Interview

Marc Koehler Architects | Amsterdam

Marc Koehler schafft mit dem Haus in IJburg eine Synthese aus Architektur und Natur. Die dreidimensionale Ornamentstruktur der Fassade wird als vertikaler Garten genutzt.

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Ornament aus Backstein

  • Interview: Anneke Bokern
  • Porträtfotos: Frank Peterschröder

Auf dem Steigereiland, einer der Inseln des künstlichen Archipels IJburg im Osten von Amsterdam, können private Bauherren individuelle Eigenheime errichten. Vorschriften gibt es wenige: Nur die Kubatur der Gebäude ist vorgegeben. Dementsprechend ist in den letzten Jahren ein buntes Viertel entstanden, in dem jedes Haus auffälliger als sein Nachbar sein will. Zwischen all den Paradiesvögeln hat Marc Koehler ein schwarzes Haus errichtet, dessen Fassaden ein ornamentales Backsteinrelief ziert – ein einfacher Kunstgriff mit großer Wirkung.

Das Haus in IJburg ist mit 140 Quadratmetern Wohnfläche nicht groß, fällt aber dank seiner ungewöhnlichen Fassadengestaltung und der Begrünung sofort ins Auge. Wer waren die Bauherren?

Mar Koehler: Das war ein junges Paar mit einem kleinen Kind. Vorher wohnten sie in einer ziemlich kleinen Wohnung im Zentrum von Amsterdam. Sie kauften das Grundstück, um dort ihr Traumhäuschen zu realisieren. Eigentlich wollten sie auch einen Garten haben, aber das Grundstück war so klein, dass um das Haus herum kein Platz blieb. Daraus entstand die Idee, den Garten in das Haus zu integrieren. Das Haus ist von Pflanzen überwachsen, und die Dachterrasse ersetzt den Garten. Die Bewohner haben dort oben Rebstöcke und halten sogar Hühner.

Welche Anforderungen hatten die Auftraggeber sonst noch an ihr neues Heim?

MK: Die Hausherrin wollte einen Raum im Erdgeschoss haben, in dem sie Shiatsu-Unterricht geben kann. Dafür waren Budget und Grundstück aber zu klein, deshalb haben wir daraus einen überbreiten Korridor gemacht, der gleichzeitig als Atelier, Arbeitszimmer, Werkstatt und Spielzimmer dient. Und dann gab es noch den Wunsch, dass die Schlafzimmer im Erdgeschoss und der Wohnbereich im Obergeschoss des Hauses untergebracht werden sollten.

Das war die Idee der Auftraggeber? Eigentlich ist diese Anordnung doch eher ungewöhnlich. Wie sind sie darauf gekommen?

MK: Um das zu verstehen, muss man den Ort kennen. Die Häuser stehen dort sehr dicht nebeneinander. Läge der Wohnbereich im Erdgeschoss, würde er von den Nachbarhäusern verschattet. Die Umkehrung sorgt aber nicht nur für mehr Tageslichteinfall, sondern auch für mehr Privatsphäre. Die Familie wollte sich im Haus sicher und geborgen fühlen. Es sollte etwas Traditionelles, Dauerhaftes, Robustes ausstrahlen. Daher auch die Entscheidung für Backstein als Fassadenmaterial.

Der Klinker erfüllte alle Anforderungen: wenig porös, kaum Wasser absorbierend und robust genug, um den Wurzeln der Kletterpflanze zu widerstehen.

Der Klinker erfüllte alle Anforderungen: wenig porös, kaum Wasser absorbierend und robust genug, um den Wurzeln der Kletterpflanze zu widerstehen.

Das auffälligste an dem Haus ist natürlich die Fassadengestaltung, mit einem Pixelmuster aus Ziegeln, die um 90° gedreht wurden. Wann haben Sie sich für Backstein als Material entschieden?

MK: Ich war beim Entwurf des Hauses zunächst sehr von Frank Lloyd Wrights sogenannten Textilblockhäusern aus den zwanziger Jahren beeinflusst. Wright hat damals Fassaden aus hohlen Betonelementen mit ornamentalen Mustern hergestellt, die inzwischen völlig von Pflanzen überwuchert sind. Mich faszinierte die Idee, dass Natur und Architektur solch eine Synthese eingehen können. Meine erste Idee war, das Haus aus Betonpflanzsteinen zu bauen, wie sie in Gärten verwendet werden. Das ging aber nicht, weil die Steine dafür nicht stark genug sind. Den Auftraggebern war das auch zu experimentell und viel zu auffällig. Also entschieden wir uns für Backstein, weil man auch damit Ornamente und Tiefe erzeugen kann.

