Bauwelt

Nur ein Tapetenwechsel?

Neubau für die Polnische Botschaft in Berlin

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

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1.Preis: Jems Architekci
Rendering: Architekten

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Nur ein Tapetenwechsel?

Neubau für die Polnische Botschaft in Berlin

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

Unter den Linden 72 – es fällt schwer, sich eine prominentere Adresse vorzustellen. So nahe am Pariser Platz, in Rufweite zum Brandenburger Tor, gammelt seit reichlich zehn Jahren eine Leerstandsruine vor sich hin, vermutlich Berlins unauffälligstes Baudenkmal: die Polnische Botschaft.
In der Landesdenkmalliste wird der 1962–64 von Emil Leibold und Christina Seyfarth entworfene Betonskelettbau mit seiner streng gerasterten Glasfassade als demonstrativ modernistische Entgegnung zum imperial auftrumpfenden Klassizismus der sowjetischen Botschaft gegenüber gewürdigt. „Bemerkenswert ist dabei die Beibehaltung der historischen Maßstäblichkeit des Straßenraums durch eine geschlossene Bebauung und die Einhaltung der Traufhöhe.“ Historisches „Lindenstatut“ und industrielle Moderne waren also durchaus in Einklang zu bringen, was sich inzwischen jedoch, trotz Ensembleschutz, nur noch
an ganz wenigen Exempeln des Wiederaufbaus überprüfen lässt. Im Verlauf des Hauptstadtumzugs wurden zwei DDR-Ministerien an dieser Stelle hastig bis zur Unkenntlichkeit überformt. 1999 entledigte sich die Republik Ungarn ihres ebenfalls modernistischen Botschaftsgebäudes von 1965, der Ersatzneubau am selben Ort geriet deutlich kleiner und erschreckend banal.

Auch das Außenministerium in Warschau wollte sich mit solchem Relikt einer für viele verrufenen Epoche nicht länger belasten. Es wählte für seine Diplomaten eine Grunewald-Villa als Interimsquartier und beantragte für die Spitzenadresse an Berlins Prachtboulevard den Abriss, um Platz für einen Neubau zu schaffen. Der Widerstand seitens der Berliner Denkmalbehörden blieb verhalten, denn bei der Abwägung von Denkmalfragen haben bundespolitische Belange immer Vorrang. Vor allem aber, und das macht den Vorgang jetzt ein bisschen heikel, war die Aufmerksamkeit für Wert und Reiz der Ostmoderne um die Jahrtausendwende noch nicht geweckt. „Heute“, so wird in Fachkreisen unumwunden eingeräumt, „würde darauf sicher ganz anders reagiert.“

Seit 2000 liegt also für den blassgrünen Botschaftskomplex die Abrissgenehmigung vor, sie wurde auch regelmäßig verlängert. Nachdem 2004 (!) eine Ausschreibung zur „Modernisierung des Bestandes“ und 2010/11 ein erster Neubauwettbewerb offenbar zu keinen gewünschten Ergebnissen führten, soll es nun ernst werden: In einem dritten Verfahren wurden im November 2012 unter 39 (ausschließlich polnischen) Einsendern zwei Preisträger und zwei Anerkennungen ausgewählt. Der Gewinner, das Warschauer Büro Jems Architekci, wird mit der Ausführungsplanung beauftragt. Vierzig Millionen Euro (inklusive Abrisskosten) will man bis 2016 ausgeben.

Der Blick auf die Schaubilder der vier ausgewählten Entwürfe wirkt ernüchternd. Selbstverständlich gilt das Berliner „Lindenstatut“ mit seiner Forderung nach gerade durchlaufender Fassadenfront und 18 Metern Traufhöhe auch für ausländische Bauherren. Kommen dann allerdings noch gewisse Erwartungen an Autorität, vielleicht gar „Erhabenheit“ hinzu, bleiben nach dem heute gängigen Formenrepertoire offenbar nicht mehr viele Möglichkeiten: Kulissenwände, Pfeilerreihen, Rastereinfalt. Einen „Hingucker“ verspricht keiner der prämierten Entwürfe, nicht mal eine passantenfreundliche Erdgeschosszone ist wegen der repräsentativen Zweckbestimmung zu erwarten.

