Bauwelt

Zwischen Protokoll und Schussline

Die Deutsche Botschaft in Wien, kürzlich fertiggestellt nach Plänen von Schulz & Schulz Architekten, wirft viele Fragen auf: Wie präsentiert man sich? Inwiefern hat sich die deutsche Diplomatie verändert? Und welche Auswirkungen hat die globalpolitische Gegenwart auf eine so sensible, systemkritische Architekturtypologie?

Text: Czaja, Wojciech, Wien

Zwischen Protokoll und Schussline

Die Deutsche Botschaft in Wien, kürzlich fertiggestellt nach Plänen von Schulz & Schulz Architekten, wirft viele Fragen auf: Wie präsentiert man sich? Inwiefern hat sich die deutsche Diplomatie verändert? Und welche Auswirkungen hat die globalpolitische Gegenwart auf eine so sensible, systemkritische Architekturtypologie?

Text: Czaja, Wojciech, Wien

Das Wiener Botschaftsviertel neben dem Schlossgarten Belvedere ist – wie so oft auf der Welt, wie auch in Berlin, Peking, Buenos Aires – eine Summe aus Heterotopien im Sinne Michael Foucaults, aus Unorten innerhalb eines Ortes, aus fremden, exotisch anmutenden Implantaten inmitten eines scheinbar vertrauten Stadtgefüges. Die einzelnen exterritorialen Versatzstücke sind nicht nur Repräsentationen naher und ferner Länder, nicht nur kleine Ersatzparlamente und Pseudo-Regierungspaläste, sondern in vielen Fällen auch bauliche Visitenkarten von irgendwo anderswo.
Im Laufe der Geschichte sind viele beeindruckende National-Heterotopien entstanden – ob das nun die Französische Botschaft in Wien ist (Georges Chedanne, 1912), die Deutsche Botschaft in Brasília (Hans Scharoun, 1971) oder die Niederländische Botschaft in Addis Abeba (Mecanoo, 2005), die sich wie eine rötlich-braune Erdskulptur in die tropische Landschaft duckt. Allesamt spannende Minirepubliken, zusammenkondensierte Funktionsorte aus Heimweh, Verzauberung, Staatsbankett, Zufluchtsort und Reisepass-Antragstelle. In dieser Leseart ist die kürzlich fertiggestellte Deutsche Botschaft zwischen Reisnerstraße, Jaurèsgasse und Metternichgasse, geplant vom Leipziger Büro Schulz & Schulz Architekten, ein kolossaler Schock.
Wo einst die Vertretung des Deutschen Kaiserreichs war, erbaut 1877 im Stil der italienischen Renaissance, und später eine brutalistische Ikone von Rolf Gutbrod, errichtet 1964 ganz im Geiste der nüchternen, zurückhaltenden Bonner Moderne, steht heute ein weißes, hellgraues Bollwerk aus Stein und dunklen, hermetisch reflektierenden Fensterbändern, das mehr Aufmerksamkeit auf volumetrische Komposition, hochdetailliertes Können und makellose Platten- und Fugenbilder bar jeden Verschnitts legt als auf das, was man als sinnliches, baukulturelles Abbild eines Landes, einer Gesellschaft, einer europäischen Großmacht bezeichnen könnte.
„Wir sind für unsere Perfektion, Geometrieliebe und Konstruktionsaffinität bekannt, und wir haben diesen Detailperfektionismus, wie wir das bei all unseren Projekten tun, in den Dienst der Sache gestellt“, sagt Architekt Ansgar Schulz. „Und was die Kritik an der fehlenden Sinnlichkeit betrifft, möchte ich die Frage stellen: Wie viel Gemütlichkeit, ganz ehrlich, verträgt denn eine politische, diplomatische Repräsentanz, wenn hier schon bald reger Parteienverkehr stattfinden wird?“ Dazu muss man wissen, dass in Österreich rund 380.000 und allein in Wien fast 85.000 Deutsche leben. Damit ist das Wiener Botschaftsgebäude nach der Schweiz die weltweit zweitgrößte Pass-Anlaufstelle im Ausland.
