Bauwelt

Geist der Zeichensäle

Das Alleinstellungsmerkmal des Architekturstudiums an der TU Braunschweig – seine Zeichensäle – hat eine ungewisse Zukunft.

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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24// im Zeichensaal. In den 1970er Jahren entwickelten sie sich zu einer Mischung aus Künstleratelier, Werkstatt und Wohngemeinschaft.
Foto: SAIB/Ulrich Hassels

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24// im Zeichensaal. In den 1970er Jahren entwickelten sie sich zu einer Mischung aus Künstleratelier, Werkstatt und Wohngemeinschaft.

Foto: SAIB/Ulrich Hassels


Geist der Zeichensäle

Das Alleinstellungsmerkmal des Architekturstudiums an der TU Braunschweig – seine Zeichensäle – hat eine ungewisse Zukunft.

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Wie lehrt sich eigentlich Architektur, besser ihre Kerndisziplin: das Entwerfen als gestaltfindende Synthese wissenschaftlicher und künstlerischer Aspekte einer gebauten Welt? Die Architekturlehre der T.H., nachfolgend TU Braunschweig, zehrte über Dekaden von ihrem Nimbus der „Braunschweiger Schule“. Damit sind jene Jahre zwischen 1950 und 1970 gemeint, als sich unter dem Dreigestirn der Professoren Friedrich Wilhelm Krae-mer, Walter Henn und Dieter Oesterlen jener klare, wenngleich etwas blutleerer Funktionalismus etablierte, der bis heute in einigen wichtigen Hochschulbauten der Architekten überdauert hat. Ergänzen muss man die Lehre im Bereich Gebäudekunde und Entwerfen um die Position des etwas später berufenen Manfred Lehmbruck. Der Museumsspezialist hat ein ausgesprochen stilles, feines Œuvre geschaffen. Diese vier Architekten wirkten jeder auf seine Weise stilbildend und verstanden es, den Fachbereich in Braunschweig trotz seiner „Zonenrandlage“ auch für internationale Studierende attraktiv zu halten.
Ein Qualitätsmerkmal des Architekturstudiums an der TU Braunschweig allerdings prägte sich eher informell aus: die Zeichensäle. In ihrer Mischung aus Künstleratelier, Werkstatt und Wohngemeinschaft, mit Sperrmüllsofas, Kühlschrank, manchmal auch Waschmaschine, wurden sie die eigentlichen Orte des Studiums. Oft nur für so Unvermeidbares wie Vorlesungen, Seminare und Korrekturen, Prüfungen oder den Gang zur Mensa verlassen, mischten sich hier Semester, Talente, Temperamente, eigene Charaktere konnten sich entwickeln: begnadete Hochbauentwerferinnen, methodische Städtebauer, Theoretikerinnen, Spezialisten für Abwegiges. Eines der Erfolgsgeheimnisse war sicherlich die Zeit, die hier in schier unerschöpflichem Maße zur Verfügung zu stehen schien. Abgabefristen? Na sowas! Regelstudienzeit? Noch nie gehört! „24/7“ lautete der Zauberbegriff, also Öffnungszeiten rund um die Uhr – und deklarierte Autonomie. Kulturalistische Gleichschaltungen? Nicht mit uns! Kein Prof, kein Assi hatte hier etwas zu sagen. Die Platzvergabe erfolgte nach heutigen Kriterien höchst „intransparent“: Wer wollte, konnte bleiben, so er oder sie ins unausgesprochene Profil des Zeichensaals passte. Wenn er oder sie nicht passte, merkten Aspiranten das sehr schnell.
Geist und Haltung der Zeichensäle liefen zur Hochform auf, als auch in Braunschweig studentische Forderungen nach einer vielfältigeren Lehre laut wurden, sich etwa neue Lehrgebiete wie die sozialwissenschaftlich grundierte Stadtbaugeschichte, ein Gegenpol zur formalen Stilgeschichte der Architektur, einzurichten hatten. Das war Mitte der Siebzigerjahre. All dies vermag aber nicht zu erklären, dass viele der Zeichensäle zu Bastionen gelebter Effizienzverweigerung aufliefen: Geschützte Orte des eigenständigen Selbststudiums, Denkens, Schaffens, eines unendlich weiten Horizonts der Interessen und des fundamentalen Experiments. Und sei dies nur manch ziellos erscheinendes „Prokeln“ am eigenen Studienprojekt – und am eigenen Leben.
Was davon ist geblieben? Anders gefragt: Was ist überhaupt noch möglich unter den Bedingungen eines stark verschulten, im Ablauf durchgetakteten Studienbetriebs und der Dominanz digitaler Arbeitsmedien? Drei derzeitige Architekturstudentinnen der TU Braunschweig, Flora König, Sophia Weller und Pauline Zahn, spürten kürzlich dem Phänomen Zeichensaal mit einer Ausstellung im Architekturpavillon nach. Die gute Nachricht: Es gibt sie noch, und sie werden weiterhin nachgefragt. 15 Zeichensäle – mit Namen wie Lehmbruck, Belvedere, Canossa – sind im engeren Kernbereich der TU Braunschweig angesiedelt, mit einem Cluster von derzeit sieben Einheiten im „Grotrian“, einer ehemaligen Klavierfabrik. Die Größe einer Belegschaft variiert, zwischen acht und 40 Studierenden. Aber: Angebot und Anzahl reichen nicht aus. Schien lange Zeit eine fast paradiesische Überfülle an Zeichensaalplätzen verfügbar, auch dank erschwing-licher Mieten für private Zusammenschlüsse, werden sie mittlerweile knapp. In Zahlen: Für 1031 Studierende stehen nur mehr 403 Zeichensaalplätze zur Verfügung (Stand Sommer 2024). Zwei Drittel der Studierenden bleiben unversorgt, auch weil suboptimal als Zeichensäle genutzte Raumressourcen in Altbau und Institutsgebäuden immer weiter wichti-
geren Nutzungen zu weichen haben. Ein Gremium „Zeichensaalrat“, auch mit Professorinnen, wissenschaftlichen Mitarbeitern, Vertreterinnen der Verwaltung und Zeichensaalsprecherinnen, administriert nun den Mangel. Bewerber können zu Beginn der Semester in offiziösen Vorstellungsrunden antreten. „Das Lernen im und durch den Zeichensaal und die gesamte Zeichensaalkultur sind der Inkubator guter Architekturlehre in Braunschweig“, stellte Professorin Elisabeth Endres, Sprecherin des Departments Architektur der TU Braunschweig, zur Ausstellungseröffnung fest. Nun könnten der Einsicht immerhin erste Taten folgen: „Studiospaces“ für Studienanfängerinnen sollen eingerichtet werden, in zwei Flügeln des besagten Grotrian.

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