Bauwelt

Mainz 1945–1970

Die verkannte Epoche des Wiederaufbaus

Text: Hädler, Emil, Mainz

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Mainz 1945–1970

Die verkannte Epoche des Wiederaufbaus

Text: Hädler, Emil, Mainz

Der Mainzer Nachkriegswiederaufbau ist vielfältig kommentiert und wissenschaftlich bearbeitet worden – zuletzt 2019 von Cohen-Frank-Ziegler mit dem gewaltigen Buch „Ein neues Mainz? Kontroversen um die Gestaltung der Stadt nach 1945“. Aber nun liegt eine Buchveröffentlichung vor, die nicht zeigt, was aus dem zerstörten Mainz hätte werden können, sondern was tatsächlich daraus wurde. Rainer Metzendorf, langjähriger Mitarbeiter im Stadtplanungsamt und Autor vieler wissenschaftlicher Aufsätze zur Planungsgeschichte der Stadt, hat als Herausgeber ein Buch vorgelegt, das das „goldisch’ Meenz“ anders zeigt, als es sich selbst sieht: Als ein Laboratorium der Moderne mit bemerkenswerten Zeugnissen einer Epoche, die oft nicht nur in Mainz verkannt wird. Dabei bildet das Rathaus von Arne Jacobsen nur die Spitze des Eisbergs.
Veranlasst durch das stadthistorische Museum Mainz, ist diese umfangreich bebilderte Ausgabe nicht nur eine Fundgrube kaum vermuteter architektonischer Schätze, sondern vor allem ein ungewöhnliches Dialogprojekt zwischen den Generationen. Rainer Metzendorf fasst sein umfangreiches Wissen geschickt zusammen und trifft als Mitautoren auf eine Gruppe junger Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, allesamt im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts geboren und als „Die Betonisten“ organisiert, die die wenig populäre Architekturgeschichte der 1940er bis 1960er Jahre wissenschaftlich aufarbeiten, sich aneignen und um Verständnis für deren unterschätzte Qualität werben. Als medien-affine „@die_betonisten“, „@diebetonis-ten“ oder „@betonisten“ nutzen sie dafür Vermittlungskanäle wie Instagram und facebook. 2019 wurde die Gruppe mit dem Deubner-Preis des Verbands Deutscher Kunsthistoriker ausgezeichnet.
Anlass zu positiver Propaganda gibt es in Mainz zur Genüge, wo seit über einem Jahrzehnt eine oftmals verständnislose Öffentlichkeit, befeuert von der lokalen Presse, die Bedeutung des Rathauses in Frage stellt und der politische Konsens zu dessen denkmalgerechter Sanierung bis heu­-te nur mühsam herzustellen ist. Die vorliegende Publikation zeigt nun in kataloghaft-systematischer Aufbereitung, wie umfangreich dieses Erbein Mainz noch ist und wie typisch für diese Stadt, die sich selbst eher im sandsteinroten Gewand wahrnimmt. Dabei ist es hilfreich, auch untergegangene Zeugnisse dieser Epoche gewürdigt zu sehen wie das Hauptzollamt von 1955, 2008 abgebrochen, um dem spektakulären Synagogen-Neubau von Manuel Herz am alten Standort der 1938 verwüsteten Hauptsynagoge Platz zu machen: Manchmal ist – selten genug – auch in Mainz das Bessere der Feind des Guten.
Herausragend sind in diesem Buch die bauzeitlichen farbigen Fotografien, die Rainer Metzendorf aus Archiven und aus wenig bekannten Publikationen zusammen getragen hat. Ihre unwiederbringliche Qualität zeigt die Architektur im Maßstabsvergleich der Umgebung – z.B. die Berliner Siedlung, die Siedlungen Bretzenheim-Süd oder Lerchenberg vor dem Bau des ZDF – wie gebaute Architekturmodelle ohne die später hinzu gewachsene dichte Vegetation. Es könnte interessant sein, diesen Luftbildern heutige Drohnenaufnahmen aus gleicher Position gegenüber zu stellen. Neben den zeitgenössischen PKW-Typen sehen wir Passanten in der Mode der Epoche vor geschwungenen Leuchtreklamen im Café am Allianzhaus sitzen, dem damaligen „Klein-Paris“, das heute wieder ein beliebter Treffpunkt junger Leute ist.
Das Buch kommt zum richtigen Zeitpunkt, während Mainz durch unverhoffte Steuermillionen von BionTec von einer hoch verschuldeten zur reichen Stadt wird. Seit Jahrzehnten leidet die Planungskultur Not, und die Stadtspitze wehrt sich gegen einen Stadtentwicklungsplan. Vielleicht macht das Buch deutlich, dass „Bauen mit Plan“ besser ist als ohne.
Fakten
Autor / Herausgeber Hg. von Rainer Metzendorf
Verlag morisel Verlag, München 2021
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aus Bauwelt 17.2022

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