„Gemütlichkeit, wie man das aus dem eigenen Wohnzimmer kennt, hat an einem solchen Ort nichts verloren“, betont Schulz noch einmal. „Ein Botschaftsbetrieb muss dem Protokoll folgen und muss damit eine gewisse Inszenierung und diplomatische Autorität verkörpern. Das war in der Ausschreibung gefordert, mit einem exakt aufgelisteten Raumprogramm, und daran haben wir uns auch gehalten.“ An den Fassaden dominiert hellgrauer, sanft gezeichneter Krastaler Marmor aus Kärnten, versetzt in 30 x 60 Zentimeter großen, hochkant verlegten, klassisch vorgehängten Tafeln. Und ja, die Baukubatur des Botschaftsgebäudes ist in all ihren Dimensionen ein Vielfaches dieses Maßes.
In den Innenräumen wird der helle Marmorboden mit dunklem Granit kombiniert und schafft auf diese Weise stark gemusterte Matrizen zu Füßen – mal als Schachbrett, mal als Kachelstruktur, mal mit rundumlaufenden Friesen und Bordüren. Ein wenig erinnert die Gestaltung an eine versteinerte, farblich entsättigte Intarsien-Parkettarbeit eines Leo Klenze, eines Ludwig Persius, eines Karl Friedrich Schinkel. Das rückwärtsgewandte, in seinen Werten tiefpreußische Bild, das sich hier als Fundament diplomatischen Protokolls mitteilt, ist eine starke politische Aussage.
„Viel wichtiger aber war uns“, entgegnet der Architekt, „einen robusten, resilienten und nachhaltigen Boden einzusetzen, der eine gewisse Eleganz ausstrahlt und der in seinem hellen Farbton die Offenheit und Transparenz des Hauses unterstreicht, wobei man den Aspekt der Öffnung bei einem Botschaftsgebäude wie diesem – verbunden mit einem ganzen Apparat an Sicherheitsauflagen – natürlich eher als Metapher verstehen muss.“ In Anbetracht der pikanten Nachbarschaft mit den Botschaften von Russland, China und Iran und des an diesem Tag immer wieder fallenden Wortes „Schusslinie“ ist nicht davon auszugehen, dass schon bald ein Cocktail- oder Staatsempfang an der frischen Luft stattfinden wird.
Als Erinnerung an den Vorgängerbau stolpert man genau hier – auf der riesigen, noch un­möblierten Terrasse, bestückt mit einer einzigen prächtigem Phönixpalme, flankiert von einer eleganten Wendeltreppe, die mit ihren flachen, breiten Stufen ein wenig an Oscar Niemeyers Palácio Itamaraty in Brasília erinnert – immer wieder über altes Zeug. Die schönen Reliefplatten des Münchener Bildhauers Blasius Spreng waren ein wichtiges Gestaltungselement in Rolf Gutbrods Vorgängerbau. Nun bilden sie eine Art Spolien-Ensemble auf der freien „Beletage“, wie die Terrasse in historischer Sehnsucht im Botschafts-Jargon bezeichnet wird. Und dennoch: Rolf Gutbrods vielfältige Architektursprache, luftig leichte Bonner Moderne – alles Geschichte.
Am Ende des Pressetermins, nach zwei Stunden Besichtigung und Interviews, wie also präsentiert sich die deutsche Heterotopie mitten in Wien? „Die immer schwieriger werdenden Rahmenbedingungen für internationale Beziehungen lassen sich nicht leugnen“, sagt der deutsche Botschafter Vito Cecere, der in wenigen Monaten, sobald das Haus eingerichtet sein wird, wieder ins Botschaftsviertel zurückkehren wird. „Das Gebäude strahlt eine gewisse Offenheit aus und signalisiert eine Bereitschaft zur gemeinsamen Lösungsfindung. Das ist zu diesem Zeitpunkt die vornehmste und bestmögliche Form von Diplomatie.“ Der steinerne Koloss, der am 23. Oktober vom deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier feierlich eröffnet wurde, ist so gesehen die Momentaufnahme einer nervösen, verängstigten Gegenwart. Und vielleicht ein doch guter, adäquater Zeuge seiner Zeit. Möge er bald aus der Mode fallen.

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