Bauwelt

Vorsicht auf dem Wendehammer!

Postkarten aus der umfangreichen Sammlung des Bauwelt-Redakteurs dokumentieren die Hochphase des autogerechten Stadtumbaus in Ost und West.

Text: Escher, Gudrun, Xanten

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Vorsicht auf dem Wendehammer!

Postkarten aus der umfangreichen Sammlung des Bauwelt-Redakteurs dokumentieren die Hochphase des autogerechten Stadtumbaus in Ost und West.

Text: Escher, Gudrun, Xanten

Was für ein Thema – Straßen und wie sie unsere Städte verändert haben! Der reich bebilderte Band „Vorsicht auf dem Wendehammer!“ liefert jedoch keine städtebauhistorische, wissen­schaft­liche Analyse, sondern weit mehr als das: ein Zeitdokument in Form von Bildpostkarten und damit gleich mehrere Perspektiven. Die Postkarten aus der Sammlung des Bauwelt-Redakteurs Ulrich Brinkmann mit Fokus auf die Zeit 1949 bis 1989 dokumentieren den autogerechten Stadtumbau in Ost und West, ebenso aber einen Aspekt der Kunst der Fotografie und ihrer Kompositionsprinzipien und nicht zuletzt ein soziokulturelles Zeitphänomen. Denn alle diese Bilder bieten einen selektiven Blick in einem Medium, das sich primär nicht an ein architekturaffines Fachpublikum wendet. Oft sind es spontan aufgenommene Fotos, nicht immer sorgfältig arrangiert und nicht menschenleer wie für eine professionelle Architekturfotografie. Deshalb die augenzwinkernden Titel der Buchtrilogie, deren erster Band „Achtung vor dem Blumenkübel!“ über die Fußgängerzonen in DDR und BRD (Bauwelt 6.2020) schnell vergriffen war und deren dritter Teil „Obacht an der Wäschespinne! Die Siedlung als Element des Städtebaus“ soeben ausgeliefert wird. Mit welcher Akribie dieses Material durchforstet wurde, wird im Anhang klar, in dem nicht nur alle ins Bild gesetzten Orte und Straßen verzeichnet sind, sondern auch die Hauptakteure der Szenen, die Auto-Marken und -Modelle, die manche Aufnahme erst datierbar machen, und schließlich die Postkartenverlage, von denen viele nicht mehr existieren.
Was die Bilder so sehenswert macht, ist der in den Postkarten kondensierte zeitgenössische, von Stolz und Zukunftserwartung erfüllte Blick explizit auf die neuen und nicht auf alte Stadt-Ansichten. Die dürfen allenfalls als Kulisse für die chromglänzenden Wahrzeichen der automobilen Neuzeit auf zugeparkten Marktplätzen herhalten – mit dem Thema „Marktplatz wird Parkplatz“ beginnt die Reihe der Kapitel, die das Thema der Straßen in Wort und Bild in allen ihren anschaulichen Facetten durchdeklinieren. Zeitdokumente sind die Ansichten nicht zuletzt dann, wenn die Maßlosigkeit von Boulevards und Kreuzungsbereichen in ihrer von verhüllendem Grün unbehelligten Nacktheit gefeiert wird. Inzwischen sind solche Ansichten meist nicht mehr möglich – mit wenigen Ausnahmen wie in Stuttgart, wo trotz mehrerer Vorstöße die Frage noch ungelöst ist, wie eine Autobahn quer durch die Innenstadt sich mit derselben versöhnen könnte. Im Kapitel „Verkehr in der dritten Dimension“ werden Luftbilder automobiler Darmverschlingungen mittels Hochstraßen in Saarbrücken, Essen oder Berlin wirkungsvoll in Szene gesetzt oder die Orches­trierung von Einfallstraßen und Ausfallstraßen – so der Titel eines weiteren Kapitels – mit Punkthochhäusern in Dresden oder einem Theater wie in Bochum. Sogar periphere Erscheinungen der automobilen Stadtgestalt kommen zu ihrem Recht: das Tanken und Parken und der Autosalon, wovon innerstädtisch mit Parkplätzen meist nur das ärgerlichste Phänomen überdauert hat. Anders die Einrichtungen für den Busverkehr mit Wartehäuschen, die vor dem Hintergrund der Mobilitätsdiskussion neue Aktualität gewinnen. Mit Beispielen aus Flensburg oder Karl-Marx-Stadt endet diese Übersicht in Postkartenformat, die eines überdeutlich werden lässt: In ihren Vorstellungen von zukunftsfähigem Städtebau waren sich die beiden so uneinigen politischen Systeme in Ost und West damals ziemlich einig.
Fakten
Autor / Herausgeber Ulrich Brinkmann
Verlag DOM Publishers, Berlin 2023
Zum Verlag
aus Bauwelt 25.2023
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