„Die Amsterdamer Schule hat wunderschöne Backsteinarbeiten hervorgebracht. Damals war das Mauern noch eine Kunst."
Marc Koehler
Ich muss beim Anblick des Hauses eigentlich weniger an Frank Lloyd Wright als an die Architektur der Amsterdamer Schule denken. Architekten wie Michel de Klerk experimentierten damals mit organischen Formen und Ornamenten aus Backstein. War das auch ein Einfluss?

MK: Ja, der Backsteinexpressionismus der zwanziger Jahre war eine ganz wichtige Referenz. Die Amsterdamer Schule hat wunderschöne Backsteinarbeiten hervorgebracht. Damals war das Mauern noch eine Kunst. Erst in der Nachkriegszeit wurden Ziegel immer mehr zum Industrieprodukt, bis sie in den neunziger Jahren jegliche Identität verloren hatten. Wir haben zu Beginn des Bauprozesses mit unseren Maurern eine Exkursion zu Bauten der Amsterdamer Schule gemacht, um ihnen zu zeigen, was man alles mit Backstein anstellen kann: Wie schön damals die Ecklösungen waren und dass man sogar Skulpturen aus Ziegeln machte. Diese Qualitäten wollten wir beim Haus auf IJburg wiederbeleben. Das hat die Handwerker sehr motiviert.

Wie kamen Sie auf die Idee, einzelne Klinker zu rotieren und damit zu skulpturalen Elementen zu machen?

MK: Wir haben im Büro mit ein paar Musterklinkern gespielt, sie gestapelt, verschiedene Verbände ausprobiert. Der Bauherr hat dann zufällig einen Backstein genommen und umgedreht. Da dachte ich: Genau so machen wir es! So konnten wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: ein Ornament entwickeln, das dem Haus eine Identität verleiht, und gleichzeitig eine Kletterhilfe für Pflanzen schaffen.

Die Öffnungen des Einfamilienhauses – kurz nach der Fertigstellung noch unbegrünt – sind in einem einzigen, umlaufenden Fensterband zusammengefügt.

Die Öffnungen des Einfamilienhauses – kurz nach der Fertigstellung noch unbegrünt – sind in einem einzigen, umlaufenden Fensterband zusammengefügt.

Welche Herausforderungen begegneten Ihnen bei der Verarbeitung der Klinker?

MK: Zunächst wären längst nicht alle Klinker dafür geeignet gewesen. Die herausstehenden Steine werden nass, und wenn es friert, können sie springen. Wir mussten also einen Stein finden, der möglichst wenig porös ist und kaum Wasser absorbiert. Die Wahl fiel auf einen Stein, der auch so hart ist, dass die Wurzeln der Kletterpflanzen ihm nichts anhaben können. Ganze Steine hätten aber zu weit aus der Mauer hervorgestanden. Deshalb wurden die Ziegel, die gedreht werden sollten, im Werk mit einer Sollbruchstelle versehen, so dass die Maurer sauber ein Fünftel von ihnen abschlagen konnten. Dann wurden sie mit Dünnbettmörtel verarbeitet und die gedrehten Steine wurden während des Trocknens von oben beschwert, damit sie nicht herunterfielen. Deshalb konnten wir nur drei Lagen pro Tag mauern. Das ließ sich aber zum Glück gut in den Bauprozess einbinden.

Wieso haben Sie sich für einen schwarzen Klinker entschieden?

MK: Das geht unter anderem auf das Piraeus-Gebäude von Hans Kollhoff und Christian Rapp zurück, einen legendären Wohnblock aus den neunziger Jahren, der im Östlichen Hafengebiet von Amsterdam steht. Das Gebäude hat Fassaden aus sehr dunklem Backstein, und das hat wirklich einen Trend in den Niederlanden ausgelöst. Vorher wurde fast nie dunkler Backstein verwendet, seither sieht man ihn überall. Hinzu kommt, dass die anderen Häuser in der Nachbarschaft auf IJburg alle sehr expressiv, laut und bunt sind. Die einzige Methode, damit umzugehen, war, etwas möglichst Einfaches, Zurückhaltendes zu machen. Da fand ich schwarz als Farbe sehr passend.

