, mit dem Barlach arbeitete. An die Stelle der Bronzefiguren, die nach Barlachs Tod im Jahr 1938 und namentlich nach dem Zweiten Weltkrieg durch Auflagengüsse vervielfältigt und verbreitet wurden, tritt jetzt das singuläre Holz.
Darin war Barlach Autodidakt. Er war von seiner Ausbildung an der Hamburger Gewerbeschule her Zeichner, dann Meisterschüler in Bildhauerei an der Dresdner Akademie; schließlich arbeitete er als Schöpfer von Kleinkeramik. Die Dresdner Ausstellung zeigt einen Suchenden, der zwischen Kunstgewerbe und „autonomer“ Kunst noch nicht entschieden ist. Worin er aber ganz sicher ist, das ist die Zeichnung. Sie bildet den roten Faden der Schau, die unter anderem mit zahlreichen Skizzenbüchern aufwartet. In den Zeichnungen stellt sich nach Jahren jugendstiliger Ornamentik jene Verdichtung ein, die auf eine Großform hinführt.
Das ist in der Ausstellung nicht ganz leicht nachzuverfolgen. Deutlich herausgearbeitet wird aber die Zäsur, die die zweimonatige Russlandreise im Jahr 1906 bedeutet. Anlass war der Besuch eines Barlach-Bruders, der in der heutigen Ukraine lebte, damals als „Südrussland“ vereinnahmt. Die Fahrten durch die endlose Steppe, das bäuerliche Leben, die Fremdartigkeit hinterließen bei Barlach lebenslangen Eindruck.
Nun konnten Skulpturen entstehen, deren formale Qualität das Weglassen ist und die sich thematisch auf die condition humaine beziehen, Bild geworden in Figuren des „Bettlers mit Schale“ oder des „Frierenden Mädchens“. Alles Pittoreske fehlt, stattdessen geschlossene, blockhafte Form. Im Holz, das er in allen möglichen Sorten bearbeitet, findet Barlach sein bevorzugtes Material, und es zeichnet die jetzige Ausstellung aus, dass sie dreißig der singulären Holzskulpturen vorstellen kann.
Barlach ist als Schöpfer von Denkmalen im Bewusstsein geblieben, die an den (Ersten) Weltkrieg erinnern und dabei alles Kriegerische vermeiden. Von Anfang an wurden die Denkmalsanlagen, etwa im Magdeburger Dom, heftig angefeindet. Wenn man so will, zurecht; denn Barlach gab der Trauer um den sinnlosen oder als sinnlos erkannten Tod Ausdruck. Das genau war ein Generalthema der gesellschaftlichen Ausein­andersetzung der Weimarer Epoche: Wie die Republik mit der Hinterlassenschaft des Krieges, der in einer als Demütigung empfundenen Niederlage geendet hatte, umgehen solle. Barlachs Mahnmale waren Zielscheibe völkisch-nationalistischer Angriffe; so wurden die Magdeburger Figuren als Verkörperungen „stumpfen slawisch-mongolischen Typs“ gebrandmarkt.
Barlachs Werk wurde als „entartet“ verfemt, seine Plastiken 1937 aus den Museen entfernt – wie das „Frierende Mädchen“ von 1917 aus der Dresdner Skulpturensammlung, das jetzt erstmals wieder in die Stadt zurückgekehrt ist. Barlach hatte zum Glück einen späten Mäzen, den Hamburger Zigarettenfabrikanten Hermann Reemtsma, der ein eigenes Barlach-Museum schuf; eben jenes, das jetzt die größte Zahl der Leihgaben nach Dresden gegeben hat. Barlachs Gesundheitszustand, seit jeher angegriffen, verschlechterte sich, 1938 starb er nach einem Herzinfarkt, ohne seine Rehabilitierung erleben zu können.
Die setzte in Westdeutschland bald ein, in der DDR hingegen mit arger Verzögerung. Eine erste Ausstellung der Akademie der Künste 1951 fiel in die schlimmste Zeit der Formalismus-Verdammung. Nur Bertolt Brecht hatte seine eigene Meinung: „Schönheit ohne Beschönigung, Größe ohne Gerecktheit, Harmonie ohne Glätte, Lebenskraft ohne Brutalität machen Barlachs Plastiken zu Meisterwerken“, notierte Brecht, und der jetzige Katalog zitiert die Worte gerne. Überhaupt ist der monumentale Katalog mit 500 Seiten im Großformat eine Huldigung eher aus DDR-Perspektive, mit eingestreuten Beiträgen von Bildhauern wie Wieland Förster und Hans Scheib. Zu kurz kommt das dichterische Werk des Dramatikers Barlach; immerhin war ihm 1924 der renommierte Kleist-Preis verliehen worden.
Die Bettler, Asketen, stumm Leidenden Barlachs, gar sein „Rächer“ oder der „Berserker“, sind uns heute fremd geworden. Der Akzent, den die Ausstellung auf das Russland-Erlebnis Barlachs legt, hilft, die Innerlichkeit Barlachs besser zu verstehen. Unabhängig davon beeindruckt die Stringenz, mit der sich Barlach zu seiner eigenen Formensprache hin entwickelt hat – eine Formensprache, die ganz im Sinne des Brecht-Zitats eine Monumentalität ermöglicht, die eben nicht auftrumpfend ist. Neben dem früh verstorbenen Wilhelm Lehmbruck ist Ernst Barlach der bedeutendste deutsche Bildhauer des ersten Jahrhundertdrittels – und ganz nebenbei derjenige, der den altertümlichen Begriff des „Bildhauers“ am unmittelbarsten verkörperte.
Fakten
Architekten Barlach, Ernst (1870–1938)
aus Bauwelt 25.2020
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