Tent Poles in the Ground
Text: Demirovic, Marko, Kassel
Tent Poles in the Ground
Text: Demirovic, Marko, Kassel
In der Hand halte ich ein grünes Buch. Das elegante Buchformat des Luzerner Quart-Verlags trägt den Titel „Tent poles in the ground“ in großen Buchstaben auf einem rauen Umschlag – ein Umschlag, der das Blättern und mein Lesen nicht unbeschadet überstanden hat.
„Tent poles in the ground“ – das klingt für mich nach einer Verortung. Aber wo ist dieses Zelt aufgeschlagen? Und was für ein Zelt ist das überhaupt? Wie sieht es aus? Wer hat es errichtet? Das Buch des Londoner Architekten Stephen Bates gibt darauf keine direkten Antworten. Stattdessen hat es mich mit seiner Aura und seiner Erzählstruktur mitgenommen – auf eine stille, präzise Reise. Und beim Lesen fragte ich mich, angeregt von diesem Buch: Wo beginnt Architektur? Vielleicht schon dort, wo ein Zelt aufgespannt wird?
Das Buch versammelt 21 essayistische Texte, die weit über den Rahmen der klassischen Architekturpraxis hinausgehen. Es reflektiert über Raum, Wohnen, Stadt, Lehre und Entwurf –assoziativ, in einem Ton, der ebenso nachdenklich wie zugänglich ist. Die Texte sind auf haptisch angenehm, fast zeitungspapierartigem Papier gedruckt. Begleitet werden sie von Bildern, Plänen und Zeichnungen, die die einzelnen Kapitel visuell erweitern. Die grafische Gestaltung ist minimalistisch und elegant und dennoch eine Erfrischung. So entsteht weniger ein klassisches Sammelsurium als vielmehr ein intimes Journal einer architektonischen Haltung – des Bauens im und mit dem Bestand.
Bates formuliert seine architektonischen Überzeugungen genau, poetisch und tief reflektiert. Seine Texte lesen sich schnell und gedankenvoll. Dass sie auf Englisch verfasst sind, ist verständlich, wenn es um ein Londoner Architekturbüro geht, man hätte hier jedoch, wie sonst bei Quart üblich, eine mehrsprachige Ausgabe erwarten dürfen.
Der Autor ist Architekt und Mitbegründer des Büros Sergison Bates. Seit 2009 lehrt er als Professor für Wohnungsbau an der TU München und forscht zum Verhältnis von Stadt und Wohnen. Viele seiner Texte stammen aus Magazinpublikationen oder der Reihe Papers, veröffentlicht mit Jonathan Sergison (2001, 2007, 2016), oder sind im Zusammenhang realisierter Projekte seines Büros entstanden.
Über die historischen Bezüge des Bauens im Bestand reflektiert das Buch die Wirkung und Bedeutung von Architektur und Raum. Namen wie Aldo Rossi, Sigurd Lewerentz oder Hans Döllgast tauchen dabei nicht nur einmal auf. Das Buch gibt keine fertigen Lösungen vor. Es macht Vorschläge, übt zurückhaltend Kritik und verlangt Veränderung. Vor allem aber erzählt es von scheinbar einfachen Dingen: einem Stuhl, einem Tisch, einer Decke, einem Raum. Es geht darum, das Vorhandene zu verstehen – in seinem Prinzip, im Design – und mit ihm weiterzuarbeiten. So richtet sich das Buch an alle, die am selben Tisch sitzen. Ein Buch also, das man nicht nur liest, sondern das in Gedanken bleibt – wie ein Zelt, dass im Boden ankert.







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