Marc Koehler
Die Fassade ist bei diesem Haus nicht nur Oberfläche, sondern übernimmt verschiedene Funktionen. Setzt sich das im Inneren des Hauses fort?

MK: Im Prinzip schon, denn Innen sind Einbauschränke in die Wände eingebaut, die noch eine weitere Funktionsschicht hinzufügen. Fassaden sind potenzielle Konnektoren zwischen Innen und Außen. Tiefe ist ein Instrument, um skulpturale Qualitäten zu erzeugen, aber auch, um das Gebäude mit seiner Umgebung zu verschränken. Viele Gebäude sind völlig flach und haben deshalb keinen Bezug zu ihrer Umgebung, die einfach an ihnen abprallt. Je mehr Tiefe eine Wand hat, desto mehr kann die Außenwelt mit ihr interagieren. Gleichzeitig schafft eine Wand mit Tiefe aber auch viel mehr Privatsphäre. In IJburg erzeugen die Pflanzen eine 70 Zentimeter tiefe Pufferzone, die verhindert, dass Passanten dem Bau zu nahe kommen. Die Pflanzen sind aber auch ein natürlicher Sonnenschutz. Im Sommer ist das Haus unter dem Grün vor der Sonne geschützt, im Winter verlieren sie ihre Blätter und es kann mehr Licht eindringen.

Das Haus in IJburg war einer Ihrer ersten Aufträge. Inwiefern war es prägend für Ihre Architektur?

MK: Es war sehr wichtig, denn anhand dieses Projekts haben wir ein Konzept entwickelt, das wir „Kompression ist Expansion“ nennen. Das heißt, dass wir manche Räume bewusst kleiner als üblich bemessen, damit wichtigere Bereiche davon profitieren können. Ich finde zum Beispiel, dass Schlaf- und Kinderzimmer oft überbewertet werden. Im Moment entwickeln Kinderzimmer sich zu kleinen Welten, mit eigenem Fernseher, Arbeitsplatz und so weiter. Dabei ist es viel sinnvoller, die entsprechenden Quadratmeter kollektiven Räumen zuzuteilen. Das Konzept „Kompression ist Expansion“ lässt sich aber auch auf die Fassade anwenden: Indem wir die Fenster zu einem durchlaufenden Band zusammengefasst haben, bekommen wir ruhige geschlossene Flächen für den vertikalen Garten. Ein anderes wichtiges Thema, das mit diesem Projekt geboren wurde, ist der sorgfältige Umgang mit Material und Details. Wir nennen das High-Definition-Architektur: Unsere Gebäude sollen aus der Ferne genauso gut aussehen wie aus der Nähe. Auch wenn man ganz nah heranzoomt, stimmen die Details noch.

Haus in IJburg

Fertigstellung:2008
Bauherr:Elmar, Machteld und Kawai van den Elzen
Geschossfläche:140 m², 75 m² Dachterrasse
Baukosten:230 000 Euro
Innenarchitektur: Made up interior works in Zusammenarbeit mit Marc Koehler

Röben Klinker

Basis:Mischung sorgfältig ausgewählter Tone aus dem Westerwald.
Beimischung: Eisen- und manganhaltige Rohstoffe sowie Schamotte definierter Körnung aus eigener Produktion.
Brennführung: Oxidierender Brand unter Bildung des tiefschwarzen Minerals Jacobsit.
Resultat: Tiefschwarzer Klinker mit dauerhafter Farbintensität und extremer Alterungsresistenz. Auf Wunsch des Architekten teilweise mit einer individuellen Sollbruchstelle zur weiteren Verarbeitung versehen.

Architekten

Marc Koehler Architects, Amsterdam
www.marckoehler.nl

Projekte (Auswahl)

2011 Loft House – house like village, Amsterdam
2011 Cube House, Almere
2011 House in House, Almere
2010 Corner House, New Leyden
2008 Tree House, Almere

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