Nun gewähren aber die Modelle des Wettbewerbs noch einen überraschend anderen Blick auf
die Baustelle: Für jeden Linden-Bummler unsichtbar, weiten sich hinter den lückenlos geschlossenen Straßenfronten Blockinnenräume von enormer Tiefe. Dort war schon immer viel Platz für opulente Seiten­flügel, solitäre Saalbauten, Schmuckgärten mit Rabatten und Fontänen. Im Umgang mit diesem verborgenen Reichtum an Raum unterscheiden sich die Arbeiten deutlich: Wolski Architekci (2. Preis) und Romuald Loegler (Anerkennung) scheinen das rückwärtige Hofvolumen lediglich als banalen Stauraum für die geforderten Funktionsflächen zu betrachten. Die Gewinner Jems Architekci begreifen die Tiefe des Bauplatzes sehr wohl als eigentlich zu lösende Aufgabe, doch in ihrem kunstvollen Arrangement aus verwinkelten Büroflügeln bleiben am Ende nur ein paar Lichthöfe ausgespart; deren Enge dürfte Assoziationen an die Hinterhofschluchten Berliner Mietskasernen wecken.

Wie mit intensiver gärtnerischer Inszenierung aus dem Innenhof ein aufregend attraktiver „neuer Ort“ werden könnte, führen Kozień Architekci vor. Konsequent haben sie ihren Botschaftskomplex als zwei parallele Flügelbauten quer zum Boulevard ausgerichtet. Dem „Lindenstatut“ wird mit einer langen Reihe schlanker Pfeiler Genüge getan, die in der Mitte aber Durchblicke auf eine Art „Hängende Gärten“ gewähren. Zweifellos ein gewagter Kunstgriff, der nicht zuletzt auch ein Stück typisch Warschauer Urbanität an die Spree transferiert – die einladende Gestik dortiger Adelspalais. Welch überraschendes Geschenk würde hier den Berlinern gemacht! Sogar dem offiziell ungeliebten Vorgängerbau haben Kozień Architekci Reverenz erwiesen, indem sie dessen markantestes Detail – die Stahlschmuckwand aus stilisierten Lindenblättern von Fritz Kühn –, am ursprünglichen Ort wieder anzubringen versprachen; es hat ihnen trotzdem nur eine Anerkennung eingebracht.

Angesichts der vielen Zeit, die man sich bisher ließ, hätte die Affäre glücklicher ausgehen können: Dass schon wieder ein Baudenkmal an so prominenter Stelle verlorengeht, hat man sich in Berlin selbst eingebrockt. Aber womöglich wäre der Verlust leichter hinzunehmen, gäbe es dafür auch etwas zu gewinnen – eine unerwartete Perspektive vielleicht, ein neues stadträumliches Motiv. Doch vom verheißungsvollen Blockinnenraum bleibt beim ersten Preisträger nicht mehr viel übrig, während nach außen hin nur das „Statut“ im kahlen Raster triumphiert. So preußisch brav waren schon die Vorgänger. Und genauso langweilig. Also im Grunde bloß ein Tapetenwechsel. Für vierzig Millionen.


1. Preis Jems Architekci, Warschau
2. Preis Wolski Architekci, Danzig
Anerkennung Kozień Architekci, Krakau
Anerkennung Atelier Loegler – Artur Jasiński i Wspólnicy Biuro Architektoniczne, Krakau
Fakten
Architekten Jems Architekci, Warschau; Wolski Architekci, Danzig; Kozień Architekci, Krakau; Atelier Loegler – Artur Jasiński i Wspólnicy Biuro Architektoniczne, Krakau
aus Bauwelt 5.2013
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