Bauwelt

In Zeiten großer Verunsicherung

Eine Nachlese zur Mipim 2023 in Cannes

Text: Brensing, Christian, Berlin/London

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In Zeiten großer Verunsicherung

Eine Nachlese zur Mipim 2023 in Cannes

Text: Brensing, Christian, Berlin/London

Die Wettervorhersage für die Côte d’Azur in der Mipim-Woche vom 14. bis 17. März war verhalten. Doch es klarte auf, der Wind ließ nach, der Regen verzog sich, und die Sonne brach durch. So ähnlich könnte man auch die Stimmung auf der diesjährigen Immobilienmesse bezeichnen. Circa 23.000 Besucher (ein Plus von 15 Prozent zum Corona-belasteten Vorjahr), davon über 3000 aus Deutschland, und 2400 Aussteller aus 90 Ländern strömten ins Palais des Festivals. Zwei der zwölf Mipim Awards gingen nach Deutschland: an den Lanserhof auf Sylt (Ingenhoven Associates) und die Atelier Gardens in Berlin (MVRDV, Studio Fabrix und Hirschmüller Schindele Architekten). Dies die Fakten aus deutscher Perspektive. Schwerer fasslich und verständlich waren Stimmungen und Tendenzen auf der größten Immobilienmesse Europas.
Nach einem fast beispiellosen Jahrzehnt einer Wünsch-dir-was-Immobilienwirtschaftswelt, die circa vom Ende der Finanzkrise bis zum Beginn der Corona-Pandemie andauerte, verdüstert sich der bisher heitere Immobilienmarkt zunehmend – und unvorhersehbar. Eine Phalanx aus hoher Inflationsrate, steigenden Material- und Baupreisen, löchrigen Lieferketten, akutem Fachkräftemangel, andauerndem Krieg in der Ukraine und vielleicht noch manch andere hausgemachte Plage trüben Stimmung und Aussichten merklich ein. Und eine alle entlastende Zinswende ist auch nicht in Sicht.
Ein Placebo gegen die Schmerzen
Wie reagiert man auf einen derartigen Cluster aus Risiken und Verunsicherungen? Man fuhr nach Cannes, um zum Beispiel zu erfahren, ob eigene Wahrnehmung und Probleme sich mit denen der restlichen Immobilienwelt decken. Ein Placebo, um zumindest die offensichtlichsten Schmerzen am Immobilienmarkt zu lindern, ist die Rhetorik. Beispielhaft sei der auf der Mipim oft zu hörende Begriff value-add genannt. Mit dieser Umschreibung des momentan äußerst volatilen Wertverlusts von Gewerbeimmobilien versucht man die Risiken eines bumpy rides auf dem Transaktions-Karussell abzufedern. Denn in Zeiten, in denen Projektentwicklung wenig, wenn überhaupt angesagt ist, machen gezielte punktuelle Aktionen den maßgeblichen Unterschied, eine Immobilie am Markt zu halten beziehungsweise sie in einer herausragenden Art und Weise zu platzieren.
Stranded assets ist der Begriff für schwer vermittelbare Objekte. Der weckt bei Michael Schumacher, der mit seinem Architekturbüro Schneider + Schumacher Standpartner des „German Pavilion“ des Bundes war, nicht nur negative Assoziationen: „Stranded assets, wir sprechen da von Häusern für Menschen, die irgendwann mal hip waren und die es auch mit Einfallsreichtum, weniger Normdenken und viel Mühe wieder werden können. Weiterbauen ist das Gebot der Stunde; und das kann man auch optimistisch sehen.“
Eine völlig andere Gewichtung der Mipim-Tage nahm Sascha Zander vor, der ebenfalls mit seinem Architekturbüro Zanderroth am German Pavilion vertreten war: „Deutschland verliert seit 30 Jahren alle sechs Minuten eine Sozialwohnung, allein Berlin 22 pro Tag! Seit 1987 ist der Bestand bundesweit von vier Millionen auf eine Million und in Berlin von 340.000 auf 100.000 Sozialwohnungen gesunken. Und über 70 Prozent der zwischen 1950 und 1990 realisierten Wohnungen dieser Art sind auf Bundes- und Landesebene vom Bindungsauslauf betroffen. Eine der wichtigsten sozialpolitischen Fragen Deutschlands wird immer schwerer zu beantworten.“
Mehr Qualität, weniger Spekulation?
