Bauwelt

Tischler, Designer, Architekt

Rietveld-Retrospektive im Vitra Design Museum

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

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VG Bildkunst, Bonn 2012

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Tischler, Designer, Architekt

Rietveld-Retrospektive im Vitra Design Museum

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

320 Möbel, Modelle, Gemälde, Fotos, Filme und Zeichnungen – die Schau des Vitra Design Museums widmet sich allen Facetten des Werks von Gerrit Rietveld (1888–1964). Seine Häuser, Interieurs und Möbel baute der gelernte Schreiner vor allem in seiner Heimatstadt Utrecht und in den Niederlanden.
1918, ein Jahr nach der Gründung seiner Tischlerei, gelingt Rietveld mit dem „Lattenlehnstuhl“ – der ist damals noch naturbelassen – schon der große Wurf. Ein befreundeter Architekt, für den er Möbel von Frank Lloyd Wright nachbaut, empfiehlt ihm, Fotos seiner eigenen Entwürfe bei Theo van Doesburgs Monatszeitschrift „De Stijl“ einzureichen. Eines dieser Fotos – der Meister sitzt in seinem Meisterstück umringt von seinen Mitarbeitern vor der Werkstatt – mutet wie das handwerkliche Manifest seiner Ideen an: Die dreidimensionale Verbindung der Latten durch simple Dübel wird hier regelrecht inszeniert; den sogenannten Rietveld-Knoten verwendet er später in abgewandelter Form immer wieder.
 
Farbig gefasst, wird der „Rot-Blaue Stuhl“ (1923) zur Ikone der De-Stijl-Bewegung, ein „Mondrian in 3D“. Doch Rietveld ist ein Außenseiter in der niederländischen Avantgarde. Theoretische Diskurse sind ihm fremd. Er ist dem Praktischen zugetan, hat bereits im Alter von elf Jahren die Schule verlassen, um in der Schreinerei des Vaters zu lernen, und später in Abendkursen bei P.J.C. Klaarhamer Architektur studiert. Lediglich mit J.J.P. Oud steht Rietveld im regen fachlichen Austausch; auf Mondrian, der damals bereits in Paris lebt, trifft er nie.

1921 lernt er Truus Schröder-Schräder kennen. Die Anwaltsgattin lässt sich von ihm ein „kleines Zimmer mit schönen Grautönen“ gestalten, einen Rückzugsort vor ihrer unglücklichen Ehe. Sie hat ein Faible für Innenarchitektur und Experimente und bietet in ihrem Utrechter Stadthaus Künstlern wie Kurt Schwitters ein Forum. Das „Zimmer“ wird ein großer Erfolg; Bruno Taut kommt 1923 auf der Suche nach Anregungen für sein Buch „Die neue Wohnung. Die Frau als Schöpferin“ vorbei, um es in Augenschein zu nehmen. Nach dem Tod ihres Mannes wendet sie sich mit klaren Vorstellungen von ihrem neuen Zuhause erneut an Rietveld. Das gemeinsam entwickelte Rietveld-Schröder-Haus (1924) ist der Beginn ihrer lebenslangen beruflichen und privaten Partnerschaft. Rietveld überschreibt die Tischlerei einem Mitarbeiter und richtet sich in dem neuen Haus ein Architekturbüro ein. Er plant Ladenfronten,
Geschäftshäuser, Villen.

Wider das Möbeldesigner-Image

Rietveld entfernt sich immer mehr von der De-Stijl-Ästethik, er experimentiert leidenschaftlich mit Anwendungsmöglichkeiten von Materialien. Beim Birza-Stuhl (1927) etwa, dem ersten seiner „Faltmöbel“, weicht er die bereits in Form geschnittenen Faserplatten tagelang in einem Graben hinter dem Haus ein, bis sie flexibel genug sind, um sie zu biegen. Eine „Fallstudie für die Industrialisierung des Bauens“ soll die Garage mit Chauffeurswohnung (1927/28) werden, ein Stahlskelett, ausgefacht mit emaillierten Betonplatten. Der Bauherr zeigt sich wenig begeistert: Das Gebäude ist undicht „wie ein Sieb“ und muss schon bald saniert werden.

Vielen gilt Rietveld weiterhin als Möbeldesigner, nicht als „richtiger“ Architekt. Weil van Eesteren und Oud in letzter Minute absagen, wird er 1928 zur ersten CIAM-Konferenz eingeladen. Für Rietveld ist das die lang ersehnte Verbindung zur internationalen Architektenszene. In der Wiener Werkbundsiedlung kann er, ermöglicht durch seine neuen Kontakte, eine Reihenhauszeile bauen (1929–32).

Während der deutschen Besatzung darf Rietveld nicht bauen, da er sich weigert, in die gleichgeschaltete „Kulturkammer“ einzutreten. Nach dem Krieg etabliert er sich bald wieder als Villenarchitekt und realisiert auch einige Häuser auf der Karibikinsel Curaçao. Die große „De Stijl“-Ausstellung schließlich, die 1951 erst in Amsterdam, dann auf der Biennale in Venedig und im New Yorker MoMA zu sehen ist, etabliert ihn als „großen alten Mann“ der niederländischen Vorkriegsavantgarde. Er arbeitet bis zu seinem Lebensende vor allem als Architekt: Sonsbeek-Pavillon in Arnheim (1955), das Textilunternehmen De Ploeg in Bergeijk, die Akademie-Gebäude in Amsterdam (1956–67) und Arnheim (1957–63).
Fakten
Architekten Rietveld, Gerrit (1888–1964)
aus Bauwelt 25.2012
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