Duett der Moderne
Hansaviertel und Karl-Marx-Allee
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Duett der Moderne
Hansaviertel und Karl-Marx-Allee
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Die von farbigen Vorhängen verhüllten Fenster auf dem weißen Umschlag lassen keinen Rückschluss auf die beiden Architektur-Dinosaurier zu: die Karl-Marx-Allee und das Hansaviertel. Spätestens seit dem Bestreben, die Ost- und Westberliner Vorzeigebauten der 1950er Jahre gemeinsam als Welterbe bei der UNESCO einzutragen, sind sie historisch geworden. Und zugleich populär für innerstädtisches Wohnen. Die Künstlerin Bettina Cohnen hat ausgewählte Bleiben fotografisch do-kumentiert; den Sommer über waren sie ausgestellt in Berlins Mitte-Museum (Bauwelt 13/2025), und wer die Schau nicht gesehen hat, kann zum parallel erschienen Begleitbuch greifen.
Die Karl-Marx-Allee wird differenziert in den 1952 fertiggestellten ersten Bauabschnitt, ein von den Berliner Bauten des 19. Jahrhunderts abgeleiteter „Sozialistischer Klassizismus“, und dem zweiten, der sich ab Ende der 1950er Jahre mit zeitgemäßen Platten- und Pavillonbauten anschließt. Zeitlich dazwischen liegt das aus explizit modernen Solitären bestehende Hansaviertel, zugleich Gegenstand der Internationalen Bauausstellung 1957.
„Beide Viertel sind Ausdruck der Suche nach gutem und bezahlbaren Wohnraum“ stellen die beiden Herausgeber Hendrik Bohle und Jan Dimog im Vorwort klar. Auch wenn weder die städ-tebaulichen Konzepte noch die Ausstattungen der Wohnungen für den weiteren Wiederaufbau hätten finanziert werden können, repräsentieren beide Anlagen, so der Berliner Landeskonservator Christoph Rauhut, „den Stolz und das Strebender jeweiligen politischen Systeme nach einer besseren Zukunft.“
Wirken diese hehren Feststellungen bis in die jeweiligen Wohnungen hinein? Zuvörderst sind die reinen Bildessays, durch kurze Anmerkungen zu Architekten und Haus ergänzt, persönlichem Wohnen verpflichtet. Die Charakteristik der jeweiligen Lebensräume setzt sich aus Fragmenten zusammen. Beim Atriumhaus von Arne Jacobsen etwa liegt der Fokus auf dem Zusammenspiel von Wohnraum und Patio sowie die Materialität, beim so genannten „Schwedenhaus“ von Fritz Jaenecke und Sten Samuelson auf seine Aneignung durch Möbel, Stoffe und Gebrauchsgegenstände.
Gegen die durchweg lichten Innenräume im Hansaviertel spiegeln die Lochfenster mit ihren Teilungen im ersten Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee die konservative, introvertierte Seite der Zeit wieder. Die äußere Pracht des Bauabschnitts von Hanns Hopp oder des Hochhauses an der Weberwiese von Hermann Henselmann findet sich innen nicht wieder. Um wie viel verbundener mit dem Außenraum sind die Wohnungen des zweiten Bauabschnitts von Josef Kaiser, der auch das benachbarte Kino International entworfen hat, schon durch den Umstand, dass die Fenster keine Stürze haben.
Die „Lösungen von gestern“, wie die Architekturhistorikerin Ursula Kleefisch-Jobst befindet, erfreuen sich großer Beliebtheit ob ihrer innerstädtischen Lage: im grünen Tiergarten – das Hansaviertel – respektive entlang eines überbreiten, ebenfalls grünen Boulevards – die Karl-Marx-Allee. Beide Anlagen werden in den Bildern einnehmend beiläufig. Cohnens Fotografien überzeugen durch eine gute Distanz zwischen Bewohnern und ihren Umraum, sie geben in den Worten der Kunsthistorikerin Karen Grunow wieder, dass „es mit Leben erfüllte Orte sind, die überaus gern bewohnt werden.“







0 Kommentare