Aber von derartigen Frage- und Problemstellungen war in Cannes ansonsten kaum etwas zu vernehmen. Hiobsbotschaften anderer Art plagten die Teilnehmer. So kündigte am Ende der Mipim-Woche die EZB an, den Leitzins um weitere 0,5 Prozent anzuheben, gefolgt von Nachrichten um die strauchelnde Credit Suisse. Alles Signale, die vielen Investoren und Projektentwicklern die Laune weiter verhagelten. Kurz: Neue Projekte und Investitionen wurden weniger oder gar nicht angeschoben beziehungsweise angesprochen. Nach über einem Jahrzehnt der dicken Auftragsbücher und Gewinne ist bei den Developern innehalten und durchatmen angesagt. Alle, die in diesem Markt agieren müssen, also zum Beispiel unter Zwang verkaufen, sind schlecht beraten und werden zu potenziellen Übernahmekandidaten. Viel Eigenkapital und wenige oder am besten gar keine stranded assets im Portfolio markieren die Eckpfeiler einer wirtschaftlichen Überlebensstrategie in diesen zunehmend diffizileren Zeiten. Und diese werden nach allgemeinem Bekunden noch die nächsten zwei, drei Jahre marktbestimmend sein. Jan Kehrberg von der Rechtsanwaltskanzlei GSK Berlin brachte es folgendermaßen auf den Punkt: „Wir erleben schon jetzt bei den Developments eine Bereinigung, Qualität ist Trumpf und sticht auch weiterhin, außerdem wird es weniger spekulationsgetriebene Preistreiberei geben.“
Wie dominant die gegenwärtigen Unsicherheiten im Immobilienmarkt waren, bewies auch der Umstand, dass das diesjährige Motto der Mipim, „The Road to Zero“, gemeint ist der Weg zu null CO₂-Emissionen von Gebäuden, fast völlig verpuffte. Trotz des prominenten Eröffnungsredners – der amerikanische Ökonom, Soziologe und Verkünder der „Dritten Industriellen Revolution“ Jeremy Rifkin – gelang es den Organisatoren nicht, den Klima- und Umweltschutz entsprechend in Szene zu setzen. Die dazu im hintersten Winkel im Untergeschoss des Palais des Festivals versammelten Stände hatten bei Weitem nicht die Anziehungskraft, um die vorherrschenden ökonomischen Sorgen in eine ökologische Schubumkehr zu verwandeln.
Unkalkulierbare Dynamik am Markt
Diesen auf der Mipim frei-zirkulierenden Gefühlen und Mutmaßungen weiter auf den Grund zu gehen, das gelang einer keine zwei Wochen nach der Messe von der Medienagentur Rückert Consult einberufenen Pressekonferenz. Gastgeber war der Projektentwickler Pandion in seiner Hauptstadt-Repräsentanz Unter den Linden. Die schlichte Untertreibung im Titel „Büro Projektentwicklung, ein Geschäft mit wachsenden Herausforderungen“ erhöhte den Erklärungsbedarf. Von vier Rede und Antwort stehenden Immobilien- und Finanzierungsexperten seinen hier Reinhold Knodel, Inhaber und Vorstand der Pandion, und Roland Köppe, Berliner Niederlassungsleiter der Becken Development in Berlin genannt. Schnell war zu erkennen, dass die Moll-Stimmung am Markt in vielen Belangen eine Frage der Perspektive ist. Denn wenn europäische Banken wegen der oben genannten Gründe aus dem Markt aussteigen, so begreifen dies zum Beispiel asiatische Geldhäuser als Chance. Noch sind die Leerstände von Büroimmobilien etwa in Berlin mit sagenhaft niedrigen 1.3 Prozent unterdurchschnittlich. Aber beide Entwickler beschrieben eine immer unkalkulierbarere Dynamik im Markt. Viel Zeit muss – für deren Verständnis – investiert werden, und nebenbei läuft die Zinsuhr weiter gnadenlos gegen die Marge. Somit scheinen Fire Sales (Notverkäufe) von angeschlagenen Entwicklern nur eine Frage der Zeit zu sein.

Kurz gefasst: Wir befinden uns jeweils am Ende wie am Anfang eines neuen-alten wirtschaftlichen Zyklus. Eine Trendwende ist weder beim hohen Zinsniveau und den steigenden Materialkosten noch in vielen anderen Bereichen, die die Baubranche tangieren, erkennbar. Von Lösungsansätzen kann erst recht nicht gesprochen werden, wir stehen noch immer vor der Welle. So war wohl diese Mipim, ähnlich wie jene vor der Finanzkrise, ein verlässlicher Stimmungsindikator. Wie der darin enthaltene prophetische Spin genau zu interpretieren ist, wird sich spätestens bis zur Mipim 2024 zeigen.


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