Bauwelt

Das Würfelhaus

Mein Vater und die Architektur der Verdrängung

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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Das Würfelhaus

Mein Vater und die Architektur der Verdrängung

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Ein Architekturbuch ist dieser Text von Sebastian Moll nicht. Ein Roman zur Frankfurter Stadtgeschichte schon eher. Ein Familienroman, eine Nachforschung zur Generation seiner Eltern auf jeden Fall – nennen wir es ein Psychogramm der jungen Bundesrepublik. Moll, Jahrgang 1964, begibt sich mit ihm auf eine Spurensuche. Sie beginnt im Jahr 2009 in der „Gartenstadt Oberlinden“ mit der Auflösung des elterlichen Hauses, des Anfang der 1960er Jahre errichteten „Würfelhauses“, wie Moll es nennt, schweift von dort in die Vorkriegswohnung der mütterlichen Familie im Frankfurter Nordend und landet dann in Washington Heights, jenem New Yorker Stadtteil, in den es den Journalisten Anfang der 2000er Jahre verschlug: Ausgerechnet, könnte man sagen, war Washington Heights in den 1940er und ʼ50er Jahren doch die neue Heimat vieler exilierter Frankfurter Jüdinnen und Juden. Am Ende steht Moll dann in Frankfurts „Neuer Altstadt“ und zerbricht sich den Kopf darüber, wie in dieser Umgebung jemals die Gespenster der wieder und wieder überschriebenen Vergangenheit exorziert werden könnten.
Die Lektüre ist fesselnd für Architekten wie Stadtplanerinnen, doch auch für Bauhistorikerinnen und Kulturgeschichtler empfehlenswert. Wie haben es die Ende der 1920er Jahre Geborenen geschafft, ihre Sozialisation im Nationalso-zialismus quasi von einem Tag auf den anderen abzuwerfen und in einer neuen Werteordnung ein Leben aufzubauen? Welche Erlebnisse und Charakterzüge mussten sie dabei abspalten, in dunklen Kellerräumen ihrer Häuser und Erinnerungen entsorgen? Wie formte sie das Erleben neuer Freiheiten in der Trümmerlandschaft der ersten Nachkriegsjahre, bevor ein sozialdemokratischer Wiederaufbau und die konservative Moral der Adenauer-Republik das Leben in neue, starre Bahnen lenkte? Und wie verband sich für sie die „sexuelle Revolution“ der sechziger Jahre mit dem Männer- und Frauenbild des Faschismus? Wie wurde der anerzogene Sadismus in die neue Wohnwelt der Nachkriegsmoderne trans-loziert und dort ausgelebt? Die von Moll im Untertitel angesprochene „Architektur der Verdrängung“ diente zumindest in seiner Familie dazu, die antrainierte Bereitschaft zur Vernichtung ins Private umzulenken, und die Wunden, die alle Beteiligten davontrugen, sind für den Autor bis heute nicht verheilt.
Selbst in einer 60er-Jahre-„Würfelhaussied-lung“ aufgewachsen, wenngleich ein paar Jah-re später als Moll, als Kind von Eltern, die, Mitte der dreißiger Jahre geboren, nicht mehr als Flakhelfer in die Endkämpfe verwickelt waren, gleich- wohl das Trauma des Kriegserlebnisses in einer ebenfalls vom Bombenkrieg ausradierten Stadt mit sich herumtrugen, haben mich etliche Passagen dieses Textes tief berührt. Als psycholo-gischer Subtext unter der westdeutschen Nachkriegsmoderne ist Molls Buch von einer Relevanz, die über das private Einzelschicksal jeden-falls weit hinausreicht: als Porträt einer Gene-ration, die einen Neuanfang suchte, ohne mit dem Vorangegangenen zu Rande gekommen zu sein.
Fakten
Autor / Herausgeber Sebastian Moll
Verlag Insel Verlag, Berlin 2024
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