Ein zukunftweisendes Bild von Demokratie
Wo 1848 die erste Nationalversammlung tagte, wird erneut über Demokratie debattiert – diesmal architektonisch. Die Paulskirche soll saniert, ein „Haus der Demokratie“ ergänzt werden. Mit den Ergebnissen des Ideenwettbewerbs lassen sich die Argumente für die weitere Diskussion schärfen.
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Ein zukunftweisendes Bild von Demokratie
Wo 1848 die erste Nationalversammlung tagte, wird erneut über Demokratie debattiert – diesmal architektonisch. Die Paulskirche soll saniert, ein „Haus der Demokratie“ ergänzt werden. Mit den Ergebnissen des Ideenwettbewerbs lassen sich die Argumente für die weitere Diskussion schärfen.
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Sie ist einer der wichtigsten Orte der deutschen Demokratiegeschichte: die Paulskirche in Frankfurt am Main, wo 1848/49 die Mitglieder der Nationalversammlung, des ersten gesamtdeutschen Parlaments, tagten. Im Zweiten Weltkrieg bis auf die Umfassungsmauern zerstört, wurde die Kirche 1947/48 unter Federführung des Architekten Rudolf Schwarz wieder aufgebaut. Inzwischen ist das in den 1980er Jahren erstmals renovierte Haus in die Jahre gekommen – 2019 beschlossen die Frankfurter Stadtverordneten, die Paulskirche zu sanieren und um ein „Haus der Demokratie“ zu ergänzen. Die Idee ist, Erinnerung und Vermittlung zusammenzubringen, wie Oberbürgermeister Mike Josef es formuliert: einen öffentlichen Ort zu schaffen, an dem Menschen miteinander konstruktiv streiten.
Eine von Stadt, Land Hessen und Bund berufene Expertenkommission präzisierte den Inhalt eines solchen Hauses und schlug vor, für den Neubau von Ausstellungs- und Veranstaltungsflächen Teile des Paulsplatzes als Standort einer „Signature Architecture“ zu nutzen (Bauwelt 14.2023). Die heutige, städtebaulich eher unscharfe Gestalt des Platzes ist einem nach dem Krieg nicht wieder aufgebauten Häuserblock geschuldet.
Doch der Neubau-Vorschlag der Kommission ist in der Frankfurter Öffentlichkeit umstritten. Ein Ideenwettbewerb sollte daher eine bessere Diskussiongrundlage schaffen. Die teilnehmenden Teams bat man auszuloten, ob es zielführender sei, einen Neubau zu planen oder das Haus der Demokratie – oder Teile davon – in der benachbarten alten Kämmerei unterzubringen.
Egal, wie man die insgesamt 128 eingereichten Vorschläge und die zehn von der Jury unter Vorsitz von Christa Reicher gleichrangig prämierten Entwürfe im Einzelnen bewertet – eines zeigt das Wettbewerbsergebnis deutlich: Der Paradigmenwechsel hat stattgefunden. Die Debatte der vergangenen Jahre um Bestand und Neubau hat bei wichtigen öffentlichen Bauvorhaben offensichtlich Früchte getragen. Anders ausgedrückt: Man stelle sich vor, die Stadt Frankfurt hätte vor fünfzehn Jahren einen Wettbewerb für ein Haus der Demokratie neben der Paulskirche ausgelobt und es den Teilnehmern freigestellt, entweder neben der Kirche neu zu bauen oder die Kämmerei dafür umzunutzen – dann hätten ziemlich sicher nahezu alle Teilnehmer einen Neubauvorschlag unterbreitet. Ein Haus der Demokratie soll schließlich ein sichtbares Zeichen sein! Und es ausgerechnet in einem wilhelminischen Verwaltungsgebäude unterbringen, wie die alte Kämmerei eines ist?
Das Ergebnis des in diesem Sommer entschiedenen Wettbewerbs zeichnet ein völlig anderes Bild: Gerade einmal zwei der zehn prämierten Arbeiten schlagen einen Neubau für das Haus der Demokratie beziehungsweise Teile davon vor. Das Team von Michael Frielingshaus und Raimund Haase platziert einen Dreigeschosser als „Schaufenster“ der neuen Institution südöstlich der Paulskirche und fasst auf diese Weise den Paulsplatz in seiner ursprünglichen Größe und Proportion ein. An etwa derselben Stelle positionieren auch Schneider + Schumacher ihren Neubau. Der skulpturale Baukörper aus Mainsandstein ist allerdings ein ganzes Stück größer und betont zeichenhafter.
Die weiteren acht prämierten Arbeiten hingegen kommen ohne (oberirdische) Neubauten aus. Sie entwickeln die unterschiedlichsten Umnutzungsszenarien für die alte Kämmerei und beantworten die Frage „Wie sieht ein zukunftsweisendes Bild von Demokratie aus?“ (Christa Reicher) – wenn man es mit einem neobarocken Verwaltungsbau als architektonischem Ausgangsmaterial zu tun hat, in der Tat eine knifflige Aufgabe – auf teilweise überraschende Weise. Welches Potenzial in einem Umbau der Kämmerei steckt, zeigen am deutlichsten die beiden Arbeiten, die die größten Eingriffe in die Substanz wagen: Lennart Beckebanze und Leila Ravandi öffnen die Kämmerei zum Paulsplatz mit einer gebäudehohen Eingangshalle. Noch weiter gehen Kister Scheithauer Gross: Bei ihnen wird die Kämmerei zu einem offenen Versammlungsort, einer Agora.
Bis Ende September waren die Arbeiten in der Paulskirche ausgestellt. Besucherinnen und Besucher konnten ihre Meinung über die prämierten Entwürfe auf einem Fragebogen oder online kundtun. Die Erkenntnisse aus dem Ideenwettbewerb und der Bürgerbeteiligung sollen in die detaillierte Formulierung des Raumprogramms und die Auslobung eines folgenden Realisierungswettbewerbs einfließen.







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